Süddeutsche Zeitung

Im Hasenbergl eröffnet die 30. Gruppe:Wenn Frauen sich zu sprechen trauen

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Die niederschwelligen Sprachkurse "Mama lernt Deutsch" sind 15 Jahre nach ihrer Gründung flächendeckend in der ganzen Stadt vertreten. Der Zulauf ist enorm - das Angebot an Migrantinnen ist offen, gratis, und die Mütter dürfen ihre Kinder mitbringen.

Von Ellen Draxel

Khonav Haso hat für diesen Donnerstag eigens einen Kuchen gebacken. Ihr Sohn Alvand hat Geburtstag, er wird zwei Jahre alt. Richtig gefeiert aber wird erst am Nachmittag, der Vormittag ist fürs Deutschlernen reserviert. Gemeinsam mit sechs anderen Frauen sitzt die Irakerin also an diesem Morgen im November im Nachbarschaftstreff am Giesinger Neuschwansteinplatz, vor sich einen gemütlich gedeckten Frühstückstisch mit Kaffee, Tee, Brezen und der duftenden Torte. Dazwischen versteckt: jede Menge Memorykarten. "Heute geht es um das Zuhause", erklärt Beate Stöckle. "Das Zuhause ist da, wo wir wohnen. Klar habt ihr eure Heimat, aber jetzt ist München euer Zuhause."

Stöckle ist Lernbegleiterin des Projekts "Mama lernt Deutsch", gemeinsam mit zwei Kolleginnen engagiert sie sich ehrenamtlich, um Migrantinnen mit Kindern die deutsche Sprache näherzubringen. Niederschwellig, mit viel Spaß und ohne Prüfungsdruck. Die Gruppe, im September 2021 entstanden, ist eine von mittlerweile 29 "Mama lernt Deutsch"-Dauerkursen in 27 Einrichtungen wie Familienzentren, Kirchengemeinden, Mittagsbetreuungen oder Nachbarschaftstreffs stadtweit. Anfang kommenden Jahres soll die 30. Gruppe am Hasenbergl eröffnen. "Damit sind wir dann bedarfsdeckend in ganz München vertreten", sagt Riki Überreiter, die das Projekt vor 15 Jahren gegründet hat.

Damals war die heute 71-Jährige noch im Sozialreferat angestellt, zuständig für bürgerschaftliches Engagement. Als sie 2015 in Rente ging, hätte sie sich nicht mehr um die Deutschkurse kümmern müssen, die zu dieser Zeit in lediglich vier Gruppen angeboten wurden. Doch Überreiter erkannte das Potenzial. ",Mama lernt Deutsch' wurde zu meinem Steckenpferd", sagt die quirlige Münchnerin. Sie trieb das vom Verein für Fraueninteressen getragene Angebot weiter voran, innerhalb von zwei Jahren hatte sich die Kursanzahl auf 20 erhöht.

Im Giesinger Treff hat sich Winnie Choo aus Malaysia inzwischen eines der Memory-Kärtchen geangelt. Zu sehen ist ein Kellerabteil: In nahezu fehlerfreien Sätzen erzählt die 39-jährige Mutter, dass sie im Keller nur Sachen unterbringt, die sie selten braucht. Koffer zum Beispiel. Oder Boxen. "Was für Boxen?", fragt Stöckle nach. "Meinst du vielleicht Kartons?" "Jaja", Winnie Choo lacht und nickt, "Kartons". Sie ist seit drei Jahren in Deutschland.

Es folgen Gespräche über Haushalts-Utensilien, über Sitzgewohnheiten. Aber auch so politisch brisante Themen wie die Hochhausdebatte oder die Frage der Klimaerwärmung werden angerissen. In diesem Kreis trauen sich die Frauen zu sprechen, weil sie sich willkommen fühlen, weil sie keinen Druck verspüren. Am Ende sind sämtliche Begriffe, über die man sich unterhalten hat, auf einem Flipchart zu lesen. Mit korrektem Artikel.

Die Deutsch-Kurse sind Erfolgsgaranten, "inzwischen werden wir überall angefragt, bei der Caritas, bei Familienzentren, auch von Städten und Gemeinden aus dem Umland wie Taufkirchen, Unterschleißheim oder Fürstenfeldbruck", sagt Riki Überreiter. Doch "Mama lernt Deutsch" ist ein städtisches Projekt, begrenzt auf die bayerische Landeshauptstadt. Dass das Konzept so gut funktioniert, hat mehrere Gründe. Zum einen die Offenheit: Jede Frau kann ohne Anmeldung einfach vorbeikommen, es entstehen keinerlei Kosten, die Bedingung ist lediglich, den Kurs möglichst regelmäßig zu besuchen. Und die Mütter dürfen ihre Kinder mitbringen.

In der Giesinger Donnerstagsrunde flitzt der zweijährige Jamal durch das Zimmer, während seine Mutter Foussena Alassani, eine Togolesin, ihre fünf Monate alte Tochter stillt und sich zugleich auf Beate Stöckle konzentriert. Farzana Haque aus Bangladesch spricht es aus: Es sei "toll hier", sagt die 30-Jährige. Sie lerne viel und treffe Frauen aus anderen Kulturen, während ihre Tochter "sehr freundlich" betreut werde. "Wir Deutsch-Vermittlerinnen teilen uns alles, den Unterricht und das Spielen mit den Kindern", erklärt Stöckles Kollegin Ulli Franz. Der Schlüssel aber, darin sind sich Projekt- und Gruppenleiterinnen mit den Teilnehmerinnen einig, ist die Empathie, das sensible Zuhören. "Die helfen mir ganz toll", lobt Dragica Ješankic. Die 81-jährige Bosnierin ist schon seit mehr als 50 Jahren in Deutschland, "aber ich spreche schlecht. Gott sei Dank", sagt sie, "gibt es solche Gruppe".

So erfolgreich das Projekt ist, einen Wermutstropfen, von dem die Teilnehmerinnen allerdings nichts mitbekommen, gibt es dennoch: die Bezahlung der drei Projektleiterinnen, die "Mama lernt Deutsch" stadtweit koordinieren. "Wir sind auf Minijob-Basis angestellt, müssen wegen des immensen Zulaufs aber 30 Stunden pro Woche arbeiten", sagt Gabriele Keller. Einen Antrag auf Halbtagesstellen haben Keller, Riki Überreiter und Astrid Adler zwar bereits gestellt. Bewilligt sind die Stellen aber noch nicht.

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