Süddeutsche Zeitung

Moosach:Das Domizil des späteren Papstes

Lesezeit: 3 min

Joseph Ratzinger hat einst als Kaplan in dem Stadtbezirk gewirkt und im Pfarrhaus an der Pelkovenstraße gewohnt - nun steht es zum Verkauf

Von Anita Naujokat, Moosach

Vier Wochen lang Kaplan in Moosach - das dürfte ihm noch gut in Erinnerung sein. Eigentlich sollte Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., in der Pfarrei Heilig Blut in Bogenhausen tätig sein. Doch Pfarrer Josef Knogler war von der Leiter gefallen, Kaplan, Mesner und Pfarrschwester urlaubsbedingt abwesend. Also wirkte Ratzinger von August bis September 1951 "leihweise" in der Pfarrei Sankt Martin. "Und es passierte so ungefähr alles, was passieren konnte", sagte er selbst über jene Zeit. Wenn er in Moosach etwas gelernt habe, dann das Beerdigen.

Im Schnitt habe der Neuling pro Tag bis zu drei Bestattungen auf dem Westfriedhof gehabt, erzählt der Heimatforscher Volker D. Laturell. Das Zimmer im Pfarrhaus an der Pelkovenstraße 60 soll so beengt gewesen sein, dass der junge Seelsorger jedes Mal über das Bett kraxeln musste, um am Schrank vorbei zur Tür zu kommen. Beeindruckt hätten Ratzinger aber die vielen Erntewagen, die täglich über die Pelkovenstraße rollten, ein "Traumdorf mitten in der Stadt", sodass es den jungen Seelsorger wenig störte, statt fließendem Wasser nur ein altes Waschgeschirr aus Emaille im Zimmer zu haben, ist anderen Quellen zu entnehmen.

Nun wartet auf das unter Denkmalschutz stehende Gebäude eine neue Zukunft. Die Erzdiözese München und Freising will, abgestimmt mit Pfarrer Martin Cambensy, das fast 760 Quadratmeter große Grundstück in Erbbaurecht vergeben, verbunden mit der Übernahme des stark sanierungsbedürftigen Gebäudebestands. Man habe, ebenso wie Sankt Martin, keinen Bedarf, sagt Christoph Kappes, Sprecher des Erzbischöflichen Ordinariats München. Auch sei eine Sanierung für die Pfarrpfründestiftung wirtschaftlich nicht umsetzbar. Ausgeschrieben ist es in einem Bieterverfahren bis Ende Februar. Das Mindestgebot sind 800 000 Euro; die Untergrenze des Erbbauzinses 12 800 Euro pro Jahr für das Grundstück. Ein Kauf im Volleigentum sei ausgeschlossen.

Der 1879/80 in spätklassizistischem Stil errichtete zweigeschossige Walmdachbau neben einer der ältesten, wenn nicht der ältesten noch bestehenden Kirche Münchens, war ursprünglich ein Armenhaus der Gemeinde. Im Erdgeschoss beherbergte es eine Gendarmerie-Station, die erste Etage war Domizil für Seelsorger. Im zugehörigen Waschhaus sperrten die Ordnungshüter die Halunken ein. 1909 gab die damalige Gemeinde Moosach das Haus dann unentgeltlich an die Katholische Pfarrpfründestiftung Sankt Martin Moosach ab. Seit fünf Jahren steht es nun leer. Neben Wohnen kommt für die Kirche laut Ausschreibung auch nichtstörendes Gewerbe oder eine gemischte Nutzung in Betracht. Dem Bezirksausschuss wäre allerdings eine Nutzung für die Öffentlichkeit am liebsten.

Der Sanierungsbedarf ist laut Kappes umfangreich. Es gebe Schäden an der Statik, den Decken und Balken in allen Geschossen, auch im Dachstuhl. Ein Abriss stehe außer Frage und sei wohl auch nicht genehmigungsfähig, sagt Kappes. Der ehemalige Pfarrhof ist sowohl ein Einzeldenkmal als auch Teil des geschützten Ensembles des alten Moosacher Ortskerns. Er liegt innerhalb des vom Stadtrat beschlossenen Sanierungsgebiets, finanziert aus dem Bund-Länder-Städteförderungsprogramm.

Es war reiner Zufall, dass Ratzinger 1951 wieder in den Münchner Norden kam. Denn als 16-Jähriger war er zuvor im August 1943 zusammen mit anderen Seminaristen aus Traunstein als Luftwaffenhelfer unter anderem nach Ludwigsfeld abkommandiert worden, um in einer Flakbatterie die BMW-Fabrik in Allach zu schützen. Er selbst bezeichnete sich als einen der Untalentiertesten, die Hitler je zur "Verteidigung der Heimatfront" geholt habe, lernte vielmehr die Schrecken des NS-Regimes kennen, wenn er erleben musste, wie die Kapos ihre ausgemergelten KZ-Mithäftlinge zur Arbeit in die Werkshallen trieben und diese Menschen auch noch abends quälten.

An Ratzingers kurzen Aufenthalt im Pfarrhof und sein Wirken in Moosach erinnert seit August 2006 eine Stele neben dem Haus. Eigentlich sollte es, initiiert von Laturell, nur ein Hinweistaferl werden. Er hatte dafür eine von der Raiffeisenbank München-Nord erhaltene Spende an Cambensy weitergegeben. Nach langen Debatten, so erinnert sich Laturell, wollte man in der Pfarrei allerdings Größeres. Und da so ein Gedenkstein teurer als eine Platte oder ein Schild ist, machte er eine Spende von Erich Dahringer locker, dem Chef der ehemaligen Spedition Ascherl. Auch das ist Geschichte. Ratzinger ist 1977 noch einmal nach Moosach gekommen, spendete in Sankt Martin die Firmung. Und er hielt noch lange Kontakt zu seinem Lieblingsbäcker Eberl, fortan nur noch "der Papstbäcker" genannt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5218980
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.02.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.