Süddeutsche Zeitung

Zuheir Darwish:Malen, um sich nicht zu verlieren

Lesezeit: 4 min

In den Neunzigern floh Zuheir Darwish aus Syrien nach Deutschland. Heute unterstützt er mit dem Erlös seiner Bilder und über den Verein "Baum der Hoffnung" Flüchtlinge.

Von Elisabeth Gamperl, Unterföhring

Die Hoffnung liegt in einem Keller in Unterföhring. Sie liegt zwischen Klappstühlen, Fahrrädern und alten Küchengeräten, dicht aneinander gestapelt lehnt sie an den Holztrennwänden. Die Hoffnung, die liegt für Zuheir Dawish in seinen Bildern. Das sind die Bäume, die Frauen und Kinder auf den Leinwänden, die hier auf zehn Quadratmetern lagern. Knapp hundert Bilder hat er in seinem Kellerabteil gebunkert, weil sich in der Wohnung, einen Stockwerk höher, kein Platz mehr findet.

"Die Malerei gibt mir Hoffnung", sagt Darwish. Sie lässt ihn seine schlimme Vergangenheit verarbeiten, mit dem Erlös der Bilder unterstützt er Menschen mit einem ähnlichen Schicksal. Darwish wurde in Syrien geboren, flüchtete und lebte ein Jahrzehnt lang mit ungewissen Asylstatus in Deutschland. Er hat viel gesehen, erlebt, er hat viel überstanden. Ob die Bilder im Kopf wohl je wieder verschwinden? Die Malerei ist womöglich nicht nur seine Hoffnung, sondern auch seine Rettung.

"Manchmal packt es mich und ich muss einfach drauf los malen", sagt Zuheir Darwish

Zuheir Darwish ist endlich angekommen. Der 39-Jährige lebt zusammen mit seiner Frau, Susanne Greiner, seit knapp zwei Jahren in Unterföhring. Es ist bunt hier. An den Wänden hängen seine Bilder, in den Vitrinen liegen bemalte Steine. Sogar ein kaputter Stuhl diente Darwish schon als Malgrundlage. "Ich weiß nicht, woher das kommt. Aber manchmal packt es mich und ich muss einfach drauf los malen", sagt Darwish. Er sitzt zusammen mit Greiner im Wohnzimmer. Sie ist eine besonnene Frau. Er serviert Hummus und Brot. Es klingt nach Idylle, wäre Darwish nicht so ungeduldig: Immer wieder steht er auf, holt Bilder, erzählt, springt von einem Thema ins nächste oder geht auf den Balkon, um zu rauchen. Er brauche immer was zu tun, sagt er, "deshalb male ich".

Seine Geschichte hört sich für mitteleuropäische Ohren wie eine Vorlage für ein Buch an: Darwish ist in Syrien geboren, seine Eltern waren staatenlos. Er wuchs bei einer befreundeten kurdischen Familie auf, wegen Konflikten zwischen Kurden und Arabern musste er fliehen. So begann seine Odyssee nach Deutschland: Er floh in den Libanon, landete dort in Gefangenschaft. Er war Mitte Zwanzig, als er entkommen konnte, gelangte über die Ukraine schließlich nach Deutschland. Aber das vermeintliche Happy End entpuppte sich als zehnjähriger Albtraum.

Das erzwungene Nichts-Tun zehrte an dem gebürtigen Syrer

"Guantanamo in Deutschland", sagt Darwish. So nennt er die Asylbewerberheime in der Oberpfalz, in denen er als Geduldeter lebte. "Ich durfte so wenig tun." Das ist wohl für jeden schlimm, für einen unruhigen Geist wie ihn kann das zur Hölle werden. Und es wurde schlimm. An ein Erlebnis kann er sich besonders gut erinnern: "Ich konnte kein Geld verdienen, mir nichts aufbauen", erzählt er aufgewühlt. Er hat auch drei Kinder, das älteste ist zwölf Jahre alt. "Einmal wollte eines der Kinder ein Eis haben. Eine Kugel kostete so 60 Cent. Ich konnte ihm kein Eis kaufen. Es begann zu weinen und ich konnte es nicht trösten. Mir tat das so weh."

