Stadtplanung:"Aber was soll ich mit zwei Millionen? Das ist unsere Heimat"
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Im Münchner Norden sollen Tausende Wohnungen entstehen. Zu welchen Mitteln soll die Stadt greifen, damit diese bezahlbar werden? In Feldmoching tobt ein Streit, bei dem es für viele um sehr viel geht.
Von Sebastian Krass
Frisch sehen sie aus, Erde klebt an der Schale. Martin Angermeir nimmt eine der Kartoffeln vom Band, wiegt sie liebevoll in der Hand. "Wunderbare Ernte", sagt er. Es sind Speisekartoffeln, Sorte Avanti. Aber das ist nur ein kleiner Teil der Ernte von Angermeirs Hof, das meiste verkaufen sie als Saatgut, aus dem andere Höfe etwa Kartoffeln für Pommes züchten. Der Landwirtschaftsbetrieb, den Martin Angermeir, 58, mit seinem Bruder Georg, 60, führt, gehört zu den großen im Münchner Norden. Hunderte Tonnen, bei guter Ernte 1000 Tonnen Kartoffeln, holen sie im Jahr aus der Erde, erzählt Martin Angermeir. Damit keiner auf falsche Gedanken kommt, ergänzt er: "Es ist noch keiner reich geworden mit unserer Arbeit."
Ob das so stimmt, darüber ließe sich vermutlich streiten. Aber klar ist: Viele Bauern sind sehr reich geworden, indem sie ihre Scholle verkauft haben als Bauland. Die Angermeirs haben einen großen Teil ihrer Felder gepachtet, einige Hektar gehören ihnen. Wie viel, will Martin Angermeir nicht sagen, das führe nur in die falsche Richtung. "Wir haben unser Leben lang gebuckelt, 60, 70 Stunden die Woche, und wir möchten unseren Betrieb weiterführen."
Zehn Kilometer sind es von hier - Feldmochinger Straße, etwas nördlich des Fasaneriesees - bis in die Innenstadt. Aber für die Angermeirs kommt das, was die grün-rote Stadtratsmehrheit kürzlich verabschiedet hat, aus einer anderen, einer feindlichen Welt - die ihre Zukunft als Landwirte gefährdet. So sehen sie das.
Mit der "Einleitung von vorbereitenden Untersuchungen für eine Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme" (SEM) startet die Stadt einen langfristig angelegten Planungsprozess, um herauszufinden, wie auf einem 900 Hektar großen, derzeit weitgehend unbebauten Areal rund um den Feldmochinger Ortskern ein neues Siedlungsgebiet entstehen könnte. Es ist offen, wo einmal, frühestens im nächsten Jahrzehnt, Menschen wohnen und erst recht, wie viele. Aber klar ist, die Stadt will dort neuen bezahlbaren Wohnraum schaffen.
Um das in einem großen Zusammenhang mit Verkehrserschließung, Erholungsflächen und auch der Fortführung von Landwirtschaft zu planen, greift sie zum Mittel der SEM, das im Baugesetzbuch festgeschrieben ist. Mit ihrer Einleitung sind die Grundstückspreise eingefroren, um zu verhindern, dass die Bodenpreise durch Spekulation steigen. Die SEM ist auf Kooperation mit Eigentümern angelegt, lässt aber als ultima ratio Enteignungen zu. Es gibt bereits ein etwas weiter fortgeschrittenes SEM-Verfahren in München, auf einem 600 Hektar großen Areal im Nordosten der Stadt, östlich von Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen. Dort gibt es nach einem Architektenwettbewerb ein Konzept, wie eine Besiedlung mit Wohnraum für 30 000 Menschen und einem neuen Badesee aussehen könnte. Auch das will die Stadt vorantreiben.
Zu einer Enteignung durch eine SEM ist es laut Bayerischem Bauministerium noch nie gekommen
"Für mich ist eine SEM unvorstellbar", sagt Martin Angermeir und schüttelt den Kopf. Er steht neben einer Erntemaschine, vier Meter hoch, drei Meter breit, einem Kartoffelroder. Angermeir hat ihn im vergangenen Jahr neu angeschafft. Was er gekostet hat, sagt Angermeir nicht, nur so viel: "Wir haben dafür einen Kredit aufgenommen, es dauert 30 Jahre, bis er sich amortisiert hat." Die Halle, in der die Maschine steht, habe er mit seinem Bruder zum größten Teil eigenhändig errichtet.
Dieser Hof, so die Botschaft, ist ein über Generationen entstandenes Lebenswerk. Zwei ihrer Söhne bereiten sich auf die Übernahme vor, erzählen Martin und Georg Angermeir. Wenn sie über die SEM sprechen, dann klingt es wie eine Horrorvision: Eine von den Menschen hier im Norden abgekoppelte Stadtregierung, die plant, Grundstücke zusammenzuraffen und ohne Rücksicht auf Verluste alles voll zu bauen.
Es ist die Argumentation der Anti-SEM-Initiative "Heimatboden", in der sich Grundstückseigentümer aus dem Norden, auch die Angermeirs, zusammentaten, als die Debatte um die Einleitung einer SEM für den Norden aufkam. Mit einer emotionalen PR-Kampagne und der Beratung einer Anwaltskanzlei hat "Heimatboden" die Diskussion über das komplexe Instrument der SEM auf das Thema Enteignung verengt. Zu einer Enteignung ist es laut bayerischem Bauministerium bei keinem von bisher 27 SEM-Verfahren gekommen.
