Süddeutsche Zeitung

Corona-Regeln in München:Das Alkoholverbot ist Symbolpolitik, aber ein richtiges Signal

Lesezeit: 1 min

Am Erlass, ab 22 Uhr keinen Alkohol auszuschenken, lässt sich viel kritisieren - Seuchenherde sind Gaststätten nicht. Wichtig ist indes, dass die Stadt sagt: Bis hierhin und nicht weiter!

Kommentar von René Hofmann

München und der Alkohol - das ist eine ganz besondere Beziehung. In der Stadt wird nicht nur das weltweit größte Bierfest gefeiert, hier steht auch das viel besungene Hofbräuhaus. Und im Sommer, wenn die Spritzgläser der Sonne entgegenkreisen, sieht es mitunter tatsächlich so aus, als gehöre dieses Monaco schon zu Bella Italia. Das öffentlich zur Schau gestellte Verhältnis zu alkoholhaltigen Getränken ist geprägt von einer Leichtigkeit, die an einigen Stellen in eine Unbedarftheit lappt, weshalb es das Lebensgefühl schon nachhaltig verändert, wenn es nun statt "Oans, zwoa, drei, g'suffa!" gegen 22 Uhr in den Gaststätten heißt: "Bitte schnell austrinken!"

Mit den neuen Vorgaben reagiert der Corona-Krisenstab auf die steigende Zahl der Infektionen, und die Rathaus-Gewaltigen unternehmen einen neuen Anlauf, eingängige Regeln für ein emotionales Thema zu erlassen. Der erste Versuch dazu war vor rund sechs Wochen gescheitert. Damals hatte der bayerische Verwaltungsgerichtshof die Anordnung als unverhältnismäßig eingestuft, dass zwischen 23 und 6 Uhr auf allen öffentlichen Plätzen kein Alkohol getrunken werden dürfe. In der Folge erging dann eine Regelung, die Hotspots auf den Meter genau eingrenzte - was zwar juristisch einwandfrei war, die Kraft des Verbots aber deutlich abschwächte.

Seit Corona über das Land kam, stehen Politiker häufiger vor dieser Frage: Was ist besser, um die Pandemie einzudämmen - klare Regeln, weil die jeder versteht? Oder fein ziselierte, die auf viele Einwände Rücksicht nehmen und am Ende womöglich mehr Menschen überzeugen? Der Prohibitionsvorstoß aus dem Rathaus ist vor allem Symbolpolitik. Gegen ihn lässt sich einiges einwenden. Gaststätten galten bisher nicht unbedingt als Seuchenherde. Und wer es darauf anlegt, kann sich dort auch bis 22 Uhr schon einen Zustand antrinken, in dem der erste Gedanke nicht mehr dem Abstandsgebot gilt. Außerdem könnte es einen Verdrängungseffekt geben, weg aus dem öffentlichen und halb-öffentlichen Raum, für den Regeln aufgestellt und in dem Regeln kontrolliert werden können, hin in den privaten, wo beides weit weniger leicht möglich ist.

Wie ausgeprägt der Hang dazu in Teilen der Gesellschaft inzwischen ist, belegen Meldungen wie die von der am Wochenende aufgelösten Rave-Party im Schlachthofviertel. Auf all das wird in den nächsten Tagen zu achten sein. Angesichts der dramatischen Entwicklung ist es aber erst einmal ein begrüßenswert deutliches Signal: Bis hierhin und nicht weiter!

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5063393
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.10.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.