Süddeutsche Zeitung

Justiz:Manfred Götzl, der akkurate Richter

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Der Münchner beschäftigte sich jahrelang mit dem NSU-Prozess, zuvor mit dem spektakulären Mord an einer Parkhaus-Besitzerin. Und dieser Fall könnte wieder aufgerollt werden.

Von Annette Ramelsberger

Der Münchner Richter Manfred Götzl hat den wichtigsten Prozess der deutschen Nachwendezeit geleitet, den NSU-Prozess, und er ist nach 438 Verhandlungstagen als unangefochtener Herr des Verfahrens aus dem Gerichtssaal geschritten: Kein Befangenheitsantrag hat ihn aus der Bahn geworfen, keine Überraschung ins Schlingern gebracht, und am Ende hat auch der Bundesgerichtshof das Urteil gehalten.

Man darf davon ausgehen, dass das für Götzl die letzte, die wichtigste Bestätigung seiner Arbeit war. Der Beweis dafür, dass er recht hatte. Allenfalls der Hinweis des Bundesgerichtshofs, dass das NSU-Urteil mit seinen 3025 Seiten schon ein wenig ausufernd geraten sei, könnte einen winzigen Schatten auf Götzls Werk werfen. Ein winziger Schatten zu viel, wenn man Götzls Hang zum Perfektionismus kennt.

Nun soll nach dem Willen des Münchner Strafverteidigers Peter Witting ein weiterer Schatten dazukommen. Er strengt, zum dritten Mal, ein Wiederaufnahmeverfahren in Götzls zweitwichtigstem Fall an, dem Mord an einer reichen Münchner Parkhausbesitzerin. Götzl hatte deren Neffen Benedikt T. 2008 zu lebenslanger Haft verurteilt: Mord aus Habgier.

Verteidiger Witting hatte bei der Urteilsverkündung aus Protest seine Robe ausgezogen und den Saal verlassen, ein für Juristen ungeheuerlicher Vorgang. Seit Jahren versucht Witting, neue Zeugen, neue Details zu finden, die den verurteilten Benedikt T. entlasten könnten. Nun meint er fündig geworden zu sein: Es gebe Hinweise auf einen anderen Täter, der ebenfalls vom Erbe der Parkhausbesitzerin profitiert hatte.

Götzl hält viel auf Formen, auf Disziplin, auf Höflichkeit. Was Götzl auf keinen Fall aushält: wenn jemand seine Autorität infrage stellt. Aber im Parkhausmord-Prozess musste er genau das erleben. Bei der Urteilsverkündung knallten Freunde und der Bruder des Angeklagten mit den Türen, riefen "Diktatur", der Angeklagte warf dem Richter vor, er erzähle nur "Blah, blah, blah". Und als Götzl fassungslos ausrief: "Was ist hier eigentlich los? Haben Sie keine Achtung vor dem Gesetz?" - da brandete ihm höhnisches Gelächter entgegen. Man muss sich Götzl in diesem Moment als Mensch vorstellen, der die Welt nicht mehr versteht. Emotionen gehören für ihn nicht in den Gerichtssaal, große Gefühle empfindet er als störend.

Der Richter liebt Details, trifft aber auch eigenwillige Entscheidungen

Er ist bis zur Detailversessenheit akkurat, was ihn allerdings nicht davon abhält, immer wieder eigenwillige Entscheidungen zu treffen: Im NSU-Prozess etwa ließ er einen Neonazi, den engsten Vertrauten der Terrorzelle, glimpflich davonkommen. Auch einem hessischen Verfassungsschützer, der während eines NSU-Mordes am Tatort war und darüber gelogen hatte, glaubte er am Ende - nachdem er ihn fünf Mal nach München ins Gericht hatte kommen lassen. Und bei Benedikt T. hielt ihn die Tatsache, dass der Täter mit der rechten Hand zugeschlagen hatte, nicht davon ab, den Angeklagten zu verurteilen, obwohl der Linkshänder ist. Das Gericht erklärte, die anderen Indizien hätten sich "wie ein Ring" um Benedikt T. geschlossen.

Vor zwei Jahren ist Götzl in Ruhestand gegangen, davor war er noch kurz Vizepräsident des Bayerischen Obersten Landesgerichts - der Dank für fünf Jahre Schwerstarbeit im NSU-Prozess. Andere würden über dieses wild bewegte Juristenleben Bücher schreiben, Interviews geben, erzählen, was er zum Beispiel während des Verfahrens gegen den Mörder des Modeschöpfers Rudolph Moshammer erlebte. Götzl aber sagt nichts. Kein Wort. Man weiß kaum etwas von ihm: Nur dass er erwachsene Kinder hat, privat witzig sein kann und gern in den Bergen wandert. Sollte es im Fall des Parkhausmords zu einer Wiederaufnahme kommen, ist eines gewiss: Götzl wird schweigen und wandern. Und wenn es nicht zur Wiederaufnahme kommt: Dann hat Götzl wieder mal recht behalten.

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