Süddeutsche Zeitung

Flugwerft in Oberschleißheim:"Wer kann schon sagen, dass er sein Hobby zum Beruf machen konnte?"

Lesezeit: 4 min

Nach 40 Jahren im Dienst des Deutschen Museums geht Gerhard Filchner in den Ruhestand. Seine Liebe zu Flugzeugen besteht weiterhin - auch wenn der Leiter der Flugwerft beschlossen hat, nicht mehr zu fliegen.

Von Martina Scherf, Schleißheim

Einen Liebling? "Wir haben hier 70 Fluggeräte, und ich habe 70 Lieblinge", sagt Gerhard Filchner, lehnt sich über das Geländer der Galerie und blickt nach unten auf die imposanten Maschinen in der Ausstellungshalle. Gleich wird er sich ins Cockpit der Phantom zwängen, auf Wunsch des Fotografen. Dabei hat er gar keinen Pilotenschein. War ihm nie wichtig. Mitfliegen durfte er ja ohnehin oft, denn er wollte immer ein lebendiges Museum präsentieren, mit Flugshows, Besuchen berühmter Piloten und Wettbewerben. Aber ihn interessierten mehr die Technik und die Geschichte der Fliegerei, da kennt er sich aus wie kaum ein anderer. Nach 40 Jahren im Dienst des Deutschen Museums geht Filchner jetzt in den Ruhestand - und wird erst einmal pilgern, zu Fuß.

"Die Flugwerft Schleißheim ist ein ideales Museum", sagt Filchner, als er jetzt durch die Halle geht, vorbei an den Maschinen, die hier dicht an dicht stehen und von der Decke hängen. Denn sie ist selbst Teil der Luftfahrt-Geschichte. Seit 1912 war dort die königlich-bayerische Fliegertruppe stationiert, direkt neben dem Schleißheimer Schloss. Die damals errichtete Rüsthalle und die Kommandantur stehen heute noch. Eine Ausstellung im Durchgang zu großen Ausstellungshalle dokumentiert die Entwicklung. Im Ersten Weltkrieg wird der Flugplatz erweitert, dann die Werfthalle gebaut. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird der Platz zum Fliegerhorst der Luftwaffe ausgebaut. Nach Kriegsende übernimmt die US-Armee das Gelände, später die Bundeswehr. 1981 endet der militärische Flugbetrieb.

"Als ich zum ersten Mal nach Schleißheim kam, war das Gelände noch militärisches Sperrgebiet", sagt Filchner. Er stammt aus der Oberpfalz und hat sich schon als Kind für Flugzeugmodelle begeistert. An der Fachhochschule München studierte er dann Flugzeugtechnik. Als er ein Querruder nach dem Vorbild des Starfighters entwickeln sollte, ging er ins Deutsche Museum, um sich das am Original anzuschauen - "Internet gab's ja noch nicht". Die Studienarbeit wurde ein Erfolg. Und wie es der Zufall wollte, suchte das Museum wenig später Verstärkung für die neu geplante große Luftfahrtausstellung auf der Museumsinsel. Filchner bewarb sich und wurde genommen. Zur Eröffnung 1984 kamen Helmut Kohl und Franz Josef Strauß - und sagten zu, dass der Staat die Restaurierung der Flugwerft Schleißheim fürs Deutsche Museum finanzieren würde. Dass Strauß selbst passionierter Flieger war, gab dem Projekt sicher den nötigen Auftrieb.

Filchner war also von Anfang an dabei, erwarb Maschinen, sorgte dafür, dass sie heil in Oberschleißheim ankamen, recherchierte deren Geschichte und richtete mit seinen Kollegen die Restaurierungswerkstatt ein. Viele berühmte Fluggeräte haben sie dort saniert oder auch originalgetreu nachgebaut, etwa den Doppeldecker der in München ansässigen Flugmaschinenwerke Gustav Otto. Die sogenannten Otto-Doppeldecker waren 1912 die ersten Flugzeuge, die in Oberschleißheim stationiert waren. "Also, ja, das ist schon einer meiner Lieblinge", sagt Gerhard Filchner jetzt.

