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Luftreinhalteplan:Bayern will keine Fahrverbote - trotz hoher Stickstoffdioxidbelastung

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Die bisher getroffenen Maßnahmen haben nicht geholfen, die Grenzwerte einzuhalten. Der Freistaat wird sich vor Gericht verantworten müssen.

Von Andreas Schubert, München

Seit 2004 gibt es den Luftreinhalteplan München. Bisher ist er sechs Mal fortgeschrieben worden, nun hat die Regierung von Oberbayern ein Konzept für die siebte Fortschreibung vorgelegt - mit Verspätung. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte dem Freistaat eigentlich eine Frist bis zum 31. Dezember vergangenen Jahres gesetzt.

Um welche Schadstoffe geht es?

Die Belastung durch Feinstaub liegt seit 2012 unterhalb der Grenzwerte. Das Problem, das bisher noch immer nicht im Griff ist, sind die Stickoxide, speziell das Stickstoffdioxid (NO₂), das bei der Verbrennung von Diesel entsteht. Das Reizgas ist insbesondere für Kinder und Menschen mit Atemwegserkrankungen gefährlich.

Wo ist die Belastung am schlimmsten?

Eigentlich ist das gesamte Stadtgebiet mit NO₂ belastet. An 260 Straßen wurde zumindest auf Teilabschnitten eine Überschreitung der Grenzwerte errechnet (siehe Grafik) - tatsächlich gemessen wird nur an fünf Stellen. Um künftig genauere Daten zu erhalten, hat der Stadtrat beschlossen, über die Stadt verteilt 20 zusätzliche kommunale Messstellen einzurichten. Zu den am meisten belasteten Orten gehören natürlich vor allem Hauptdurchgangsstraßen wie die Landshuter Allee, wo Höchstwerte von mehr als 60 Mikrogramm NO₂ pro Kubikmeter Luft gemessen wurden. Aber auch in zentralen Stadtbezirken herrscht dicke Luft. So sind etwa die viel befahrene Kapuzinerstraße in der Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt und die Leopoldstraße in Schwabing Abgasschwerpunkte. Der EU-weite Grenzwert liegt bei 40 Mikrogramm, allerdings ist hier der im Jahresdurchschnitt errechnete Mittelwert entscheidend.

Wird es künftig Fahrverbote geben?

Fahrverbote sind in der siebten Fortschreibung wieder nicht vorgesehen. Und das, obwohl das Gericht explizit gefordert hatte, Fahrverbote im Luftreinhalteplan vorzumerken. Der Freistaat begründet dies damit, dass streckenbezogene Verkehrsverbote laut einem Gutachten des Ingenieurbüros "Gevas Humberg & Partner" nicht zielführend seien "zur schnellstmöglichen Einhaltung der Immissionsgrenzwerte".

Die Verkehrsströme würden sich lediglich verlagern, was die Problembereiche verschiebe, statt sie zu lösen. Die Maßnahmen seien überdies nicht kontrollierbar und somit nicht vollziehbar. Denn noch immer fehlt die gesetzliche Grundlage für eine blaue Plakette, wie sie etwa Oberbürgermeister Dieter Reiter fordert. Sie wäre notwendig, um nicht pauschale Fahrverbote für alle Dieselfahrzeuge verhängen zu müssen. Für die Einführung der Plakette ist aber der Bund zuständig.

Die Regierung von Oberbayern warnt zudem bei einer Sperrung einzelner stark belasteter Straßenzüge vor einem hohen Finanz-, Personal- und Beschilderungsaufwand. Münchens Umweltreferentin Stephanie Jacobs rechnet in diesem Fall mit Kosten von 18 Millionen Euro für 130 000 Schilder. Der Fahrradklub ADFC hält diese Zahl für viel zu hoch und rechnet vor, dass bei dieser Anzahl theoretisch alle zwei Meter ein Schild stehen würde.

Mit welchen Konsequenzen muss der Freistaat rechnen?

