Süddeutsche Zeitung

Unterwegs mit dem "Münchner Bergbus":Von Giesing aus ins Gipfelglück

Lesezeit: 5 min

Der "Münchner Bergbus" startet mit Edelweiß-Logo Richtung Berge - eine Alternative für Wanderer mit und ohne Auto. Zehn Wochen lang läuft die Testphase.

Von Martin Bernstein

Na prima, sagt die Frau auf dem Gipfel des 1613 Meter hohen Schildensteins. Erst Dreivierteleins. "Dann klappt das ja mit 18 Uhr!" 18 Uhr? Ihr Bergkamerad ist irritiert. Was soll da...? "Fußballspiel?!" sagt die Frau. Es ist ein besonderer Bergtag, dieser 19. Juni. Weil es eben auch der Tag des EM-Spiels zwischen Deutschland und Portugal ist. Der Stau in den Mittagsstunden ins Tegernseer Tal hinein fällt ein bisschen kürzer aus als üblich. Und die Wirtin auf der Königsalm hoch überm Weißachtal hat trotz ihres formidablen Käsekuchens an diesem Tag sogar Zeit zum Kaffeetrinken. Manche Hardcore-Fans des runden Leders haben sich trotz bilderbuchmäßigen Bergwetters gar nicht erst auf den Weg gemacht. Zumindest nicht dorthin, wo die Passagiere des ersten Bergbusses der Sektionen München-Oberland im Deutschen Alpenverein (DAV) hinwollen.

Es hat ein bisschen gedauert, ehe der erste Bergbus vom Giesinger Bahnhof Richtung Blauberge und Rofangebirge starten kann. Die dritte Corona-Welle. Statt an Pfingsten geht es während der Europameisterschaft los. "Kleine Schritte machen in den Bergen", warnt eine Wanderin unterwegs ihren Begleiter.

So gesehen ist es kein schlechter Termin für den Start der zehnwöchigen Bergbus-Testphase, an der außer der DAV-Doppelsektion, die ein Siebtel aller Alpenvereinsmitglieder vertritt, die Stadt München, der Verkehrsverbund MVV, das Busunternehmen Geldhauser, mehrere Kommunen bis hinunter nach Tirol sowie der Naturpark Ammergauer Alpen beteiligt sind. Bei einer Umfrage unter DAV-Mitgliedern im Jahr 2014 gaben nur 17 Prozent an, dass sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu ihren Touren anreisen, mehr als 71 Prozent setzen auf das Auto. Das soll sich ändern.

So gesehen ist morgens um 6 Uhr in Giesing die Welt noch in Ordnung. Fast alle sind mit dem MVV angereist, das Ticket ist immerhin im Preis inbegriffen. Ein paar sind auch zu Fuß da oder haben ihren ersten Berg schon absolviert, den Giesinger Berg mit dem Radl. "Münchner Bergbus" steht auf dem wartenden Doppeldecker, dazu das Edelweiß-Logo des DAV und vorne der Zielort: "Rofan Achenkirch".

Mit dem Auto braucht man, wenn's gut geht, für die Strecke eineinhalb Stunden. Schneller kann der Bus nicht sein. Aber billiger. Zwei Bergfreunde im Auto geben für die Fahrt, so sie denn ehrlich rechnen, und für Parkgebühren um die 60 Euro aus. Den Platz im Bergbus kriegen sie günstiger - 22 Euro pro Person, für DAV-Mitglieder gibt's Rabatte.

Aber vielleicht ist das nicht die entscheidende Vergleichszahl. "Ich habe gar kein Auto!" Viele Mitfahrer im Bus schütteln bei der Frage den Kopf, fast alle fahren öffentlich in die Berge. Die Vergleichszahl hier: Bis zum letzten in Deutschland gelegenen Haltepunkt, der Klamm bei Kreuth, dauert es mit Zug und Linienbus knapp zwei Stunden. Das kostet 35 Euro.

Wer wie Dominik Gelsheimer regelmäßig in den Bergen unterwegs ist, weiß das. Der 31-Jährige kennt die öffentlichen Verkehrsmittel, die ihn dem Gipfelglück näher bringen sollen, in- und auswendig. Die Fahrpläne, die Routen - und die Tücken. Vor allem dann spürt er die, wenn er sein Mountainbike dabei hat. Da bleiben ihm nur Bahnstrecken. Welcher Berg hat schon Zuganschluss? Und selbst wenn... Ist der Zug voll, heißt es warten.

Im Bergbus kann ihm das nicht passieren. "Ich hätte gedacht, die fünf Radl-Plätze sind sofort ausgebucht", wundert sich der einzige Mountainbiker bei der Jungfernfahrt. Er hat Wildes vor. Von Steinberg in Tirol aus will er auf den 1963 Meter hohen Guffertstein, dann vielleicht noch andere Gipfel mitnehmen und schauen, bis zu welchem Haltepunkt er in den neun Stunden kommt, die ihm der Fahrplan lässt. Spoiler: Auch wenn die Route im Detail dann anders aussieht als im Plan - er schafft es, pünktlich zur Rückfahrt wieder in Steinberg zu sein, Gipfelerlebnis inklusive. "Jederzeit wieder", ist sein Fazit. Und er bringt haufenweise Ideen mit, wie der DAV sein Bergbus-Programm noch aufhübschen könnte: Mehr Ammergauer! Mehr verschiedene Routen! Mehr Abwechslung!