Dennoch knickte die Rathaus-Koalition von CSU und SPD vor zwei Jahren ein und rief statt der SEM ein "Kooperatives Stadtentwicklungsmodell" (Kosmo) aus, das keine Enteignungen vorsehen sollte. Die neue Koalition kehrt nun zur SEM zurück, was der SPD und ihrem OB Dieter Reiter den Vorwurf des Wortbruchs einbringt. Das relativiert sich dadurch, dass die SPD sich im jüngsten Wahlprogramm zur SEM bekannt hat. Die Grünen sind ohnehin schon lang dafür. Das Wachstum der Stadt und die Wohnungsnot waren eines der bestimmenden Themen im Wahlkampf.
Aus dem Wahlergebnis kann Grün-Rot also den Auftrag ableiten, mit der SEM fortzufahren. Die SEM-Gegner im Norden hingegen sprechen gern vom überwältigenden Zuspruch, den sie in ihrem Umfeld erführen. Aber selbst im Stadtbezirk Feldmoching-Hasenbergl kamen Grüne und SPD auf knapp 40 Prozent. "Wir Landwirte sind in der Minderheit in der Stadtbevölkerung." Es ist ein Satz, der aus Martin Angermeirs Mund bitter klingt, aber wahr ist.
Doch "Heimatboden" steckt nicht auf. Seit einiger Zeit arbeitet die Initiative auch im Nordosten gegen die SEM. Jüngst hat sie mit dem größten Teil der Rathaus-Opposition sowie Vertretern von Gärtnern und Bauern ein neues Anti-SEM-Bündnis präsentiert. Martin Angermeir beschreibt die Strategie so: "So lang die SEM über dem Gebiet liegt, wird mit der Stadt nicht verhandelt." Zudem erklärte "Heimatboden", eine Versammlung von 180 Eigentümern im Norden habe beschlossen, die Mitwirkung an schon laufenden Agrargutachten, die für die Planung wichtig sind, auszusetzen.
Doch wie steht es um die Glaubwürdigkeit von "Heimatboden" und dem Slogan "Schützen Sie die wertvollen Anbauflächen unserer Heimatstadt München"? Im Rathaus kursiert bei Menschen, die sich seit Jahren mit der SEM beschäftigen, die Geschichte von einem vertraulichen Treffen im Mai 2017, bei dem Vertreter der damals neu gegründeten Initiative mit OB Reiter und weiteren Vertretern der Stadt zusammengesessen hätten. Dabei, so die Erzählung, habe "Heimatboden" gesagt, letztlich sei es alles eine Frage des Preises für die Grundstücke.
Wollen sie also mit ihrer propagierten Fundamentalopposition nur die Preise hoch treiben? Der OB äußert sich auf Anfrage nicht zu dem Gespräch. Anruf bei Martin Zech, dem Kopf von "Heimatboden" im Norden. Zech bestätigt, dass es das Treffen gab. Ob auch die Aussage mit der Frage des Preises fiel, darauf antwortet er erst gewunden und steuert dann auf die Heimatboden-Kernthese: "Die Enteignungsdrohung ist per se die rote Linie."
Zur grundsätzlichen Bereitschaft, Land an die Stadt zu verkaufen, könne man "keine allgemeingültige Aussage" machen. Die Verteilung der Grundstücke sei kleinteilig, die Eigentümerstruktur heterogen: von Vollerwerbslandwirten wie den Angermeirs über reine Verpächter bis zu Erbengemeinschaften. "Und es steht natürlich jedem frei zu verkaufen nach den Regeln von Angebot und Nachfrage."
Am Punkt von Angebot und Nachfrage setzt die SEM an. Das freie Spiel der Marktwirtschaft hat die Bodenpreise in so schwindelerregende Höhen getrieben, dass der Bau von bezahlbaren Wohnungen in München kaum möglich ist. Mit dem Einfrieren der Preise ist die Spirale im SEM-Gebiet gestoppt. Nun will die Stadt mit den Eigentümern einen gütlichen Weg finden, zwischen dem aktuellen Preis von 30 Euro für den Quadratmeter Ackerland und mehreren Tausend Euro für Bauland. 200 bis 250 Euro halten SEM-Befürworter für einen denkbaren Tarif. Für einen Hektar wären das zwei bis 2,5 Millionen Euro. OB Reiter glaubt, dass solche Aussichten die angeblich geschlossene Front von "Heimatboden" bald ins Bröckeln bringen.
Mit den Angermeirs geht es nun raus auf die Felder. Georg Angermeir sitzt am Steuer seines Pick-ups, Martin nimmt hinten Platz. Kreuz und quer geht es über holprige Wege. Die Brüder zeigen ihre Kartoffelfelder, aber auch Weizen, Hafer, Ackerbohnen, Zwiebeln, mit denen sie - wie sie betonen - die Böden nach den Regeln der Fruchtfolge nachhaltig bewirtschaften würden. "Ist das nicht wunderschön?", fragt Georg Angermeir und weist mit dem Arm über in vollem Saft stehende Felder.
Und er bringt einen gedanklich auf eine anderen Aspekt. Der Stadtrat hat vor einigen Monaten in einem symbolischen Akt den Klimanotstand ausgerufen. Man kann neue Wohnquartiere so ökologisch planen, wie es nur geht. Wenn sie im SEM-Gebiet entstehen, bedeutet das mehr Versiegelung und möglicherweise negative Folgen für das Stadtklima. Auch das wird noch zu heftigen Diskussionen führen, insbesondere für die Grünen.
Am Ende dieses Vormittags steht Martin Angermeir vor dem Eingangstor seines Wohnhauses und sagt: "Wir wollen kein Geld aus einem Grundstücksverkauf. Das glaubt uns zwar keiner. Aber was soll ich mit zwei Millionen? Das ist unsere Heimat, wir brauchen den Boden für unser Leben."