Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft in der Altstadt:Die Hoffnung ruht auf den Daheimgebliebenen

Lesezeit: 4 min

Touristen kommen nur sehr langsam wieder, also setzen Händler und Stadtführer auch auf die Einheimischen. Aber was kauft ein Münchner in München?

Von Julian Hans

Doch, alles in allem gefalle ihnen München gut, sagen die drei älteren Damen, die gerade am Bahnhof aus dem roten Doppeldeckerbus gestiegen sind. Nach einer Stunde Stadtrundfahrt nehmen sie erst mal ihre Masken ab und atmen durch. Spanien kannten die Thüringerinnen schon, und weil es in diesem Jahr nicht so einfach ist mit den Fernreisen, haben sie sich für die bayerische Landeshauptstadt entschieden. Am Schloss Nymphenburg waren sie und auch an der Eisbachwelle; "aber nur Zugucken", sagt die Rentnerin mit der grauen Krause. Schade nur, dass sie wegen Corona nicht auf den Olympiaturm konnten. Und "ein bisschen viele Baustellen" gebe es, schreit die andere über den Lärm eines Baggers hinweg, der über die Luisenstraße rattert.

Langsam, sehr langsam kommen die Touristen wieder. Aber es sind andere Touristen als in den vergangenen Jahren. Die Menschen, die sich jetzt wieder zur vollen Stunde in Grüppchen auf dem Marienplatz versammeln und die Köpfe in den Nacken legen, hatten keine besonders weite Anreise. Familien aus Hamburg, Rentner aus Düsseldorf. Ein paar Österreicher und Schweizer seien auch mal dabei, sagt die Fahrkartenverkäuferin vor dem Kaufhof am Stachus, wo die blauen Busse der Gray Line halten, die Konkurrenz der Roten.

Im Vergleich zum Vorjahr liege das Gästeaufkommen bei etwa 20 bis 25 Prozent, sagt Ralph Korek, Sprecher des Unternehmens Autobus Oberbayern, das die Gray Line betreibt. Eine große und eine kleine "Hop On Hop Off"-Tour kann man jetzt noch buchen. Von den vier Erlebnistouren, wurden drei aus dem Programm gestrichen: "Bavaria Filmstadt", "München bei Nacht" und "München und sein Bier". Nur die FC Bayern-Tour ist derzeit noch buchbar. Außerdem gibt es Sonderangebote: Ein zahlender Erwachsener darf bis zu vier Kinder kostenlos mitnehmen. So hoffe man, auch ein paar Münchner anzulocken, die in diesem Jahr daheim bleiben und sich die eigene Stadt mal mit den Augen eines Touristen ansehen wollen, sagt Korek. 17,50 Euro kostet das für das kleine "Hop On Hop Off", wenn man online bucht.

Etwa elf Milliarden Euro Umsatz hat der Einzelhandel in München vor der Corona-Krise in München gemacht. Einige hundert Millionen davon hätten Touristen ausgegeben, sagt Bernd Ohlmann, der Sprecher des Handelsverbands Bayern. Aber es waren vor allem die, die von weit her anreisten, die ihre Geldbeutel besonders weit öffneten: Besucher aus den Golfstaaten, Asiaten, Amerikaner. Weil noch völlig unklar ist, wann die wieder nach Europa reisen dürfen, hoffe auch der Einzelhandel auf die Einheimischen, sagt Ohlmann. Viele Münchner würden ja ihren Sommerurlaub in diesem Jahr zu Hause verbringen. "Unsere große Hoffnung ist, dass ein Teil des Urlaubsbudgets hier ausgegeben wird".

