Süddeutsche Zeitung

Ottobrunn:Superman aus dem Callcenter

Lesezeit: 3 min

Amir Shahbazz gewinnt den Kabarettistenwettbewerb "Amici Artium".

Von Francesco Collini, Ottobrunn

Als Amir Shahbazz zum zweiten Mal auf die Bühne gebeten wird, wirkt er fast verlegen, als würde er sich nicht noch einmal vor das Publikum trauen. Der Frankfurter Kabarettist mit pakistanischen Wurzeln und britischem Pass hat an diesem Samstagabend den 19. Ottobrunner Kabarettistenwettbewerb "Amici Artium" gewonnen, nun muss er seine Zugabe geben. "Wow, vielen Dank Ottobrunn!", sagt er. Die Auszeichnung überrasche ihn: "Wisst ihr, ich mach's nicht hauptberuflich." Shahbazz behauptet, er arbeite im Callcenter: "Aber ich bin nicht der, der euch anruft und euch auf die Nerven geht. Ich bin der, den ihr anruft und euch nicht weiterhelfen kann." Noch einmal bringt er die Gäste im vollen Festsaal des Wolf-Ferrari-Hauses zum lautstarken Lachen, doch sofort kommt die nächste Pointe.

Durch sein Kabarettistendasein fühle er sich wie ein Superheld, der tagsüber ein stinknormales Leben führt und nachts in eine Parallelwelt eintaucht, sagt Shabazz, "ein bisschen wie Clark Kent." Wie Superman ziehe er nach der Arbeit seine Arbeitsklamotten aus. "Ich setze sogar meine Brille ab, nur dann sehe ich nix mehr."

Auch von seinem Elterndasein erzählt Shahbazzs voller Selbstironie: "Bei der Geburt meines Kleinen wollte ich dabei sein, aber meine Frau hat mir gesagt: ,Schatz, total süß von dir, aber wir beide wissen, du bist keine Hilfe.'" Wieder Gelächter.

In der Viertelstunde, die ihm zur Verfügung steht, macht sich Shahbazz auch über die Absurdität mancher Kinderlieder und Märchen lustig. So werden das "Männlein im Walde" und der "Mann im Mond" zu "pädophil angehauchten", unheimlichen Figuren: "Wenn die kleinen Kinder schlafen...nein, mein Sohn, bleib wach! Ich und deine Mutter bleiben wach, bis wir geklärt haben, wer dieser perverse Mann im Mond ist!"

Lakonische Art und lässig-extravagantes Outfit

Klar, thematisch betritt der Stand-up-Comedian mit seinen Witzen kein Neuland. Doch es ist die zurückhaltende, fast lakonische Art Shahbazzs, der trotz eines lässig-extravangten Outfits - sandgelbes T-Shirt und Sneakers, schwarzgelber Baseballcap - seine Bühnenpräsenz aufs Minimum reduziert, die überzeugt. Er braucht weder einen Musikauftritt, einen Tanz noch sonstige Extravaganzen, um das Publikum zum Lachen zu bringen. Darum funktioniert die Selbstdarstellung als tollpatschiger Superman so gut: Shahbazz ist der Kumpel, der bei einem Getränk oder draußen beim Rauchen die Knaller raushaut. Darum ehren ihn sowohl die Jury, bestehend aus der Kabarettistin Patrizia Moresco, die selbst einen Auftritt außer Konkurrenz hatte, und den Schauspielern Caroline Betz und Marc-Andree Bartelt - als auch das Publikum mit dem jeweiligen Siegerpreis.

Punktgleich zweitplatziert werden der britische Kabarettist Tim Whelan - oder, wie er in Deutschland oft genannt wird, "Wehlan" (dazu sagt er: "mein Vater war Modem") - und der Mannheimer Comedian Berhane Berhane. Wenn die absurden Songs ("Stoned im Ikea", ein Reggae-Lied über anstrengende Möbelhaus-Besuche) und die Belustigungen über die Härte der deutschen Sprache (Verkehr werde lustigerweise nicht nur für Fahrzeuge, sondern auch für Sex verwendet) Whelans ein wenig zu verkopft sind, wirken Berhane Berhanes bewusste Übertreibungen über Ausländer und Frauen trotz eines ordentlichen Pointen-Rhythmus ziemlich überholt.

An Poetry Slam gewöhnen

Wenn es einen Ehrenpreis gegeben hätte, der wäre zweifelsohne an den Mainzer Artem Zolotarov gegangen. Der Poetry-Slammer rezitiert drei Gedichte über die personifizierte Angst ("Ich schäle dich von innen aus"), Mobbing in der Schule aufgrund von Hässlichkeit, und die Geschichte seiner Einwanderung von der Ukraine nach Deutschland. Mit Pointen wie: "Ich bin Flüchtling und Asylant wie die anderen Menschen an den Grenzen", wühlt er das Publikum auf, das mit derart bitterernsten und berührenden Themen nicht gerechnet hatte und sich wie hypnotisiert seine fesselnden Geschichten anhörte.

Doch der Grat zwischen Verwunderung und Verwirrung ist eben ein schmaler, darum muss sich Organisator Bernd Seidel, der die Auftretenden ausgewählt hat, während einer der Pausen für die Auswahl einer solchen Kunstform rechtfertigen. Er habe sich für Zolotarov entschieden, weil Poetry Slam immer mehr im Kommen sei: "Wir müssen uns daran gewöhnen", sagte Seidel. Doch für einen Kabarett-Abend sind Zolotarovs Themen wohl zu ernst, deshalb schafft er es nicht aufs Podest. Dennoch wünschen sich einige im Publikum, dass er bald wieder nach Ottobrunn kommen soll - zu einer passenderen Veranstaltung.

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Quelle:
SZ vom 25.11.2019
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