Der Freistaat hat bereits Zwangsgeld in Höhe von 4000 Euro zahlen müssen, weil er die Öffentlichkeitsbeteiligung zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans bis zum 31. August 2017 nicht umgesetzt hat. Jetzt muss er wieder mit einem Zwangsgeld rechnen, da er auch die Frist vom 31. Dezember ignoriert hat. Der Freistaat zahlt dabei ein Taschengeld an sich selbst: Das reicht der Deutschen Umwelthilfe, die vor sechs Jahren auf Einhaltung der NO₂-Grenzwerte geklagt hat, nicht. Sie fordert ein erhöhtes Zwangsgeld von bis zu 25 000 Euro oder als Alternative gar Zwangshaft für die zuständige Umweltministerin Ulrike Scharf. Am kommenden Montag wird die Klage am Verwaltungsgericht München verhandelt.

Was haben Stadt und Freistaat bereits getan, um die Luft sauber zu machen?

Seit der ersten Fortschreibung des Luftreinhalteplans 2008 gilt ein Durchfahrtverbot für schwere Lkw im Stadtgebiet. Ein Jahr später folgte die Umweltzone, die zweimal weiter verschärft wurde. Auch auf die Landshuter Allee begrenzte Tempolimits am Mittleren Ring sollen den Schadstoffausstoß dämmen. Dazu kommen viele andere Maßnahmen, wie optimierte Ampelschaltungen, Steuerung der Verkehrsströme, die Förderung von Elektromobilität und - vor allem - der Ausbau des ÖPNV mitsamt dem Bikesharing-Angebot der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG). In kleinen Schritten wird auch an der Radinfrastruktur gearbeitet. Hier gibt es jedoch Forderungen nach mehr mutigen Entscheidungen, etwa die Schaffung von Radspuren zulasten des Autoverkehrs.

Was steht an Maßnahmen noch an?

In den Fortschreibungen des Luftreinhalteplans sind noch weitere Maßnahmen vorgesehen, die noch umgesetzt werden müssen respektive deren Umsetzung erst begonnen hat. So ist zum Beispiel die Untertunnelung der Landshuter Allee erst im Vorplanungsstadium. Der Tunnel und weitere Tunnelprojekte sind durchaus umstritten: So fordern etwa die Grünen, lieber mehr Geld in den ÖPNV und in die Radinfrastruktur zu investieren, das sei auf Dauer effektiver.

Ein großer Schwerpunkt des Luftreinhalteplans ist die Schaffung von Alternativen zum Autoverkehr, der sich dadurch verringern soll. Neben dem Ausbau des ÖPNV-Angebots in allen Bereichen sollen auch neue Kunden für den MVV gewonnen werden, indem der Freistaat für Neu-Abonnenten einen zusätzlichen Gratismonat spendiert. Diese Marketingmaßnahme soll voraussichtlich noch dieses Jahr laufen, aber nur für drei Monate und höchstens so lange, bis ein noch festzulegendes Budget ausgeschöpft ist: Es gilt also: Wer zuerst kommt, spart zuerst. Gleichzeitig aber sollen neue Kaufanreize für moderne Dieselfahrzeuge geschaffen werden.

Was die Schaffung neuer Radwege und vor allem Radschnellwege betrifft, so sind im Plan noch keine Zeitangaben vorgesehen. Ebenso wenig konkret sind die Maßnahmen, die SPD und CSU vor Kurzem als ÖPNV-Offensive der Stadt vorgestellt haben. Dazu gehören der Bau neuer U-Bahn- und Tramlinien. Diese Projekte, vor allem die U-Bahn-Bauten, sind aber relativ langfristig und haben keine schnellen Effekte auf die Luftqualität. Rascher könnte sich das auf dem Dieselgipfel im November beschlossene "Sofortprogramm saubere Luft 2017 bis 2020" auswirken. Das sieht etwa die Elektrifizierung von Taxis, Mietwagen und Carsharing-Fahrzeugen sowie der Busflotten und die Förderung der Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge vor.

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Quelle:
SZ vom 24.01.2018
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