Immer mehr Flugzeuge kamen an. "Die Luftwaffe flog uns die Exponate mit Transporthubschraubern ein." 1992 wurde das Zweigmuseum eröffnet. Von der Ballonfahrt und Otto Lilienthals Gleitapparat aus dem Jahr 1894 über Weltkriegsflugzeuge wie Fokker D VII bis zum Eurofighter reicht inzwischen die Palette der ausgestellten Maschinen. Zuletzt kam ein Tornado dazu, der als Aufklärungsflugzeug in Afghanistan im Einsatz war - ein aufgemaltes Kamel am Heck erinnert daran. Oder das Forschungsflugzeug Do 128, das jahrelang meteorologische Messdaten sammelte.

An jedem Flugzeug hängt eine Geschichte, und Filchner kennt sie alle. Die Solair I liegt ihm am Herzen, sie ist eines der ersten Solarflugzeuge, gebaut schon in den Achtzigerjahren. Ihr Erfinder Günther Rochelt baute auch eine Art fliegendes Fahrrad, den "Musculair II". Rochelts Sohn Holger stellte damit 1985 in Schleißheim einen Weltrekord auf: 1,5 Kilometer strampelte er durch die Luft. "Das ist das Sinnbild für den ewigen Menschheitstraum vom Fliegen aus eigener Kraft", sagt Filchner und kommt dabei jetzt fast ins Schwärmen.

Filchner und sein Team organisierten in der Flugwerft viele Veranstaltungen, zu denen Tausende Liebhaber anreisten: Fly-Ins, bei denen Piloten mit ihren Oldtimern einflogen. Modellflugzeug-Wettbewerbe, Sonderschauen, Treffen von Fliegerclubs. Flugsimulationstage, bei denen Computerfans mit ihren Laptops anrücken, die einen Piloten, die anderen Lotsen, und dann flogen sie virtuell um die Welt. Bis zu 120 000 Besucher pro Jahr bewiesen den Erfolg des Zweigmuseums - immerhin mehr als ein Zehntel der Besucherzahl im Haupthaus. Und das, obwohl die Flugwerft nicht auf der klassischen Touristenroute liegt.

"Es war kein Tag wie der andere", sagt Filchner, und "wer kann schon sagen, dass er sein Hobby zum Beruf machen konnte?". Einmal führte er Chuck Yaeger durch die Flugwerft, den ersten Menschen, der die Schallmauer im Horizontalflug durchbrochen hat. Die Phantom, aus deren Cockpit Filchner gerade stieg, hatte Otto Mayr, der einstige Direktor des Deutschen Museums, in den USA besorgt. Sie fliegt doppelte Schallgeschwindigkeit. "Bitzeln tät es mich schon, da mal mitzufliegen", gibt Filchner zu, der ansonsten nicht den Anschein erweckt, als würden ihn militärische Großtaten beeindrucken. "Aber mit meinen 1,90 Metern bin ich eh zu groß", sagt er dann ganz entspannt. Er ist ja eher ökologisch und pazifistisch bewegt. Deshalb schätzt er auch die Ingenieursleistung eines Solarflugzeugs mindestens so groß wie die eines Düsenjets. Und mitfliegen durfte ja in anderen Flugzeugen immer wieder, im Zeppelin, in der Antonow, im Junkers F13-Nachbau, der vor ein paar Jahren in Schleißheim landete.

Jetzt wird er erst einmal Abstand gewinnen zur Fliegerei. "Meine Frau hat gesagt: Wir fliegen nicht mehr", erzählt er, wegen des Klimas. Also reisten sie zuletzt mit Zug und Schiff nach Korsika. "Geht auch, und man sieht unterwegs ganz andere Dinge." Simone Bauer hat ebenfalls eine Führungsposition im Deutschen Museum, und wenn sie ihm im kommenden Frühjahr in den Ruhestand folgt, sagt Filchner, dann wollen sie den Jakobsweg weitergehen. Von München bis ins französische Le Puy sind sie schon gewandert. Jetzt wollen sie die 2500 Kilometer vollmachen. In Gedanken wird er vermutlich trotzdem hin und wieder bei seinen Lieblingen sein.

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