Süddeutsche Zeitung

Literaturfest München:Freiräume für das Wort

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Ein großes Literaturfest München im Herbst schien zunächst undenkbar - nun wird es zusätzlich zur Münchner Bücherschau im Gasteig doch ein Festivalprogramm im Literaturhaus geben.

Von Antje Weber, München

Ungewöhnliche Zeiten erfordern spontane Maßnahmen. Das ist die kürzeste Erklärung dafür, dass ein großangelegtes Literaturfest für diesen Herbst lange undenkbar schien, dann ein kleines Ersatz-Fest namens "Sommer-Edition" im Juni überraschte - und nun weitere gute Nachrichten zu vermelden sind: Literaturhaus und Börsenverein haben sich entschlossen, kurzfristig jetzt doch ein gemeinsames Literaturfest München zu planen, das vom 18. November bis zum 5. Dezember dauern wird.

Gemeinsam sitzen die beiden dafür Verantwortlichen in einem sonnendurchfluteten Literaturhaus-Büro und strahlen eine Harmonie aus, die in vergangenen Jahren nicht immer selbstverständlich schien: Tanja Graf, Chefin des Literaturhauses und Geschäftsführerin des Literaturfests, und Klaus Beckschulte, der für die 62. Münchner Bücherschau zuständige Geschäftsführer des bayerischen Landesverbandes im Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Überlegungen, das Literaturfest vielleicht einmal ganz neu aufzusetzen, hat man mit Blick auf den zweiten pandemischen Winter beiseite gestellt und entschieden, "unsere Kräfte zu bündeln", wie Graf sagt. Schnell sei man sich einig gewesen, dass man wieder zur selben Zeit literarische Schwerpunkte setzen wolle; unterstützt wird man dabei insbesondere vom städtischen Kulturreferat wie auch dem Freistaat. Der Vorverkauf beginnt bereits am 1. Oktober, bis dahin sollen die Details festgezurrt sein (Informationen dann unter literaturfest-muenchen.de und muenchner-buecherschau.de).

Ein von einem Kurator geprägtes Forum:Autoren ließ sich auf die Schnelle natürlich nicht herzaubern; im nächsten Jahr will Graf jedoch wieder an das Konzept anschließen. In diesem Herbst lässt sich die thematische Ausrichtung vor allem mit einer grundsätzlichen Motivation aller Beteiligten erklären: Es gehe darum, die "Begeisterung fürs Lesen anzufachen", sagt Graf, und damit "Empathie und Toleranz zu steigern", letztlich die Demokratie zu stärken; Beckschulte spricht ergänzend von einer "Selbstermächtigung des Subjekts", von der Bedeutung von Büchern und Bildung, die nicht von ungefähr in autokratischen Regimes als gefährlich gälten.

Beim Programm setzt man auf gesellschaftspolitisch relevante Themen mit poetischem Nährwert

Um konkreter zu werden: In einem Herbst mit vielen herausragenden Neuerscheinungen, die sowohl politisch relevant als auch von "poetischem Nährwert" (Graf) sind, will man ein breites Spektrum für alle Interessen und Altersgruppen anbieten. Schriftstellerinnen wie Irene Dische, Antje Rávik Strubel, Julia Franck und Sasha Marianna Salzmann werden beim Festprogramm des Literaturhauses unter anderem Themen wie "fluide Identität" umkreisen. Graf freut sich auch, endlich wieder internationale Autoren wie Tomas Espedal oder Shumona Sinha einladen zu können; außerdem plant sie ein Symposium zu Hannah Arendt.

Auch bei der Bücherschau soll es um gesellschaftlich relevante Themen gehen, will man zur "kultivierten Debatte, zum Wettstreit der Meinungen" (Beckschulte) einladen - und mit Jayson Reynolds über Rassismus sprechen, mit Elke Heidenreich über die Bedeutung des Lesens, mit Philosophin Svenja Flaßpöhler über das Thema Sensibilität. Es darf auch unterhaltsam sein, etwa mit Klaus-Peter Wolfs Ostfriesen-Krimis. Wie immer wird es dazu ein großes Schulklassen- und Jugendprogramm geben, bei dem Stars wie Cornelia Funke nicht fehlen.

Sowohl das Literaturhaus wie auch die Bücherschau setzen dabei auf hybride Lösungen: Nicht nur werden fast alle Lesungen live zu erleben sowie digital abrufbar sein, wie im Vorjahr ist auch die Münchner Bücherschau im Netz zu finden. Doch die Leser sollen Romane und Sachbücher auch wieder prüfend in die Hand nehmen können, bei einem zweitägigen Markt der unabhängigen Verlage im Literaturhaus ebenso wie bei der traditionellen Bücherschau im Gasteig. Wie bitte - im Gasteig?

Ja, man lade zu einer "kleinen Nostalgietour", sagt Beckschulte. Im Gasteig sollen nicht nur die Neuerscheinungen der Verlage ausliegen, sondern im Carl-Orff-Saal oder der Black Box auch Lesungen stattfinden. Noch bis Ende des Jahres sei der Gasteig "voll funktionsfähig", und man werde die "Freiräume nutzen", bevor man im nächsten Jahr voraussichtlich ins neue HP8 umziehe.

Die Freiräume will man noch in anderer Hinsicht nutzen. Denn endlich soll auch wieder Festivalcharakter aufkommen, insbesondere am Eröffnungsabend am 17. November im Gasteig. Bei diesem traditionellen Treffen der Münchner Buchszene gehört der Tratsch beim anschließenden Empfang zwingend dazu. Da der drinnen diesmal nicht möglich sei, könne man ihn ja in den Hof auslagern, schwebt Beckschulte vor. Diesmal also Branchentalk mit Schal und Pudelmütze? Ungewöhnliche Zeiten eben.

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