Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Zwischen Aff und Mensch

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In München wurde die Weißwurst erfunden, die Gemütlichkeit und die verstopfte S-Bahn-Röhre. Wieso nicht auch der aufrechte Gang?

Glosse von Wolfgang Görl

Im Allgäu, so war jüngst zu lesen, hat der Menschenaffe Udo vor zwölf Millionen Jahren den aufrechten Gang erfunden, was Wasser auf die Mühlen derjenigen ist, die den Allgäuer schon immer für das Missing Link zwischen Aff und Mensch hielten. Für die Münchner, die den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge die am höchsten entwickelte Menschenart sind, ist die Sache mit dem aufrechten Gang ein wenig peinlich, weil alle Innovationen, die die Menschheit entscheidend voranbringen, normalerweise aus ihrer Stadt kommen.

In München, um nur einige Beispiele zu nennen, wurde die Weißwurst erfunden, ebenso die Gemütlichkeit oder die verstopfte S-Bahn-Röhre. Angesichts dessen wäre es ein Witz, hätten den Zweifüßlergang nicht Münchner Menschenaffen entwickelt, sondern irgendwelche Primaten aus bildungsfernen Regionen. Doch noch gibt es Hoffnung, auch in dieser Frage die Dinge zurechtzurücken.

Anlass dafür gibt ausgerechnet die Paläontologin Madelaine Böhme, die mit ihrem Team den Allgäuer Affen Danuvius guggenmosi alias Udo ausgegraben hat. Erst vor wenigen Wochen sagte die Wissenschaftlerin in einem SZ-Interview: "Wenn mir jemand im Stadtgebiet München eine Grabungsfläche zur Verfügung stellen würde, dann würde ich dort vielleicht auch einen Danuvius finden."

Also, das ist doch mal eine Ansage - und was ist seither geschehen? Nichts. Weder Oberbürgermeister Dieter Reiter noch der Stadtrat hielten es für nötig, der Paläontologin umgehend eine Grabungsstelle anzubieten - ein ungeheuerliches Versäumnis. Was wäre es für ein Triumph, würden die Forscher etwa in Schwabing einen fossilen Menschenaffen ausgraben, der bereits vor 13 Millionen Jahren aufrecht durch die Leopoldstraße spaziert ist. Statt Udo könnte man ihn beispielsweise Ude nennen.

Auch unter der Staatskanzlei, die man natürlich unbürokratisch beseitigen müsste, wären gewiss ein paar alte Knochen zu finden, die auf vorgeschichtliche, noch etwas unterentwickelte Intelligenz schließen ließen. Nach "Hauptstadt der Bewegung" und "Radlhauptstadt" bekäme München endlich einen angemessenen Titel: "Hauptstadt des aufrechten Gangs." Die zahllosen Münchner Hunde und alle anderen Vierbeiner müssten sich dann aber auch umstellen.

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SZ vom 02.12.2019
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