Süddeutsche Zeitung

Leben als Kind eines Schlagerstars:Einmal Nashville und zurück

Lesezeit: 6 min

Jeffrey Backus und sein Vater Gus - die Geschichte einer komplizierten, aber innigen Beziehung. Die Musik half dem Sohn über alle Krisen hinweg

Von Karl Forster

Immer dann, wenn Jeffrey Backus etwas ganz besonders Wunderbares aus seinem Leben zu erzählen hat, schaut er hoch zum Plafond im Wohnzimmer. Zu einem imaginären Punkt. Es wäre wohl zu kitschig, an diesen Punkt seinen Vater, der vor wenigen Wochen gestorben ist, im Musikerhimmel zu verorten. Aber es ist schon so, dass Jeffrey und Gus Backus zeitlebens eine Beziehung pflegten, die einer tiefen Freundschaft vielleicht ähnlicher ist als einer nur zwischen Vater und Sohn. Jedenfalls schaut Jeffrey Backus an diesem Nachmittag in seiner Landshuter Wohnung sehr oft nach oben.

Er hat ja wirklich sehr viel Wunderbares erlebt. Von der ersten Gitarre mit neun, den ersten Auftritten damals in den Münchner Musikclubs, dem Erweckungserlebnis mit einer Platte von Hank Williams jr, der Zeit in Nashville (Tennessee), dem ersten Whiskey mit seiner Frau Stella bis zum wahrhaft großen Wunder, als er nach eineinhalb Jahren im Rollstuhl wieder gehen konnte und der Multiplen Sklerose, dieser so bösen Krankheit, Paroli zu bieten imstande ist. Am kommenden Sonntag wird er im Rattlesnake-Saloon an seinen Vater erinnern, an Gus Backus, der sehr viel mehr war als nur Schlagersänger und lustiger Interpret der "Sauerkraut-Polka".

Man muss aber, um diesen Abend und Jeffrey Backus zu verstehen, doch kurz auf die Geschichte des Vaters eingehen. 1937 auf Long Island, New York geboren, landete er Mitte der Fünfzigerjahre bei der US Air Force, wo er, der leidenschaftliche Musiker, sofort Anschluss fand an eine der damals typischen Doo-Wop-Bands namens The Del -Vikings. Die war dann mit Gus Backus so erfolgreich, dass es der Army zu bunt wurde und man beschloss, dem Spaß ein Ende zu machen. Sie schickten Gus Backus, der eigentlich Donald Edgar hieß, nach Deutschland, nach Wiesbaden.

Doch einmal Musiker, immer Musiker. Gus Backus fand auch hier schnell musikalischen Anschluss und bald auch eine Marktlücke: Spaßlieder wie "Der Mann im Mond", "Da sprach der alte Häuptling der Indianer", "Bohnen in die Ohren" und die berüchtigte "Sauerkraut Polka" wurden wahre Hits. Er spielte in Dutzenden Filmen mit, gewann den "Bravo Otto" und den "Löwen" von Radio Luxemburg und, nach der Scheidung von seiner ersten Frau, mit der er drei Söhne hat, das Herz der ZDF-Balletttänzerin Heidelore. Man lernte sich, welch schönes Klischee, auf der Bühne kennen. Gus sang, Heidelore tanzte, und bei einer ZDF-Silvestersendung tanzten sie dann, unbeobachtet von irgendwelchen Kameras, erstmals zusammen. Das Ehepaar Backus zog nach Germering bei München, wo Heidelore, nach vielen Irrungen und Wirrungen, bis heute lebt. Jeffrey, der jüngste der Backus-Söhne, wurde 1970 geboren.

"Ich habe dann meinen Vater vor allem durch die Musik kennengelernt", sagt Jeffrey Backus heute. Und erinnert sich vage, dass der mit den meisten Liedern, die er nun singen musste, wenig anfangen konnte. "Anfangs hat er gar nicht gewusst, was er da singt." Dass sein Vater von daheim abgehauen war, als der Sohn drei war, dass er lange als verschollen galt und von Bild gar totgesagt worden war, streift Jeffrey Backus nur am Rande. Denn er hatte die ganze Zeit über, auch als sich seine Mutter in Abwesenheit hatte scheiden lassen, immer Kontakt zu ihm, oft nur per Brief, später besuchte man sich. Der Vater kam dorthin, wo Jeffrey gerade wohnte, und der wusste ihn auch in den USA ausfindig zu machen.

Das Vater-Vorbild aber war immer präsent. Die Mutter hatte Jeffrey eine Gitarre geschenkt, als er neun war. Musikalität und Begeisterung waren ererbt, und so stand Jeffrey Backus bald auf der Bühne. Er spielte mit seiner Band The Congress in den einschlägigen Clubs, absolvierte eine Lehre in einem Pasinger Musikgeschäft und begann schön langsam, sich vom Erfolg des Vaters zu emanzipieren. "Ich heiße nicht der Sohn von . . ." beschied er einen Veranstalter, der partout den Namen des Vaters auf dem Plakat sehen wollte.

Um sich abzunabeln, zog Jeffrey nach Eggenfelden, jobbte im Neonlight, einer damals berüchtigten Disco. Vater Gus kam manchmal zu Besuch und brachte einmal ein frühes Album von Hank Williams Jr. mit. Jeffrey Backus war wie elektrisiert: Dieser Hank Williams Jr. hatte eine fast identische Lebensgeschichte als Sohn des legendären Nashville-Stars Hank Williams, und wie Jeffrey hatte er versucht, sich aus dem Schatten des Vaters herauszumusizieren. "Der singt ja über mich", stellte Jeffrey fest. Und wusste: Ich muss dahin, ich muss nach Nashville. Das ist meine musikalische Heimat.

