Süddeutsche Zeitung

Auszeichnungen:Durchboxen und Wunden heilen

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Für ihren Einsatz gegen Fremdenfeindlichkeit werden Soziale Münchner und Initiativen mit dem "Lichtblicke"-Preis geehrt.

Von Sven Loerzer

Die Boxabteilung beim TSV 1860 München leitet Ali Cukur seit mehr als zwei Jahrzehnten, doch für die jungen Sportler ist er weit mehr als nur deren Trainer und Ausbilder. Denn er leistet auch praktische Sozialarbeit, gepaart mit bisweilen väterlicher Strenge und geschwisterlichem Verständnis für seine Schützlinge, wenn ihr Weg mal nicht geradlinig verläuft. So verwundert es nicht, dass er sie "meine Familie" nennt. Und für die Jugendlichen da ist, wann immer sie ihn brauchen. Weil Cukur in den letzten 26 Jahren viele Jugendliche und junge Erwachsene ehrenamtlich begleitet und über das Boxen hinaus als Vorbild unterstützt hat, ist er nun mit dem Förderpreis "Münchner Lichtblicke 2020" ausgezeichnet worden.

Mit dem Preis wollen die Landeshauptstadt, der Verein Lichterkette und der Migrationsbeirat den Blick auf Einrichtungen, Projekte und Einzelpersonen lenken, die sich Fremdenfeindlichkeit entgegenstellen und sich in vorbildlicher Weise für ein friedliches Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft einsetzen.

Cukur kam in den Siebzigerjahren als Kind türkischer Einwanderer nach Deutschland. Die Jugendlichen, die er betreut, seien sowohl Geflüchtete als auch Einheimische, schreibt die Jury. Viele von ihnen hätten eine schwierige Vergangenheit oder immer noch Probleme. Manche hätten keinen Rückhalt von ihrer Familie, weil sie ohne Eltern die Heimat verlassen mussten oder aber die Situation daheim schwierig sei. "Gerade hier nimmt sich Ali Cukur ihrer an, bietet ihnen Rat und eine starke Schulter, gibt Selbstvertrauen und zeigt den Jugendlichen Perspektiven und Chancen auf", würdigt die Jury seinen Einsatz. "Im Club bekommen sie die Chance, sportliche Erfolge zu erzielen und echte Anerkennung zu erfahren." Mit dem Preis wird Cukurs unermüdliches soziales Engagement für Jugendliche ausgezeichnet, das ihnen Auswege auch aus aussichtslos erscheinenden Situationen eröffnet. "Ali Cukur hat sehr viel mit seiner Arbeit erreicht", erklärte Bürgermeisterin Verena Dietl. "Einige seiner Schützlinge, die in der Schule schlecht waren, als sie zu ihm zum Boxen kamen, haben nun studiert, sind Ärzte oder Lehrer geworden."

Zur Preisverleihung im Alten Rathaussaal konnten in diesem Jahr immerhin 50 Gäste eingeladen werden. Letztes Jahr war das wegen Corona nicht möglich, weshalb nun auch die Förderpreisträger des Vorjahres gefeiert wurden. Als Einzelperson erhielt die Frauenärztin Eiman Tahir den Preis für 2019, die mit großem Einsatz Migrantinnen betreut, die durch eine Genitalverstümmelung misshandelt wurden. In ihrer früheren Heimat Sudan ist dieses grausame Ritual immer noch üblich. Ihre traumatisierten Patientinnen erhalten medizinische Hilfe auf Augenhöhe und damit "Balsam für die Seele", wie die Jury erklärte. Für die Sorgen und Nöte misshandelter Frauen habe sie stets ein offenes Ohr.

Für sein Projekt "Ausarten - Perspektivwechsel durch Kunst" ist das Münchner Forum für Islam mit dem Förderpreis 2020 ausgezeichnet worden. Das breite Angebot des Festivals wende sich an viele Schichten der Gesellschaft, lobte die Jury. "Gerade in Zeiten, in denen extremistische Tendenzen zunehmen", helfe es jungen Menschen, "sich zu entfalten und somit radikalen Gruppen Nährboden und Zulauf" zu entziehen.

Unter den Einrichtungen wählte die Jury die einzige städtische Unterkunft für geflüchtete Frauen und Mütter. Das Haus an der Nailastraße biete seit 2016 bis zu 144 Frauen und Kindern, die zum Teil schwer traumatisiert und von Gewalt betroffen sind, Betreuung und Schutz. Dank des einzigartigen Engagements in dem Kooperationsprojekt von Condrobs, Frauenhilfe und Profamilia könnten dort Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung friedlich zusammenleben.

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SZ vom 06.07.2021
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