Süddeutsche Zeitung

Null Acht Neun:Frau Wurzenberger bleibt hart

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Im Forstenrieder Park steht eine Wildsau immer an derselben Stelle - und lässt sich einfach nicht vertreiben. Gut so.

Glosse von Christian Mayer

Wir sind keine Freunde, aber immerhin gute Bekannte, das bleibt ja nicht aus, wenn man sich häufiger sieht. Allerdings weiß ich nicht genau, ob die Bekanntschaft auf Gegenseitigkeit beruht, denn mein Gegenüber wirkt immer etwas abweisend, wenig kommunikativ. Und es kann auch, wie mir Kenner versichern, saumäßig grantig werden, wenn man ihm dumm kommt. Aber ich bin ja nicht blöd, ich bleibe lieber etwas auf Abstand, bei unseren Treffen im Forstenrieder Park.

Meist ist es am späten Nachmittag, Samstag oder Sonntag, wenn ich mit dem Fahrrad vom Starnberger See zurück nach München fahre, das Licht fällt schon schräg durch die Bäume, die Jogger und Spaziergänger sind bereits fort, beste Bedingungen für das Rendezvous mit Frau Wurzenberger. Frau Wurzenberger, so nenne ich die Wildsau, die immer an derselben Stelle steht. Und ich bin mir sicher: Sie hat nicht auf mich gewartet, sie verteidigt ihr Terrain. Warum sollte sie sich auch vertreiben lassen aus ihrem Paradies, so wie das vielen alteingesessenen Münchnern geht, die ihre Mieten in Giesing oder Obermenzing nicht mehr bezahlen können, weil sich die Stadt Haus für Haus in ein Habitat für Besserverdienende und Vermögende verwandelt?

Frau Wurzenberger bleibt hart. Erst wenn man längere Zeit die Fahrradklingel betätigt, zieht sie sich ein paar Meter ins Unterholz zurück, wo auch ihre Verwandtschaft sitzt, die Kinder, die Cousins, die Nichten. Aber das ist keine Fluchtbewegung, keine Resignation: Frau Wurzenberger macht aus freien Stücken Platz, mit der Eleganz, zu der ein oberbayerisches Wildschwein fähig ist.

Die Namensgeberin, die echte Frau Wurzenberger, wohnte übrigens in der Kazmairstraße unweit der Wiesn, sie hatte nichts Animalisches, allerdings die gleiche stoische Gelassenheit wie die Bekannte im Forstenrieder Park. Manchmal wanderte sie sehr langsam im Nachthemd durch unser Haus, nach Jahrzehnten als Kellnerin im Hirschgarten genoss sie ihre Ruhe. Es war vollkommen klar, dass Frau Wurzenberger in dieses grüne Haus gehörte, unten gab es die Kneipe "Zur lustigen Kölnerin", am Eck eine Bäckerei, mehr brauchte sie nicht. Außer einer sozial eingestellten Vermieterin, die es akzeptierte, dass Frau Wurzenberger mit ihrer winzigen Rente kaum Miete zahlen konnte.

An diesem Wochenende möchte ich noch einmal in den Forstenrieder Park, bevor der Herbst kommt und es ungemütlich wird. Ich freue mich auf ein Wiedersehen, an der lichten Stelle vor den alten Eichen. Notfalls warte ich auch ein wenig, bis Frau Wurzenberger gedenkt, den Weg freizugeben.

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