"Es ist ein unglaubliches Gefühl, wenn du über den letzten Berg fährst, vor dir liegt diese wunderbare Stadt, von Hügeln umgeben, und du weißt: Da bist du nun zu Hause." Jeffrey Backus hatte da längst seinen musikalischen Weg gefunden, hatte auch in den Münchner Clubs gespielt vom Oklahoma bis zum Domicile, hatte das Great American Songbook verinnerlicht und so auch die Kunst des Songwritings erlernt. Er stand fast jeden Abend auf der Bühne, bis es ihm zuviel geworden war. "Ich war dann mal weg", erinnert er sich, und schaut rauf zur Wohnzimmerdecke. Seine Heimat hieß nun Nashville.

Es ist schon eine typisch amerikanische Geschichte, wie Jeffrey Backus dort, im Olymp der Country & Western-Welt, seinen Weg machte. Er fragte einfach im erstbesten Hotel, ob man jemanden wie ihn brauchen könnte. Man fragte zurück, was er denn könne. Er antwortete: Alles, was ihr braucht. Und schon stand Jeffrey Backus an der Rezeption des Grand Old Opry. Und eroberte von dort aus die Szene von Nashville.

Er schrieb Songs für andere Musiker, trat selber einmal die Woche in einem Club nahe der Hall Of Fame auf, war sehr bald Mitglied dieser großen Musikerfamilie und plötzlich schwer verliebt in eine junge Engländerin, die es ebenfalls dorthin verschlagen hatte. Daraus wurde eine Fernbeziehung zwischen Nashville und London, Jeffrey versuchte, sie mit Heirat zu festigen, was über einige Jahre hin funktionierte. Auch trieb es ihn wieder nach Hause, von wo sein Vater Gus geflohen und nach fast 20 Jahren Absenz plötzlich wieder aufgetaucht war: nach Deutschland, nach Germering. Wo, schau an, sein Vater und seine Mutter zum zweiten Mal geheiratet hatten.

"Musikalisch gesehen war Deutschland für mich die Grundschule, Nashville aber die Universität", sagt er heute. Und er hätte, so ausgebildet, sicherlich auch in Deutschland seine Bühnenkarriere weiter ausbauen können. Wenn ihm da nicht eine heimtückische Krankheit in die Quere gekommen wäre. Er hatte damals sogar ein paar Auftritte zusammen mit seinem Vater absolviert, unter anderem im legendären Alten Bahnhof von Steinebach, als er spürte: Irgendwas stimmt nicht mit dem Gleichgewichtssinn, mit der Koordination, mit dem Gehör. Im Sommer 2013 dann die Diagnose: Multiple Sklerose in schwerster Ausprägung, eine Krankheit, die wahrscheinlich schon seit Teenagerzeiten in seinem Körper geschlummert hatte.

Jeffrey Backus konnte nur noch im Sitzen musizieren, bald gingt er mit Krücken, dann saß er im Rollstuhl. Die Ärzte konnten nicht mehr helfen.

Heute steht Jeffrey Backus hurtig auf vom Wohnzimmersessel, mal um eine Flasche Wasser zu holen, mal auf der Suche nach einer CD, die er mit dem Vater eingespielt hat. Keine stützende Bewegung, kein sich irgendwo Festhalten, kein Stolpern; Es ist, als hätte Jeffrey Backus nie an dieser Autoimmunkrankheit gelitten, von der man weiß, dass sie nicht heilbar ist, dass sie, oft in Schüben, immer weiter den Körper schwächt. Er hat sie vielleicht nicht besiegt, aber weit, weit zurückgedrängt.

Wie das ging? Zwei Wege waren da wohl entscheidend. Der eine führte Jeffrey Backus hin zu einer totalen Ernährungsumstellung: keine Kohlehydrate, kein Schweinefleisch, raus mit den Amalgamfüllungen, "und noch ein paar solche Dinge".

Den zweiten Weg fand er beim Country & Trucker Festival im fränkischen Geiselwind, wo sich ein sehr amerikanophiler Unternehmer ein kleines, aber in Fachkreisen höchst beliebtes Nashville eingerichtet hat. Jeffrey Backus ist im dortigen Saloon ein gern gesehener Bühnengast. Und als er vor ein paar Jahren da spielte, erschien kurz nach dem ersten Song vor ihm eine junge Frau mit zwei Gläsern Whiskey in den Händen. Jeffrey fragte: "Von welchem Gast?" Die junge Frau schüttelte den Kopf. Jeffrey lächelte, und beide tranken. Das wiederholte sich ein paar Mal. Und Jeffrey sang: "I don't even know your name."

Sie heißt Steffi. Heute ist sie seine Frau. Als er ihr damals, gerade dem Rollstuhl entstiegen, die Altstadt seiner aktuellen Heimatstadt Landshut zeigen wollte, schaffte er es erstmals seit langem, mehr als hundert Meter ohne Stock zu gehen. Rauf und runter, zwei ganze Kilometer sind das.

Steffi Backus wird natürlich dabei sein am Sonntag im Rattlesnake Saloon, wenn Jeffrey zum Konzert "In Memoriam Gus Backus" lädt. Er sagt, er müsse noch viel üben, aber er freue sich, seinem Vater ein letztes musikalisches Adieu singen zu können. Und schaut wieder rauf zum Plafond. Gus Backus wird irgendwie dabei sein, wenn Jeffrey Backus für ihn spielt.

Jeffrey Backus: "Er war mein bester Freund", Rattlesnake Saloon, 17. März, Schneeglöckchenstr. 89b

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SZ vom 13.03.2019
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