Süddeutsche Zeitung

Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt:"Wir wollen keine Rambla"

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Bloß kein Touristenmagnet wie in Barcelona: Der Vorstoß einer Anwohner-Initiative, die Reichenbachstraße auf ganzer Länge zum Fußgängerboulevard zu machen, fällt in der Bürgerversammlung durch.

Von Birgit Lotze, Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt

"Wir wollen keine Rambla wie in Barcelona", hieß es gleich in mehreren Wortmeldungen am Mikrofon. Anwohner des Gärtnerplatzviertels haben sich in der Bürgerversammlung am Donnerstagabend gegen eine Umwandlung der Reichenbachstraße in eine Fußgängerzone gewandt. Ein Boulevard vom Viktualienmarkt bis zur Isar - über den Gärtnerplatz hinweg - sei eine "Bedrohung": Eine Flaniermeile ziehe massiv Touristen an und fördere die Gentrifizierung. "Wir verlieren langfristig unsere Wohnungen", befürchtet eine Bürgerin, die seit 33 Jahren in der Reichenbachstraße wohnt. Der Vorsitzende des Bezirksausschusses (BA), Alexander Miklosy (Rosa Liste), stellte klar, dass es für eine Fußgängerzone nicht mal eine Entscheidung gebe, weder in städtischen Gremien noch im BA. Bislang gehe es lediglich um eine Initiative von Anliegern, die der Stadt zur Prüfung vorliege. Auch würden die Lokalpolitiker nicht in dieser Richtung aktiv, ohne die Bürger einzubeziehen, versprach er. "Wir wollen alle mit ins Boot holen."

Die Initiative "Gärtnerplatz Fußgängerzone" geht ebenfalls von Anwohnern aus. Sie setzt sich dafür ein, die gesamte Reichenbachstraße bis zur Fraunhoferstraße weitgehend autofrei und grüner zu gestalten. In der Bürgerversammlung fand sie nicht nur wegen möglicher Touristen und Gentrifizierung keine Mehrheit. Eine Fußgängerzone bedeute mehr Flächen zum Feiern, mehr Partyvolk, hieß es auch. Mehrere Anlieger, die am Gärtnerplatz auch arbeiten, äußerten die Befürchtung, dass ohne Anfahrtsmöglichkeiten die Kunden ausblieben. "Wir sind auf Parkplätze für Kunden angewiesen."

Große Mehrheiten bei den rund 200 Versammlungsteilnehmern fanden mehrere Vorschläge für eine Fahrrad-Offensive. Danach sollen sämtliche Einbahnstraßen im Viertel für Fahrradfahrer geöffnet werden, fehlende Verbindungsstücke zwischen Radwegen wie entlang der Paul-Heyse-Straße, an der Herzog-Heinrich-Straße und der Sonnenstraße rasch ergänzt und mehr Radparkplätze geschaffen werden. Als negatives Beispiel wurde die Parksituation für Fahrräder am Hauptbahnhof geschildert. "Radfahrer sind dort offenbar nicht erwünscht", hieß es. Sie würden in die "Müllecke" abgedrängt, stünden eng und kreuz und quer. Ein Mitarbeiter des Planungsreferats wies darauf hin, dass der BA bereits mögliche Standorte für Radabstellplätze vorgeschlagen habe. "Das ist in Arbeit." Allerdings gehe das nicht von heute auf morgen. Vor allem etwaige Verbesserungen am Hauptbahnhof könnten dauern: Die Flächen gehören der Deutschen Bahn.

Viele im Viertel nervt die "Dominanz" der Autos. Dazu wurden mehrheitlich Pilotprojekte in Straßen und an Plätzen wie dem Holzplatz gefordert, "grüne Sackgassen" und Freiräume. Abgelehnt wurden allerdings weitergehende Anträge, wie einer, in dem die Umwandlung der Kapuzinerstraße - als Pilotprojekt - in einen "Shared Space" gewünscht wurde, in dem sich die Verkehrsteilnehmer ohne eigene Fahrspur miteinander arrangieren müssen. Keine Zustimmung fanden auch Anträge von Anwohnern des Dreimühlenviertels, denen der Park- und Durchgangsverkehr in jüngster Zeit zu viel geworden ist. Sie forderten Umwandlungen in Einbahnstraßen oder in reine Anwohnerstraßen.

Einstimmige Beschlüsse in Bürgerversammlungen sind eher selten. In der Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt gab es sogar zwei. So wurde die seit Jahrzehnten erhobene Forderung, die freie Spur auf der Braunauer Eisenbahnbrücke für Fußgänger und Radler freizugeben, einstimmig unterstützt. Sämtliche anwesenden Bürger schlossen sich auch der Forderung einer Mutter an, schnellstmöglich die Toiletten an der Grundschule am Gärtnerplatz zu richten. Seit Jahren seien die Toiletten in fatalem Zustand, berichtete sie. "Die Kinder halten ein, trinken nicht mehr richtig", in ihrer Familie seien mehrmals Magen-Darm-Erkrankungen aufgetreten.

Auch die Initiative, privates Silvesterfeuerwerk zu verbieten, fand großen Rückhalt. Was sonst noch wichtig war: Das Viertel leidet darunter, dass Gewerbe wegziehen muss, Boardinghäuser und Hotels sich fast uneingeschränkt ausbreiten können und Wohnraum blockiert wird. Deshalb solle die Stadt, so beschloss die Versammlung, die Zweitwohnungssteuer "drastisch" erhöhen, den Bebauungsplan von 1981 überprüfen und die Gewerbeflächenplanung "ernst nehmen".

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Quelle:
SZ vom 10.11.2018
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