Süddeutsche Zeitung

Medizin:Eiweiß unter Beschuss

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Von Robert Gast

Das Fundament ist gesetzt, auch einige Wände stehen schon. Vor zweieinhalb Jahren hat der Wissenschaftsrat die gut 30 Millionen Euro teure Einrichtung von Technischer Universität (TU) und Helmholtz-Gesellschaft genehmigt. Auf einer Fläche von 1650 Quadratmetern soll ein Zentrum für "Magnetische Kernspinresonanz-Spektroskopie" entstehen, sie ist auch unter ihrer englischen Abkürzung NMR bekannt.

Damit können Wissenschaftler die Struktur von Eiweißen untersuchen, wovon sich Forscher Fortschritte in der Krebs- und Alzheimer-Medizin erhoffen. In dem neuen Gebäude, das Teil des seit 2001 bestehenden Bayerischen NMR-Zentrums wird, soll von 2018 an ein besonders leistungsfähiges Kernspinresonanz-Gerät Platz finden, ein sogenanntes 1,2-Gigahertz-Spektrometer.

Beschuss mit Radiowellen

Es kann die räumliche Struktur und die Bewegung von Proteinen genauer abbilden als jene sieben Spektrometer, die im NMR-Zentrum bereits im Einsatz sind. Eiweiße sind Ketten aus Tausenden Atomen, sie stecken in allen Zellen des menschlichen Körpers und sind dort unersetzlich. Ihre Struktur ist wichtig, um ihre Funktion in einer Zelle zu verstehen. Da viele Krankheiten darauf beruhen, dass sich Eiweiße nicht richtig falten, gelten Untersuchungen, wie sie in Garching geplant sind, als wichtiger Bestandteil der medizinischen Grundlagenforschung.

Im Inneren des Kernspinresonanz-Geräts steckt ein kleines Reagenzglas, in dem Eiweiße schwimmen. Das Gerät erzeugt ein sehr starkes Magnetfeld. Es zwingt Atomkerne in der Probe, in eine bestimmte Richtung zu rotieren. Das Gerät beschießt das Gläschen und die darin schwimmenden Moleküle daraufhin mit Radiowellen. Haben diese die richtige Frequenz, ändert sich die Drehrichtung der Atomkerne plötzlich. Treffen die Radiowellen auf Eiweiße, werden sie außerdem absorbiert. Das Gerät kann deshalb ermitteln, welche Form die Biomoleküle haben.

Je stärker das Magnetfeld und je höher die Frequenz der Radiowellen in einem Kernspinresonanz-Gerät ist, desto genauer lassen sich Details in den komplexen Strukturen sichtbar machen. Eine der Herausforderungen beim Bau der Geräte ist, ein möglichst kräftiges und gleichmäßiges Magnetfeld zu erzeugen. In modernen NMR-Spektrometern geschieht dies mittels supraleitender Magnete, die mit flüssigem Stickstoff gekühlt werden und dadurch ihren elektrischen Widerstand verlieren.

Wie eine riesige Thermoskanne

Wegen des Tanks wird das 1,2-Gigahertz-Spektrometer an eine riesige Thermoskanne erinnern. Aufrecht halten wird sie vermutlich ein Holzgerüst, weil Metall von dem starken Magnetfeld verformt werden könnte.

Bisher sei auf der ganzen Welt kein Apparat dieser Leistungsklasse in Betrieb, heißt es bei der TU München. Laut Wissenschaftsrat kommt das Gerät einem technologischen "Leistungssprung" für die forschenden Wissenschaftler gleich. Das NMR-Zentrum sei die erste universitäre Einrichtung Deutschlands, die eines der modernen Geräte erhält.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2015
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