Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Theresienwiese bald das größte Autokino der Stadt?

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Nach der Absage des Oktoberfests blühen die Ideen, die Theresienwiese als Ausweichquartier für Theater, Konzerte und Filmkunst zu nutzen. Sicher vom eigenen Wagen aus, unter Einhalten aller Abstandsregeln.

Von Michael Zirnstein, München

Die Idee eines automobilen Kulturerlebnisses auf Münchens weiter Asphalt- und Schotter-Wiesn ist gleichermaßen rück- wie fortschrittlich. Derlei ist einerseits nicht neu und in unzähligen Filmen dokumentiert. George Lucas erzählte bereits 1973 in "American Graffiti" von einer Jugendkultur, die sich in den rollenden Blechburgen im kalifornischen Kaff Modesto abspielte, vom Sehen und Gesehenwerden beim Cruisen auf dem Strip und in Mel's Drive-In, und im Radio lief dazu die Sendung von Wolfman Jack und "Green Onions" von Booker T. & The M.G.'s. Familie Feuerstein lebte schon so, und im Grunde leben die Amerikaner noch immer im und für Ford, Cadillac und Co.

Hierzulande, wo die meisten Autokinos längst überbaut sind, klingt so etwas wie steinzeitlicher Umwelt- und Abkapselungsirrsinn. Dass man heute zum Virus-Test in den Corona-Drive-In fährt, fühlt sich wiederum wie ein real gewordener Science-Fiction-Film von einer verseuchten Welt an. Ein Auto-Kulturfestival auf der Theresienwiese ist aber für Alexander Wolfrum alles andere als Zukunftsmusik, sondern in der gegenwärtigen Notlage eine praktische Lösung. Er hat die Idee, solange Corona jegliche Kontaktkultur verhindert, auf einem 41 000 Quadratmeter großen Areal zu Füßen der Bavaria einen Riesenbildschirm für Filme, Konzerte, Theater und mehr aufzustellen - mit bestem Blick für 585 Fahrer und Beifahrer.

"Jeder kommt mit seinem Glaskasten um sich herum", erklärt er. Und sollte man doch einmal aussteigen müssen, weil man muss, dann hat die Firma Osram ihm bereits für die WC-Container Röhren mit hartem UV-Licht angeboten, das Viren abtötet. "Bei so einem Open-Air bestünde keine Infektionsgefahr. Und die Nachbarn müssten sich auch nicht vor Lärm fürchten. "Wir stellen keine Lautsprecher auf, die hat ja jeder im Auto." Praktisch eben.

Überhaupt hat der Event-Spezialist, der mit der G.R.A.L. GmbH 26 Jahre lang die Kino-Open-Airs am Königsplatz organisierte, auf alle möglichen Bedenken Antworten parat: Filmrechte bekäme er dank alter Kontakte schnell, die örtlichen Schausteller und Gastronomen wolle er einbinden, Corona-Helfer erhielten Vorzugskarten, finanzielle Unterstützer und Technikpartner stünden parat - nur die Genehmigung von der Stadt fehle noch. Ans KVR und fürs Oktoberfest zuständige Wirtschaftsreferat habe er geschrieben, geantwortet hat aber noch niemand. Dabei hätten ihn bereits andere Kommunen um Rat gebeten, die seinem Beispiel folgen wollen.

Auch Kulturspektakel, Konzerte oder Live-Acts möglich

Nicht nur Städte wollen die Idee kopieren, auch Mitbewerber strecken ihre Fühler nach der Theresienwiese aus - für ein ähnliches Projekt. Die Münchner Stadtmedien GmbH, die den Kinosommer am Olympiasee veranstaltet, will hier gemeinsam mit den 70 Mitgliedern des Verbands der Münchner Kulturveranstalter (VdMK) ein "Kreativzamm-Festival" steigen lassen - ein "Non-Profit-Festival", auch zur Abwehr "einzelner Veranstalter", die gerade "vorpreschen und versuchen, sich Flächen zu sichern, auf welchen in den kommenden Wochen und Monaten Kultur stattfinden" könne.

Ihre Idee ist ebenfalls ein kontaktloses Kulturspektakel - für bis zu 700 PKW. Der Nordteil der Theresienwiese würde in vier Quadranten unterteilt werden, einer mit einer Großbühne für Konzerte, Kabarett, Live-Acts, einer mit einer Leinwand für Open-Air-Kino, und zwei mit je einer Kleinbühne für Kinderkino und kleinere Acts. Gewinne würde man unter dem Veranstaltungsverbot leidenden Kreativen spenden; wer Ideen hat, könne sich melden, auch die Stadt hat man zur Kooperation eingeladen.

Eine Zusammenarbeit kann sich auch Alexander Wolfrum vorstellen. Zumal auch sein Konzept weit mehr als Autokino für etwa zehn Euro Eintritt pro Person vorsieht: Münchner Theater könnten hier Vorführungen vor großem Publikum spielen ("Christian Stückl kann mich gerne anrufen."), Musikclubs ihre DJs auflegen lassen, der FC Bayern und die Sechziger ihre Geister-Fußballspiele übertragen. "Wir machen Veranstaltungen nicht gegeneinander, sondern für München", sagt er im Hinblick auf den VdMK, der ihm sein Gegen-Konzept geschickt habe und dessen Vorsitzender er zwölf Jahre lang gewesen sei. "Ich habe da keinen Herrschaftsanspruch", sagt er, "aber einer muss für die Finanzen und die Sicherheit die Verantwortung tragen. Und wir arbeiten da jetzt schon länger dran."

Und länger werden die Bewerber wohl noch warten müssen. Beim Wirtschaftsreferat heißt es, es lägen mehrere Anträge vor. Die würden zunächst geprüft, dann würden die betroffenen Bezirksausschüsse beraten, und bevor man per Ausschreibung einen Veranstalter ermitteln könnte, müssen erst die Stadträte eruieren, ob derlei im Sinne Münchens sei. Die nächste Ausschusssitzung sei Ende Mai. Womöglich ist die Idee dann schon überholt.

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Quelle:
SZ vom 25.04.2020
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