Süddeutsche Zeitung

Coronakrise in München:Kinder können nicht alles aushalten

Lesezeit: 1 min

In München müssen nun auch Grundschulkinder Masken tragen. SPD-Fraktionschefin Anne Hübner twittert, dass sie das aushalten - und offenbart damit einen Mangel an Einfühlungsvermögen.

Kommentar von Peter Fahrenholz

Dass Kinder zu den Hauptopfern der Coronakrise gehören, bestreitet mittlerweile kaum noch jemand. Das gilt vor allem für die Kleinsten, von der Kita bis zur Grundschule. Ihnen während des Lockdowns begreiflich zu machen, warum sie ihre Einrichtungen nicht mehr besuchen konnten, warum sie ihre Freunde nicht mehr sehen durften, warum Oma und Opa nicht mehr zu Besuch kamen, gehörte zu den schwierigsten Aufgaben für die Eltern. Vor allem das Schulsystem hat, von löblichen Ausnahmen abgesehen, flächendeckend versagt, quer durch alle Bundesländer. Schulen ohne Wlan, Lehrer, die noch nicht einmal eine dienstliche Mailadresse haben, Schulleitungen, die sich hinter allen möglichen Bedenken verschanzen, statt mutig zu improvisieren - in der freien Wirtschaft wäre all dies undenkbar.

Die Kinder wurden von den Politikern einfach im Stich gelassen. In vielen Familien hat das Spuren hinterlassen. Kinder, die plötzlich wieder zu Bettnässern wurden, die Angst vor dem Einschlafen hatten, Angst vor dem nächsten Schultag. Jetzt müssen, weil so viele Erwachsene die Regeln missachtet haben und die Infektionszahlen drastisch steigen, in München auch Grundschüler im Unterricht Masken tragen und danach auch in den Betreuungseinrichtungen.

Und da kommt Anne Hübner, die SPD-Fraktionschefin im Rathaus, um die Ecke und findet das nicht weiter schlimm. "Die Kinder halten das aus", twitterte sie. Und offenbarte damit zweierlei: eine komplette Ahnungslosigkeit über die Situation in vielen Münchner Familien. Und einen völligen Mangel an Einfühlungsvermögen. Nein, Kinder können nicht alles aushalten, Frau Hübner. Sie mussten schon zu viel aushalten und sie müssen mit den aktuellen Verschärfungen noch mehr aushalten. Geburtstagsfeiern, die in letzter Minute abgesagt werden, zum Beispiel. Die SPD ist im Rathaus nur noch die drittstärkste Fraktion. Mit Führungspersonen, die so unbedarft drauflosschwätzen, könnte es durchaus noch weiter bergab gehen. Ein hartes Urteil? Gewiss. Aber Anne Hübner kann das sicher aushalten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5079124
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.10.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.