Um der Tristesse zu entkommen, engagierte er sich politisch. So hat er auch seine heutige Ehefrau Susanne Greiner kennen gelernt: Die Grundschullehrerin und der Künstler begegneten sich das erste Mal vor vier Jahren auf einer Demo am Marienplatz. "Damals wollten wir uns solidarisch mit dem Arabischen Frühling in Syrien zeigen", sagt Greiner.

Mittlerweile hat sich die Situation verändert. Die Revolution wurde zum Bürgerkrieg. Millionen von Menschen sind auf der Flucht. Seit vergangenen Sommer kommen viele von ihnen nach Deutschland. Darwish macht das sehr betroffen. Er arbeitet in der Nachbarschaftshilfe und versucht, Flüchtlingen mit Rat zur Seite zu stehen. "Ich weiß sehr gut, wie es ihnen geht. Man hat sehr viel Schlimmes erlebt und jetzt in Deutschland wartet die Ungewissheit", sagt Darwish.

Der Baum als Symbol der Hoffnung ist der rote Faden in Darwishs Werk

Wann Darwish mit dem Malen begonnen hat, das weiß er nicht mehr so genau. Als er noch in der Oberpfalz lebte, kritzelte er alles an, was er finden konnte. Kartons, Steine, Wände. Seit zwei Jahren malt er regelmäßig. Wenn es ihn packt, steht er in der Nacht auf. "Da kann ich am besten zeichnen." Er malt, um sich nicht zu verlieren, um alles was er gesehen und erlebt hat, zu verarbeiten. Er malt mit den Fingern, nicht mit Pinsel. "Ich schaffe es nicht, mir den anzugewöhnen", sagt er.

Er benutzt nicht nur Acrylfarben; er verwendet auch Pflanzensamen, Ziegelsteinpulver oder Gitter. Daraus entstehen eindringliche Gemälde, meist in finsteren, kräftigen Farben. Der Baum als Symbol der Hoffnung zieht sich wie ein roter Faden durchs Werk. "Der ist da, auch wenn man ihn nicht sofort erkennt", sagt er. Der Baum, weil es für ihn die Hoffnung und das Leben bedeutet. Oft sind auch Frauen zu sehen. Das Schicksal der Frauen berührt ihn besonders. "Sie haben es sehr schwer und sind von Krieg und Krisen die größten Leidtragenden", sagt er.

Darwishs Bilder finden mittlerweile viele Abnehmer. Eine Ausstellung gibt es derzeit in der Filiale der Münchner Bank in Unterföhring, von 24. Juni an sind seine Werke auch im Unterföhringer Bürgerhaus zu sehen. Darwish und Greiner haben den Verein "Baum der Hoffnung" gegründet, um mit dem Erlös aus den Bildern Projekte unterstützen zu können. Derzeit sind es drei: Eine Schule in Erbil/Irak, eine an der türkischen Grenze zu Syrien und eine Bäckerei in der Türkei.

Er kam durch Bekannte und Verwandte auf die Schulen und die Bäckerei. "Ich möchte den Menschen mit meiner Arbeit helfen", sagt Darwish. Ähnlich sieht es Greiner: "Wir haben hier alles, was wir brauchen." Dass er diese Projekte unterstützen kann, helfe auch ihm, sagt Darwish. Damit fühle er sich nicht untätig und machtlos.

Darwish kombiniert Turban und Lederhose

Wenn Darwish nicht malt, bäckt er und zwar Brot. Dafür hat er einen eigenen Ofen gebaut und eigene Zutaten kreiert. Er bäckt für seine Freunde am Ufer der Isar und manchmal bei Veranstaltungen der Gemeinde. Zuheir Darwish ist nicht nur sein aktives Mitglied der Gemeinde, sondern auch ein sehenswertes: Er trägt einen kurdischen Turban und dazu eine Lederhose. Oben Kurdistan, unten Bayern. "Ich fühle mich hier wohl", sagt Darwish. Gleichwohl vergesse er aber auch nicht seine Vergangenheit und seine Wurzeln. Vielleicht ist er selbst der Baum, der in seinen Bildern immer zu finden ist. Er lächelt und wirkt für einen Moment zufrieden. Allein dafür hat sich das Hoffen schon ausgezahlt.

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Quelle:
SZ vom 21.05.2016
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