Süddeutsche Zeitung

Unterhaching:Ein neuer Name gegen alte Schatten

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Das Förderzentrum, das einst nach dem Euthanasie-Befürworter Erwin Lesch benannt war, ehrt mit Thea Diem ganz bewusst ein Opfer der NS-Tötungsmaschinerie.

Von Irmengard Gnau, Unterhaching

Noch geht es Ricarda Friderichs etwas holprig von den Lippen, wenn sich die Leiterin des Förderzentrums Förderschwerpunkt geistige Entwicklung in Unterhaching am Telefon meldet. Doch das wird sich rasch ändern. Seit wenigen Wochen trägt die Schule einen neuen Namen, an den sich die Schulfamilie gerade gewöhnt. Er ist klangvoll und hat einen besonderen Hintergrund. "Thea-Diem-Schule" heißt das Förderzentrum von diesem Schuljahr an. An diesem Freitag feiert die Schule offiziell ihre Umbenennung. Die sonderpädagogische Bildungseinrichtung im Landkreis München erinnert damit an eine junge Frau, die vor 80 Jahren von den Nationalsozialisten getötet wurde, weil sie durch eine chronische Krankheit beeinträchtigt war.

Der Namensfindung ist ein langer Prozess vorausgegangen, währenddessen sich die Schulleitung, das Lehrerinnenkollegium, die Eltern und Schüler intensiv mit dem Umgang von Menschen mit Behinderung in der Vergangenheit und mit ihren eigenen Wünschen und Zielen für den Umgang miteinander auseinandergesetzt haben, in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Pädagogik bei geistiger Behinderung der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dass die Wahl für die neue Namenspatronin schließlich auf die Münchnerin Thea Diem fiel, ist in mehrfacher Hinsicht eine bewusste Entscheidung. Insbesondere setzt die Schule damit ein deutliches Zeichen gegen ihren einstigen Namensgeber.

Bis 2013 hieß das Förderzentrum - nicht als einzige Förderschule in Deutschland - nach Erwin Lesch, der während der Zeit des Nationalsozialismus in der Ausbildung für die damals sogenannten Hilfsschullehrer tätig war. Wie verquer diese Benennung war, kam erst zu Tage, als sich Wissenschaftler später mit Leschs Wirken näher auseinandersetzten. Ulrich Heimlich, damals Leiter des Lehrstuhls für Lernbehindertenpädagogik an der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität, war auf die Schule zugekommen. Er war in seiner Forschung zu dem Schluss gelangt, dass Lesch dabei geholfen habe, die radikale Behindertenpolitik der Nazis zu veröffentlichen und weiterzutragen, und diese mit all ihren Konsequenzen bis hin zu Zwangssterilisationen und Euthanasie mitgetragen habe. "Einen schlimmeren Namenspatron kann man sich eigentlich nicht vorstellen, gerade für unseren Förderschwerpunkt", sagt Friderichs rückblickend.

Nach diesen Erkenntnissen waren sich die Schulfamilie wie auch der Landkreis München als Kostenträger einig, dass das Förderzentrum den Namen des NS-Lehrers umgehend ablegen sollte. Im Herbst 2013 stimmte der Kreistag zu, auch die Gemeinde Unterhaching unterstützte die Umbenennung. Seither hieß die Schule zunächst ganz pragmatisch "Förderzentrum Förderschwerpunkt geistige Entwicklung". Der Wunsch, einen neuen, passenderen Namen zu finden, war aber stets vorhanden. Wieder mit Leben erfüllt wurde das Projekt nun durch Friderichs, die neben ihrer Tätigkeit als Schulleiterin auch Lehrbeauftragte am Lehrstuhl für Geistige Entwicklung der LMU ist. Sie konnte ihren Kollegen Peter Zentel, Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik bei geistiger Behinderung einschließlich inklusiver Pädagogik, für das Projekt gewinnen. Zentel schlug vor, die Schule nach einem Opfer der NS-Euthanasie-Politik zu benennen. Diese Idee gefiel.

Friderichs wünschte sich zudem einen Namenspatron oder eine Namenspatronin, die einen Bezug zur ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Haar hat, da die Gemeinde Haar zum Schulsprengel des Förderzentrums gehört. Zudem sollte es eine Person sein, die auch für die Schülerinnen und Schüler des Förderzentrums als Mensch greifbar ist. Thea Diem, 1908 in München geboren, erfüllte all diese Voraussetzungen. Die jüngste von drei Schwestern hatte ab dem Alter von 19 Jahren immer wieder starke epileptische Anfälle, die Ärzte waren ratlos. 1927 wurde Diem in die "Heil- und Pflegeanstalt" Schönbrunn bei Dachau überwiesen, wo sie über Jahre lebte. 1940 bescheinigte ein Meldebogen Thea Diem Arbeitsunfähigkeit, als Krankheitsdiagnose wurden Epilepsie und Schwachsinn aufgeführt, wie Diems Nichte Lisa Wanninger herausgefunden hat. In der rigiden Behindertenpolitik der Nazis war das ein Todesurteil. Im April 1941 kam Diem nach Eglfing-Haar; wenige Wochen später wurde die 33-Jährige in einer Tötungsanstalt der Nazis im österreichischen Hartheim nahe Linz umgebracht. Heute erinnert in der Münchner Romanstraße eine Stele an Thea Diems Leben und gewaltsamen Tod.

"Es war uns wichtig unseren Schülern zu zeigen, dass in der NS-Zeit schreckliche Dinge passiert sind, aber dabei die Kinder nicht zu verstören", sagt Friderichs. Mit viel Fingerspitzengefühl ist dies gelungen. Im vergangenen Wintersemester beschäftigte sich ein inklusives Seminar am Lehrstuhl von Professor Zentel bestehend aus Studierenden der LMU und Schülern aus der Berufsschulstufe der Förderstufe mit dem Schicksal von Thea Diem, die Teilnehmer sammelten die erschreckenden Fakten, aber auch schöne Erinnerungen aus Diems Alltag. "Wir haben für uns aus Thea Diems Geschichte die Folgerung gezogen: Wir wollen heute eine offene Schule sein für alle Kinder", sagt Friderichs. "Eine Schule der Vielfalt."

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