Süddeutsche Zeitung

100 Jahre SPD in Haar:Die alten Wilden

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Bei der 100-Jahr-Feier der Haarer SPD blicken die ehemaligen Bürgermeister Helmut Dworzak und Hans Wehrberger zurück und kommen zu dem Ergebnis: "Im Vergleich zu uns damals ist der Kevin Kühnert ein JUler".

Von Lars Brunckhorst, Haar

Für Sozialdemokraten gibt es zurzeit eher wenige Gelegenheiten, die das Herz erwärmen. Bei der Landtagswahl im vorigen Jahr rutschte die SPD unter zehn Prozent und in Umfragen zur Europawahl am Sonntag liegt sie bei 15. Überhaupt scheinen immer weniger Herzen links zu schlagen, hat sich, wie Helmut Dworzak, Haars früherer SPD-Bürgermeister sagt, offenbar mit Verspätung die These des liberalen Vordenkers Ralf Dahrendorf von 1983 bestätigt, wonach die "Mission Sozialdemokratie" erfüllt sei.

Wie gut, dass es wenigstens einige wenige rote Wärmestuben gibt. Eine der letzten ist in Haar, wo die Partei seit fast 60 Jahren an der Macht ist, und so nahm es nicht wunder, dass sich am Mittwochabend der große Saal des Bürgerhauses gut füllte, als der Ortsverein sein hundertjähriges Bestehen feierte. Genau genommen ist es sogar das 101-Jährige gewesen, aber das stellten SPD-Fraktionschef Alexander Zill und die Genossen erst fest, als sie zum Jubiläum recherchierten.

Etwa genauso viele Zuhörer, wie es Jahre zu feiern galt, fanden sich in dem mit roten Fahnen und Tischtüchern dekorierten Saal ein - unter ihnen die SPD-Bürgermeister von Grasbrunn, Feldkirchen, Putzbrunn und Unterhaching, Klaus Korneder, Werner van der Weck, Edwin Klostermeier und Wolfgang Panzer, sowie der langjährige Landtagsabgeordnete Peter Paul Gantzer, aber auch Vertreter vieler Vereine, etwa der Volkshochschule, der Bürgerstiftung und des Seniorenclubs.

Sie waren nicht nur gekommen, um mit einem Glas Sekt anzustoßen, über alte Zeitungsausschnitte und Plakate zu schmunzeln, die im Foyer ausgestellt waren, sondern vor allem in gespannter Erwartung auf das "Gespräch mit drei Bürgermeistern": zwischen der amtierenden Rathauschefin Gabriele Müller und ihren Parteifreunden und Vorgängern Helmut Dworzak (1992 bis 2014) und Hans Wehrberger (1984 bis 1992). Eine durchaus unterhaltsame Idee, die zugleich mit Blick auf die Kommunalwahl 2020 eine bewusste Demonstration der SPD-Führungsrolle am Ort war.

Leidenschaftlich statt sentimental präsentieren sich die früheren Bürgermeister im Gespräch mit der amtierenden Rathauschefin

Die drei lieferten weniger eine sentimentale Rückschau auf 35 Jahre Rathauspolitik als leidenschaftliche Bekenntnisse für sozialdemokratische Politik. Von Kinderbetreuung über Bildungspolitik bis zu sozialem Wohnungsbau und Steuergerechtigkeit reichten die Themen, die in einer Stunde angesprochen wurden und unter dem von Müller ausgegebenen Motto standen: "Was treibt uns an?" Für sie selbst sei es der Wunsch, sich selbst einzubringen im Gemeinwesen, "mitzumachen", und den Menschen zu helfen in all ihren Lebenslagen. Getreu ihrem Ziehvater Dworzak, der die heutige Bürgermeisterin überhaupt erst in die Politik holte, als sie bei ihm mit dem Wunsch nach einer inklusiven Kita vorstellig wurde. "In dir hatte ich jemanden gefunden, der mir zuhörte und mich ernst nahm", sagte Müller zu Dworzak.

Sozialdemokratische Ideen in konkrete Politik umsetzen - das ist auch der Leitgedanke von Dworzak und Wehrberger gewesen. Ob es um die Einrichtung einer ersten Kinderkrippe, den Ausbau der Erwachsenenbildung, die sozialgerechte Bodennutzung oder die Siebzigerjahre-Hochhaussiedlung Jagdfeld ("ein Vorzeigeprojekt sozialdemokratischer Städteplanung und Wohnungspolitik") ging. Notfalls auch gegen Widerstände. So erinnerte Wehrberger daran, dass die CSU seinerzeit noch die Ansicht vertreten habe, Kinder unter zwei Jahren gehörten heim zur Mutter und in Kitas würden "die Kriminellen von morgen" großgezogen. "Das Amt ist manchmal nicht lustig", bekannte Dworzak, dem an diesem Abend trotzdem der Schalk im Nacken saß, und er erzählte vom Kampf gegen die "Expansion" von Baugebieten und für den Erhalt von Grün- und Freiflächen, wobei er bisweilen gehörig unter Druck gesetzt und sogar bedroht worden sei.

Natürlich war der Abend aber auch gespickt mit Anekdoten, etwa über die erste Umweltreferentin im Rathaus - "eine Frau, die an der FU Berlin Politologie studiert hatte, also mit linkem Schlag" ( Wehrberger) - oder den Bruch mit dem ersten SPD-Bürgermeister Willi Träutlein, der 1977 sein Parteibuch zurückgab. Dworzak: "Im Vergleich zu uns damals ist der Kevin Kühnert ein JUler." Vor allem war der Abend aber eine Selbstvergewisserung, mit den eigenen Überzeugungen auf der richtigen Seite zu stehen.

"Kommunalpolitik ist die Politik des Machbaren", dieser Satz ihres Vorgängers sei bei ihr hängen geblieben, sagte Müller abschließend und fasste damit treffend die pragmatische Einstellung aller drei Bürgermeister zusammen. Für sie selbst sei es "Antrieb", als Bürgermeisterin weitermachen zu wollen. So viel Wahlkampf musste zehn Monate vor der Wahl sein. Das Publikum quittierte die Ankündigung mit Bravo-Rufen und Applaus. Müller und ihre Kollegen hatten ganz offenbar die Herzen erreicht.

In einer ersten Fassung war Alexander Zill fälschlich als SPD-Ortschef bezeichnet worden. Zill ist jedoch im vergangenen September aus der Partei ausgetreten. Er führt aber weiterhin die SPD-Gemeinderatsfraktion.

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SZ vom 24.05.2019
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