Nur was kauft ein Münchner in München? Bestimmt keine Souvenirs. "Unsere Existenz sind die Kuckucksuhren", sagt Anna Müller. Seit 40 Jahren ist sie im Souvenirgeschäft. Die 70-Jährige steht unter einer Reihe linksdrehender bayerischer Uhren im "Max Krug". Der Laden in der Neuhauser Straße hat sich auf originale Handwerkskunst aus allen Regionen Europas spezialisiert: Räuchermännchen und Elfpunkteengel aus dem Erzgebirge, Wanduhren aus dem Schwarzwald, Zinnkrüge aus Bayern, sogar handbemalte Matrjoschkas aus Russland gibt es. "Unsere Kunden sind Amerikaner, Chinesen, Mexikaner", zählt Müller auf.

Dass jetzt wieder Italiener kommen, ist nur ein schwacher Trost. Die kauften meistens nur einen Magneten für den Kühlschrank und vielleicht einen Bierkrug. Aber davon kann der Laden nicht existieren. Mehr als ein Dutzend Sprachen beherrschen die Verkäuferinnen von Max Krug, sie verschicken Kuckucksuhren in die ganze Welt, wenn die Kunden sie nicht in den Koffer packen wollen. Aber gerade können sie ihr Spezialwissen nicht einsetzen. Die Öffnungszeiten sind verkürzt, die Mitarbeiter in Kurzarbeit. Wenn der Freistaat als Vermieter nicht so kulant wäre, hätten viele Pächter in der Neuhauserstraße wohl längst aufgegeben.

Seit im Erdinger Moos kaum noch Maschinen aus Asien oder Übersee landen, wird schmerzhaft deutlich, wie sehr sich gerade die Altstadt auf kaufkräftige Besucher aus dem Ausland eingestellt hat. Die vielen Geschäfte für Messer aus Solingen und Töpfe von WMF. Und natürlich für hochwertige Koffer: Das Schaufenster bei Lederwaren Hetzenecker am Stachus ist über und über mit roten Schildern beklebt. "Räumungsverkauf bis 70 Prozent". Aber was hilft das, wenn die Zielgruppe es nicht lesen kann? Hauptkunden seien Touristen aus Asien, sagt eine Verkäuferin. "Es kommt niemand". Immerhin, geschlossen werden soll der Laden nicht. Erst einmal wird umgebaut. Und bald brauchen ja auch die Erstklässler wieder Schulranzen - wenn sie denn nicht zu Hause unterrichtet werden.

Es gebe auch ein paar Branchen, denen es gut gehe unter den neuen Vorzeichen, sagt Bernd Ohlmann vom Handelsverband. Außer den Drogerien und Lebensmittelläden seien das etwa Fahrradgeschäfte und Baumärkte: Im Home-Office ist wohl vielen aufgefallen, dass man das Wohnzimmer mal wieder streichen könnte. Und in der Kurzarbeit hatten sie die Muße, den Garten oder den Balkon zu verschönern. Schlecht gehe es dagegen dem Textilhandel, der den größten Anteil am Einzelhandel in Bayern hat. Im Frühjahr war der Umsatz bei den Kleidungsgeschäften um die Hälfte eingebrochen. Jetzt gibt es immerhin eine kleine Erholung, der Umsatz liege nur noch etwa ein Drittel unter dem des Vorjahres. Die Maskenpflicht verderbe den Kunden einerseits das Lustshoppen, glaubt der Verbandssprecher. Andererseits könnte sie aber auch Vertrauen schaffen, wenn eines Tages wieder Flieger aus Japan und China landen, denn für viele Asiaten gehörten Masken seit vielen Jahren ganz selbstverständlich zum Alltag und seien eher ein Zeichen von Rücksichtnahme und Sicherheit.

Sind da vielleicht schon die ersten Vorboten? Am Platzl sitzt eine asiatisch aussehende Familie in der Sonne und blättert in der englischsprachigen Ausgabe der Speisekarte. Die sehen aus, als würden sie aus Asien kommen. Nein, aus Stuttgart, sagt der Herr. Er arbeite bei Bosch. Für ein Projekt braucht er ein Visum für Taiwan. Immerhin, vor ihrem Termin im Konsulat gibts noch bayerisches Essen beim Ayinger. Und dann will seine Frau noch ein bisschen shoppen.

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Quelle:
SZ vom 08.07.2020
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