Süddeutsche Zeitung

Münchner Norden:Flüchtlinge müssen Bayernkaserne räumen

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Obwohl der letztmögliche Termin für einen Auszug lange bekannt war, hat die Stadt noch immer keinen Ersatz.

Von Thomas Anlauf

Die Kündigung ist ausgesprochen. Am 24. September erhielt der Sicherheitsdienst Jonas Better Place ein Schreiben des Münchner Kommunalreferats. "Kündigung der Mietverhältnisse in den Gebäuden 17, 18 und 43, ehem. Bayernkaserne" steht in dem Brief. Die Häuser müssen bis Ende Dezember "rechtzeitig geräumt und besenrein an die Stadt" zurückgegeben sein. Hinter diesem Schreiben stecken Hunderte menschliche Schicksale. In den städtischen Gemeinschaftsunterkünften leben nach Informationen der Süddeutschen Zeitung derzeit 55 Menschen in Haus 17 und 53 in Haus 18 - das sind ausschließlich Familien und alleinreisende Frauen mit und ohne Kinder. 105 Menschen wohnen in Haus 43. Sie alle müssen in wenigen Wochen raus.

Wo die Menschen nun unterkommen sollen, ist weitgehend unklar. Das Sozialreferat arbeitet an einer Lösung in letzter Minute. Denn es gab offenbar mehrere Kommunikationspannen. Ein hochrangiger Mitarbeiter des Kommunalreferats soll noch im Frühling dem Sozialreferat signalisiert haben, dass die drei ehemaligen Kasernengebäude an der Heidemannstraße nicht zwingend bis Ende dieses Jahres geräumt werden müssten. Es gebe noch einen Zeitpuffer von etwa einem halben Jahr, berichten verschiedene Experten aus dem Umfeld des Sozialreferats und auch direkt mit dem Fall Betroffene. Doch die Häuser, die nun geräumt werden müssen, liegen direkt im Baufeld für das künftige Wohnquartier auf der ehemaligen Bayernkaserne im Münchner Norden, das bald 15 000 Menschen Platz bieten soll.

Das ist seit Jahren bekannt, auch der Zeitplan für die Umwandlung des Gebiets steht. Auf einer Internetseite des Sozialreferats leuchtet rot markiert der Auszugstermin 31. Dezember 2020. Das Sozialreferat räumt allerdings ein, dass nun "die Möglichkeit der Unterbringung beziehungsweise die freien Bettplätze, gerade für die vulnerable Zielgruppe Haushalte mit Kindern" im städtischen dezentralen Unterbringungssystem "aktuell begrenzt" sei. Man sei zwar "zuversichtlich, dass alle Personen aus den zu schließenden Unterkünften in anderen Unterkünften der dezentralen Unterbringung einen Platz finden", teilt das Sozialreferat mit. Experten gehen jedoch davon aus, dass mindestens 200 Menschen aus den Häusern der Bayernkaserne Ende des Jahres keine Unterkunft mehr haben werden.

Das Kommunalreferat als Vermieter betont auf SZ-Anfrage, "dass spätestens mit Ablauf dieses Jahres keine weitere Nutzung mehr möglich sein würde". Eigentlich seien die "Zwischennutzungen" der ehemaligen Kasernenbaracken ursprünglich bis Ende Dezember 2016 zugesagt worden. Dennoch ist das Sozialreferat nun von der Kündigung offenbar kalt erwischt worden. Hausintern ist sogar davon die Rede, dass die städtische Unterbringungspflicht für die Menschen gefährdet sei und Ersatzunterkünfte derzeit nicht in Sicht seien. Zudem müssten eigentlich Plätze für neue Unterkünfte ausgeschrieben werden - eine monatelange Prozedur.

Das System der Unterbringung sei "an die Wand gefahren", kritisieren die Grünen

"Es wäre wichtig gewesen, analog zum Baufortschritt des Wohnquartiers der Bayernkaserne auch einen Plan für die Unterbringung der Menschen in den Unterkünften zu haben", sagt Andrea Betz, Abteilungsleiterin bei der Inneren Mission und zuständig für die Betreuung der Menschen in der Bayernkaserne. "Aber jetzt ist es zu spät." Es gebe offenbar keine Alternativstandorte, jetzt würden die Menschen mit Kindern quer über München verteilt. Auch eine Sozialbetreuung sei schwierig, wenn die Geflüchteten kurzfristig in Pensionen untergebracht würden. Auch Grünen-Stadtrat Bernd Schreyer moniert, dass das Problem seit Jahren bekannt sei. Das ehemalige Stadtratsbündnis aus CSU und SPD hätte lange vor der Wahl keine Standorte für Unterkünfte genehmigen wollen. Nun sei das System "an die Wand gefahren".

Die Linke im Stadtrat forderte am Dienstag in einem Dringlichkeitsantrag, dass das Sozialreferat gemeinsam mit dem Kommunalreferat "umgehend adäquate Ersatzunterkünfte für die Gemeinschaftsunterkünfte" schaffen soll. Den Stadträten ist es auch wichtig, dass die betroffenen Familien möglichst in der Nähe des bisherigen Wohnorts eine neue Bleibe finden. Sonst würden "die Betroffenen aus ihren sozialen Strukturen gerissen, müssen gegebenenfalls sehr weite Wege zu ihren Arbeitsplätzen auf sich nehmen und die Kinder verlieren ihre Betreuung durch die sozialen Träger".

Die Räumung von drei Gebäuden der Bayernkaserne ist nicht die einzige Maßnahme, die demnächst ansteht. Derzeit muss auch die städtische Gemeinschaftsunterkunft in der Hofmannstraße aufgelöst werden. Auch sie war jahrelang nur eine Zwischenlösung für die Menschen. Sie lebten in einem Bürogebäude.

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Quelle:
SZ vom 07.10.2020
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