Süddeutsche Zeitung

München:Grau frisst Grün

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Mit unstillbarem Appetit verschlingt die Stadt an ihren Rändern die Natur, um Bauland zu gewinnen. Beton macht sich breit. Umweltschützer sprechen von einem "unauflösbaren Widerspruch", wollen aber nicht aufgeben

Von Lea Kramer

Auf einer grünen Wiese haben sie sich aufgestellt. Sie halten Schilder in der Hand, mit Sprüchen wie "Grün statt Betongrau" oder einfach nur "Hilfe!". Gut 150 Bewohner der Lerchenau sind im Frühjahr 2003 immer wieder auf die Spielwiese hinter dem Lärmschutzwall an der Azaleenstraße gekommen, um gegen die Bebauung des dortigen Grünstreifens zu demonstrieren. Ein Foto in der Jubiläumsschrift des Bürgerverein Lerchenau dokumentiert den Protest. Gebracht hat er allerdings nichts. Gegen den Widerstand der Anwohner räumte die Stadt der Eigentümerin, einer Immobilientochter der Deutschen Bahn AG, dennoch Baurecht auf dem Areal ein. Wo einst Fußball gespielt wurde, stehen heute Reihenhäuser.

Der Grünstreifen in Feldmoching-Hasenbergl ist ein beliebiges Beispiel in einer wiederkehrenden Geschichte: Je mehr der Siedlungsdruck in der Stadt steigt, desto häufiger wird an den Rändern von Grünflächen geknapst. Das sind selten Grundstücke in Premiumlage. Der grüne Lärmschutzwall in der Lerchenau, die Unnützwiese in Trudering oder der Acker an der Truderinger Straße in Berg am Laim sind weder besonders geschützte Biotope noch bekannte Erholungsgebiete. Für die Bewohner, aber auch für das Stadtklima erfüllen derartige unbebaute Flecken inmitten stark versiegelter Flächen eine wichtige Funktion. Die geht schleichend verloren, je dichter die Stadt bebaut wird und je mehr dieses Grün verschwindet.

Es ist eine Entwicklung, die Heinz Sedlmeier schon lange beobachtet. Der Geschäftsführer der Münchner Kreisgruppe des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) hat viele Bauprojekte begleitet, wenn es darum ging, als Naturschutzverband eine Einschätzung zu geben. Denn wer in Deutschland ein Bauprojekt plant, muss auch den Arten- und Naturschutz bedenken. "Bis auf Kosmetik ist für uns da aber oft nichts mehr zu machen", sagt Sedlmeier. In dieser Phase der Planung, wenn Grundstücke bereits verkauft seien und schon Geld für Planer geflossen sei, habe der LVB noch nie etwas Entscheidendes erreicht, sagt er. Die Kreisgruppe habe sich deshalb entschlossen, bei vielen Bauprojekten überhaupt kein Votum mehr abzugeben. "Das heißt aber nicht, dass wir die Flinte ins Korn werfen", sagt Sedlmeier. Der LBV versuche mittlerweile, grüne Verbundachsen in München zu identifizieren,bevor sie für eine Bebauung infrage kommen.

Das Biotop am Ackermannbogen ist eine dieser geretteten Flächen, die der LBV seit 2004 pflegt und die so einer Bebauung mit drei Reihenhäusern entging. Die 1,3 Hektar große Grünfläche auf dem Gelände der früheren Stetten-Kaserne im westlichen Schwabing ist unter anderem Zufluchtsort für den Idas-Silberfleckbläuling, eine gefährdete Schmetterlingsart. Inzwischen wachsen auf dem kleinen Stück Heideland mehr als 100 Pflanzenarten. Das Heide-Biotop ist eingezäunt, um Flora und Fauna zu schützen. Die Naturschützer bieten aber regelmäßig Lehrspaziergänge durch das Naturidyll inmitten der Stadt an.

Besonders stolz ist Umweltschützer Sedlmeier auf die Erfolge rund um das Virginia-Depot, ein altes Militärgelände westlich der Schleißheimer Straße, ebenfalls in der Lerchenau. "Da sind wir dort gewesen, bevor überhaupt jemand daran gedacht hat, das Gelände zu entwickeln", sagt er. Die Weitsicht hat sich gelohnt. 2014 beschloss der Stadtrat, einen Großteil des Areals als Stadtbiotop und sogenannten geschützten Landschaftsbestandteil besonders unter Schutz zu stellen. Das 20 Hektar große unbebaute Gelände ist für das Stadtklima besonders wertvoll: Es trägt dazu bei, dass Kaltluft aus der Umgebung in die Stadtviertel fließen kann.

Wie wichtig solche Frischluftschneisen sind, ist auch in der Stadtverwaltung bekannt. Die Untere Naturschutzbehörde (UNB) ist maßgeblich beteiligt, wenn Bauvorhaben auf den Weg gebracht werden. "In der Bauleitplanung stellen die Belange von Natur- und Landschaft einen ganz wesentlichen Abwägungsgesichtspunkt dar", sagt Behördenleiterin Astrid Sacher. Es sei die Aufgabe der UNB, die Belange des Natur- und Artenschutzes zu vertreten. "Nach dem Baugesetzbuch kann sie aber keinen Alleinvertretungsanspruch beanspruchen", sagt sie. Dem Klimaschutz ein stärkeres Gewicht zu verleihen, könne nur unter Mitwirkung aller an der Planung beteiligten Akteure gelingen. Bei großen Bauvorhaben, neuen Flächennutzungsplänen oder Infrastrukturprojekten kann die Behörde nur fachliche Einschätzungen über deren ökologische Folgen geben. Die Entscheidung trifft in der Regel der Stadtrat. "Im Fall der geplanten Verlängerung der Schleißheimer Straße und der teilweisen Untertunnelung des Naturschutzgebiets Panzerwiese, zum Beispiel, wurden die sehr hohen rechtlichen und fachlichen Hürden, die dem Projekt entgegenstehen, von Anfang an betont", sagt Sacher. Inzwischen ist geplant, bei der Autobahn-Anbindung nur noch über Trassen-Vorschläge am Rand der Schutzzonen oder durchs Wohngebiet zu diskutieren.

Druck aus der Wirtschaft plus Zuzug von immer mehr Menschen - das in Einklang zu bringen mit Natur- und Artenschutz, sieht Christian Hierneis als einen "unauflösbaren Widerspruch". Der Vorsitzende der Münchner Gruppe des Bundes Naturschutz (BUND) und Landtagsabgeordnete der Grünen sagt: "Wir brauchen das Grün nicht nur aus romantischem Naturschutz." Er fordert, dass die Stadt "endlich die Flächen identifiziert, die man gar nicht bebauen darf." Diese Liste hatten seine Münchner Parteikollegen nach der Kommunalwahl im Bündnisvertrag mit der SPD verankert. "Alle Grünflächen, die wir vor Bebauung schützen wollen, werden flächenmäßig noch 2020 bilanziert. Die bilanzierte Fläche wird erhalten, weder bebaut noch für andere Infrastrukturmaßnahmen verwendet", heißt es dort. Vorgelegt wurde diese Liste bislang nicht.

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SZ vom 29.06.2021
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