Süddeutsche Zeitung

Wirtschaftsförderung:Haar setzt auf Start-ups und Hightech

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Nach dem Weggang des Pharmakonzerns MSD will die Gemeinde Unternehmensansiedlungen forcieren. Experten raten, die Nähe zu München zu betonen und moderne Firmen anzulocken

Von Bernhard Lohr, Haar

Die Unternehmer in Haar sollten bereits gemerkt haben, dass die Gemeinde ihnen mehr Aufmerksamkeit zuteil werden lassen will. Das Rathaus verschickte kürzlich Einladungen für einen Neujahrsempfang, der Anfang Februar erstmals eigens für die Firmenchefs ausgerichtet wird. Von März an dürfen sich die Gewerbetreibenden zusätzlich auf bessere Betreuung einstellen. Das Personal in der Wirtschaftsförderung wird aufgestockt. Die Gemeinde will die Gewerbeentwicklung mit aller Macht vorantreiben. Sie hat viel vor in den kommenden Jahren. Das kostet Geld, das bestenfalls über zusätzliche Gewerbesteuereinnahmen hereinkommt.

Damit sich solche Hoffnungen erfüllen, ist unter Federführung des Planungsverbands Äußerer Wirtschaftsraum ein Gewerbeentwicklungskonzept entwickelt worden, das drei Planer am Dienstagabend dem Gemeinderat in einer Sondersitzung vorstellten und am Ende mit Handlungsempfehlungen garnierten. Sie stützten sich dabei auf das Ergebnis eine Unternehmerbefragung und auf ein Expertengespräch mit Vertretern der Industrie- und Handelskammer sowie der Europäischen Metropolregion München.

93 Haarer Unternehmen beklagten in der Befragung, bei der 533 Firmen angeschrieben worden waren, den starken Wettbewerbsdruck, den Mangel an Fachkräften und die hohen Betriebskosten am Ort. "Haar muss und darf größer denken", referierte Stadtplaner Andreas Marx Empfehlungen der Vertreter der Wirtschaft. Die Gemeinde solle stärker ihre Nähe zur Stadt München nutzen. In der Vernetzung nach Trudering liege eine Chance. Viele Firmen ziehe es raus ins Umland, weil sie sich vergrößern wollten.

Marx und seine Kollegen Daniel Gromotka und Carola Seis lobten ihrerseits den "Haarer Weg", bereits bisher ein gehobenes Segment an Firmen an den Ort zu holen. Die Arbeitsplatzdichte sei mit 9400 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der 20 000-Einwohner-Kommune hoch. 1800 Jobs seien seit 2005 dazugekommen. Die Wertschöpfung je Arbeitsplatz sei im Vergleich etwa zu Feldkirchen oder Vaterstetten bedeutend. Fläche werde effizient genutzt. Es herrsche eine "urbane Struktur".

Erst im vergangenen Juli zeigte sich allerdings, dass sich Haar nicht auf den Lorbeeren ausruhen kann. Mit dem US-Pharmakonzern MSD kündigte einer der größten Steuerzahler in Haar an, seinen Sitz nach Berg am Laim in die "Macherei" zu verlegen, also in eines dieser hippen Stadtquartiere, das auf dem Gelände eines früheren Industriebetriebs entsteht. Dort werden in offenen Einheiten kommunikative Arbeitswelten angepriesen, was MSD im übrigen als einen der Hauptgründe nannte, warum man von Haar nach München ziehen will. An Erfolge bei der Firmenansiedlung wie in Unterföhring, Grünwald, Unterschleißheim oder auch Ismaning, wo 2018 mehr als 80 Millionen Euro Gewerbesteuer eingingen, reicht man in Haar lange nicht heran; trotz der jüngst gelungenen Ansiedlung des Nanotech-Unternehmens Attocube und auch einer Außenstelle des Europäischen Patentamts.

Die Stadtplaner rieten nun, die Kommunikation mit den Unternehmern am Ort zu verstärken. Haar solle sein Profil schärfen und nutzen, dass es dank des Isar-Amper-Klinikums einen Namen als Gesundheitsstandort habe. Stadtplanerin Seis empfahl konkret, sieben Standorte in der Gemeinde attraktiver zu gestalten. Im Ortsteil Eglfing riet sie zur Verdichtung an bestehenden Gewerbebauten und auch auf Sportplätzen. An der Peter-Henlein-Straße auf der Südseite der Bahn sollten ihrer Vorstellung nach Lagerhallen und Werkstätten mittelfristig für Bürogebäude weichen. Arbeitsplätze für Kreative, Start-up-Gründer und auch Co-Working-Areas könnten entstehen, ähnlich wie an der Hans-Pinsel-Straße. Interessant sei der Gronsdorfer Bahnhof wegen seiner Nähe zu Trudering. Dorfstrukturen in Gronsdorf, Salmdorf und Ottendichl solle man erhalten. Kleinbetriebe, wie etwa aus dem Handwerk, sollten an der Blumenstraße Platz finden. Die Finckwiese als größte unbebaute Gewerbefläche solle man weiter für ein großes Unternehmen freihalten.

Die Gemeinderäte nahmen die Empfehlungen zur Kenntnis. Kritik gab es daran, dass Kleinbetriebe verdrängt werden sollen. Thomas Reichel (CSU) sagte, schon jetzt sei das klassische Gewerbe unterrepräsentiert. Die Fraktionen sollen in den nächsten Wochen Anmerkungen ans Rathaus schicken. Dann soll erneut beraten werden.

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Quelle:
SZ vom 24.01.2019
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