Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl:Ein Prosit auf die alte Tante SPD

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An die SPD in München hat man sich gewöhnt wie an ein altes Möbelstück, das die Wohnung heimelig macht. Soll das nach dem schlechten Abschneiden bei der Landtagswahl nun alles vorbei sein?

Glosse von Wolfgang Görl

Wer schon einige Jahrzehnte in dieser schönen Stadt verbracht hat, für den ist die SPD wie ein altes Möbel, das, wiewohl man es kaum noch beachtet, die Wohnung heimelig macht und nur in dem Moment Aufmerksamkeit erregen würde, in dem es plötzlich verschwunden wäre. Und tatsächlich: Jetzt, nach der Landtagswahl und blamablen 13 Prozent in München, ist das Möbel verschwunden, oder, besser gesagt, es ist nur noch in Fragmenten vorhanden. Ja, ein paar Bauteile sind übrig, und man scheut sich, sie zum Sperrmüll zu schleppen, vielleicht kann man sie noch mal brauchen. Und überhaupt wäre es schade drum, schließlich man hat gute Zeiten miteinander verbracht, auch wenn man sich immer wieder mal daran gestoßen hat.

Aber es gab ja auch eine Menge Spaß mit der SPD, vor allem, wenn man als Münchner die alten Freunde in Berlin oder im Ruhrgebiet besuchte, allesamt gestandene Salonsozialisten, die sich noch immer als Hausbesetzer fühlen, obwohl sie längst Hausbesitzer sind. Was haben die nicht gelästert, weil unsereins ein trübes Dasein im schwarzen München führe, wo seit dem Dreißigjährigen Krieg die CSU herrsche und Lederhose die städtische Dienstuniform sei.

Das war der Augenblick, in dem man genüsslich seinen Trumpf ausspielen konnte: die SPD. "Ha", durfte man triumphierend in die Barolo-beseelte Runde werfen, "ihr ahnungslosen Vollfriseure! Von wegen schwarzes München! Seit 1948 wird die Stadt mit einer peinlichen Ausnahme von sozialdemokratischen Oberbürgermeistern regiert. München, ihr Ignoranten, ist ein ganz anderes Gebilde als Bayern, München ist eine leuchtende Sonne in der ewigen Finsternis des Universums." Okay, die letzte Bemerkung war geringfügig übertrieben und eine Folge des Weins, von dem die auswärtigen Freunde weit mehr verstehen als von den Feinheiten bayerischer und münchnerischer Staatsangelegenheiten.

Schon wahr, noch ist der Oberbürgermeister ein Sozi, und vielleicht ist es zu früh für einen Nachruf auf das sozialdemokratische München. Aber fast überall in Europa verliert die Sozialdemokratie an Boden - warum sollte sie sich auf Dauer in München halten? Weil sie es hier im Großen und Ganzen gut gemacht hat? Niemand wird sich mehr darum scheren. Dabei stimmt es ja: Jahrzehntelang hat die SPD die kulturelle und gesellschaftliche Atmosphäre der Stadt geprägt, unter den sozialdemokratischen Oberbürgermeistern von Thomas Wimmer bis Dieter Reiter ist sie ein weltoffener, toleranter und für fast alle Varianten der Lebensgestaltung attraktiver Ort geworden.

Mag sein, dass die zeitgenössischen Münchner ohnehin zu einer gewissen Lässigkeit, mitunter auch zur Wurschtigkeit tendieren, aber es gab und gibt auch keine Obrigkeit, die ihnen das verwehrte, die etwa eine Leitkultur proklamierte, an die sich jeder zu halten hätte. Man möchte nicht wissen, wie das in einem permanent schwarzen München wäre. Aber so kann man am Chinesischen Turm lustig zwischen Grantlern, Schwulen, Lesben, Migranten und Berlinern hocken und ja, wenigstens einmal auf die gute alte Tante SPD anstoßen, der es leider ganz schlecht geht. Sollte sie ins Pflegeheim müssen, werden wir ihr Blumen bringen - rote Nelken.

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Quelle:
SZ vom 27.10.2018
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