Süddeutsche Zeitung

Kunst in der Krise:Auftrittsmöglichkeiten für alle

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München will den Künstlern der Stadt Bühnen unter freiem Himmel bereitstellen. Geplant ist, mit Sondermitteln eine dezentrale Infrastruktur zu schaffen.

Von Michael Zirnstein

Durch die neue Corona-Kreativität können Straßenkonzerte als Demonstrationen getarnt werden, können Kinos aufploppen und Kabarettzirkusse fliegen. Da verwundert es nun gar nicht, dass eine bald losziehende Open-Air-Bühne der Stadt München auch wandern kann. Im Grunde geht es bei all dem um dasselbe: Allen, die endlich wieder vor Publikum spielen wollen, Auftrittsmöglichkeiten zu schaffen. Und zwar da, wo es gerade praktikabler erscheint, nämlich relativ virussicher unter freiem Himmel. Die Rathausregierungskoalition aus SPD, Grünen, Volt und Rosa Liste hat daher vor einer Woche die Stadt aufgefordert, die "Kunst- und Kulturszene bei der Wiedereröffnung zu unterstützen" und einen "Sommer der Künstler*innen" angeschoben. Und das Kulturreferat hat prompt reagiert.

Katrin Habenschaden, die grüne (Kultur-)Bürgermeisterin, steht voll hinter der Idee, zumal in diesem Sommer, den mehr Münchner als sonst in ihrer Stadt verbringen werden, ein "Run auf unsere Freiflächen" zu erwarten ist. Sie sagt: "Münchens Kulturschaffende sind von den Corona-Auflagen besonders hart getroffen. Als Landeshauptstadt wollen wir unsere einzigartige Kunst- und Kulturszene unbedingt erhalten. Wir werden deshalb Plätze für Open-Air-Veranstaltungen öffnen und Geld für Künstler-Honorare bereitstellen."

Das Kulturreferat hat rasch eine Lösung erarbeitet und diese als dringende Tischvorlage in den Kulturausschuss am Donnerstag eingebracht. Denn Kulturreferent Anton Biebl weiß: "Die Kulturszene wartet auf ein Zeichen von uns." Er findet: "Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, das Kulturleben in dieser Stadt verantwortungsvoll zu gestalten - für Kulturschaffende und für das Publikum. Wir verlagern das Programm in diesem Jahr nach draußen und schaffen Kulturerlebnisse, die in die Zeit passen. Inspiration und Lebensfreude kann man auch 'mit Abstand' genießen."

Das Konzept dockt an das Projekt "Sommer in der Stadt" an, mit dem das Wirtschaftsreferat vor allem Wiesn- und Dult-losen Schaustellern und Marktkaufleuten Verdienstmöglichkeiten schafft. An mehreren Plätzen verteilt in der Stadt sollen dabei Mini-Volksfeste aufgebaut werden (wobei auch eine Achterbahn im Olympiapark im Gespräch ist). Genau dort, aber zudem auch an anderen Stellen soll das Ziel der neuen "Stadtteil-Wanderbühne" sein. Sie zieht von Ende Juli an täglich weiter zu einem von 13 Standorten, zum Beispiel dem Laimer Interim im Westen, dem Giesinger Bahnhofsplatz im Osten, zur Mohr-Villa im Norden und vor den Bürgersaal Fürstenried im Süden. Auf dieser "temporären, dezentralen Infrastruktur für Kunst und Kultur im Freien" können die Stadtteilkulturzentren ihre bereits geplanten Programme nach draußen verlagern. Auch weitere lokale Kulturschaffende könnten sie nutzen. Auftrittswillige können sich per Email an booking@vdmk.info bewerben.

Zudem will das Kulturreferat von Anfang August an eine "Sommerbühne" fest installieren. Den dafür vorgesehenen "zentralen Ort", an dem je nach Lockerung der Sicherheitsregeln auch mehr Gäste Platz fänden, konnte Biebl noch nicht verraten, gab aber zum Warum einen Hinweis: " ... weil er von den abschließenden Gesprächen mit der Olympiapark GmbH abhängt." Heißer Kandidat: das ungenutzte Theatron. Das "bunte, dichte Kulturprogramm" werde "quer durch alle Stile und Genres" bestückt vorzugsweise mit lokalen Künstlern, die faire Gagen erhalten sollen. Es soll vom Verband der Münchner Kulturverstanstalter (VdMK) "zentral und neutral" gesteuert werden, zusammen mit Partnern wie Kreativzamm oder Munich Rescue Stage. Diese vom Kulturreferat angeschobene "vernetzte Planung" soll von einer "großen Solidarität" geprägt sein, "die sich in Kommunikation und Konzept widerspiegeln soll".

Die meisten Veranstaltungen werden wohl keinen Eintritt kosten. Um Massenaufläufe zu verhindern, wird an einem Reservierungssystem gearbeitet. Fest steht schon, wer die Last der Sommerbühnen stemmen muss: das Kulturreferat. Zwar ist noch nicht raus, wie stark dessen normaler Etat in diesem Jahr noch gekürzt werden muss, um die Corona-Löcher im Stadthaushalt mit zu stopfen. Aber "für die Open Air-Bühnen wollen wir Sondermittel bereitstellen", sagte Julia Schönfeld-Knor, Stadträtin der SPD und Korreferentin des Kulturreferats. Auch einige Bezirksausschüsse hätten schon Hilfe signalisiert. Quer durch alle Parteien fand das Konzept großen Anklang. Dem Antrag der SPD, auch die Initiative "Kultur vor dem Fenster" einzubinden, wurde ebenso zugestimmt wie der Anregung der Stadträte Thomas Lechner (Die Linke) und Sonja Haider (ÖDP), aktiv Spenden zu sammeln - gerade für die vielen arbeitslosen Künstler, die auf den Sommerbühnen nicht zum Zug kommen. Der Kulturausschuss bewilligte für acht Wochen Programm auf Wander- und Sommerbühne nachträglich 480 000 Euro, dazu kommen "projektübergreifende Kosten" für Werbung und Ticketing (100 000 Euro), 100 000 Euro Puffer und 150 000 Euro zur Unterstützung weiterer Projekte, insgesamt also 950 000 Euro. Beatrix Burkhardt, CSU, bat sogar darum, den "Sommer in der Stadt" in den Herbst zu verlängern, andere Stadträte wünschten sich, das Ganze auch nach Corona zu verstetigen, wie etwa Barcelona es macht.

Stadt und städtische Institute machen noch mehr zur Bereicherung der Kultur in Corona-Zeiten: Das Deutsche Theater plant eine Kabarettreihe von 31. Juli bis 31. August in seinem Hof, das NS-Doku-Zentrum möchte Veranstaltungen auf dem Vorplatz anbieten, im Innenhof des Stadtmuseums soll es neben Fahrgeschäften Puppentheater geben, das Valentin-Karlstadt-Musäum zeigt bereits eine Außenausstellung über Wiggerl Greiner und will von 29. bis 31. Juli draußen Kabarett, Musik und Kinderprogramm anbieten, die Internationale Jugendbibliothek im Schloss Blutenburg lädt von 11. Juli an zu 70 Veranstaltungen, und der Gasteig klärt, ob die Philharmoniker auf dem Celibidache-Forum Familienkonzerte geben können.

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Quelle:
SZ vom 03.07.2020
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