Ulrich Hansmair, 51, schreibt alles auf. Der frühere Fachübungsleiter Sportklettern der Sektion hat sich reaktivieren lassen für die Fahrt. Nicht über Schwierigkeitsgrade, Sicherungsknoten und Klemmkeile soll der 51-Jährige jetzt wachen, sondern über Fahrtzeiten und Teilnehmer. Eine Rundtour bis auf 2078 Meter hinauf springt für ihn am Zielort auch noch raus. Dass oft der Weg das Ziel ist in den Bergen, zeigen Eva Lenz und Christian Peitgen. Die beiden, die sonst "immer nur mit dem Zug" in die Berge fahren, wollen die Gelegenheit nutzen, die der Bus ihnen bietet, und unbekanntes Terrain erkunden.

Der Ziereiner See, ein funkelndes Kleinod mitten im Rofan-Gebirge, hat es ihnen angetan. Am Abend dann, als die deutsche Nationalmannschaft gerade dabei ist, ihre Turnierbilanz in Ordnung zu bringen, und die Bergwanderer ihren Flüssigkeitshaushalt in einem Supermarkt am Giesinger Bahnhofsplatz - da werden sie erzählen: Nein, die 20 Kilometer und 1300 Höhenmeter waren dann doch etwas zu ambitioniert bei den hochsommerlichen Temperaturen. Eine feine Sache war der Ausflug trotzdem.

"Schmankerltouren" will der DAV mit dem Bergbus möglich machen. Das für die erste Fahrt ausgewählte Gebiet ist prädestiniert dafür, auch wenn die Gebirgslandschaft zwischen Unnütz und Schinder, rein von den Bergnamen her betrachtet, das so gar nicht erwarten lässt. Zeit genug für ungeplante Entdeckungen bietet der Fahrplan allemal. Etwa einen Abstecher auf die 1540 Meter hoch gelegene Blaubergalm, einen Aussichtsbalkon mit Traumblick auf den majestätischen Felsklotz des Guffert, auf den stahlblauen Achensee und die nach und nach aus dem Dunst auftauchenden Karwendel-Ketten.

Der Nahblick ist auch nicht schlecht: spielende Murmeltiere. Jetzt eine Schorle nachgießen, dazu eine Kaspressknödelsuppe... Leider hat man vergessen, dass die Alm schon in Österreich liegt. 100 Meter, die in Coronazeiten einiges ausmachen. Impfnachweis? Wer hat schon sein gelbes Heftchen im Rucksack? "Wir bieten auch Schnelltests an!" Lieb gemeint - aber wegen einer Kaspressknödelsuppe? Die beiden Mitreisenden aus dem Bus, die eine ähnliche Route gehen, sehen das auch so. Man hat sich schon zuvor mehrmals gegenseitig überholt und gegrüßt. "Sie sind doch der Mann mit dem Hund?" Äh, nein...?! "Oh, Entschuldigung! Wir dachten schon, den hätten Sie irgendwo ausgesetzt." Witzig.

"Ah, der Mann mit dem Foto!" freuen sich andere aus dem Bus. Das schon eher... So entstehen Bergkameradschaften. Auch beim finalen Warten auf den Bergbus. Wobei: Man wartet nur, weil man zu früh dran ist. Der Bus ist auch auf der Rückfahrt pünktlich, den Fahrplanmachern (und vielleicht dem EM-Vorrundenspiel) sei's gedankt.

Vaclav Brozek, 37, taucht am Haltepunkt Klamm auf. Eine entspannte Plauderei über Bergsteigen mit und ohne Kinder entwickelt sich. Eigentlich, denkt man insgeheim, dürfte der Mann gar keine Puste mehr haben fürs Reden. Einmal Blaubergekamm rauf, rüber und runter, das sind laut Wanderführer 1500 Höhenmeter, 21 Kilometer und geschätzt neun Stunden Gehzeit. Der vergnügte Münchner hat das gerade hinter sich, inklusive Einkehr im Wandererparadies Siebenhütten, einer Alm schon wieder drunten im Tal. "Heiß war es schon", sagt er. Aber wunderbar. Die nächste Tour mit dem Bergbus hat er offenbar schon fest im Kopf. "Das wäre doch auch was mit den Kindern." Es gibt ja auch kleinere Touren mit mehr Bach als Berg und mehr Almboden als Höhenmetern.

Und dass man die EM an diesem Tag verpasst hat? Gar nicht schlimm. Manche zücken auf der Heimfahrt im Bus ihre Smartphones, um den Live-Stream zu verfolgen. Im Auto wäre das nicht gegangen. Und was ist überhaupt eine EM gegen eine veritable WM? Auf dem Abstieg von der Königsalm kommt der Bergwanderer an merkwürdigen hölzernen Aufbauten am Weg vorbei. Die Naturbahn des Rodelclubs Kreuth. 1984 hat dort tatsächlich eine Weltmeisterschaft stattgefunden. Schmankerltouren hat der DAV versprochen? Aber hallo!

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Quelle:
SZ vom 21.06.2021
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