Süddeutsche Zeitung

Ortsdurchfahrt:Umleitung? Umdrehen, bitte

Lesezeit: 3 min

In Baierbrunn ist die B 11 die nächsten Wochen wegen Bauarbeiten gesperrt. Dennoch versuchen in den ersten Tagen noch viele Autofahrer, die Straße zu nutzen. Geschäftsleute klagen über spürbare oder zu erwartende Einbußen

Von Claudia Wessel, Baierbrunn

Der Mann fährt einen dicken braunen SUV, Glatze, schicke Brille. Er hat aber offensichtlich zum Frühstück Kreide gefressen. Vor dem ausgefahrenen Arm des Herrn in gelber Warnweste hat er angehalten, das Fenster runtergefahren und nun schaut er mit großen unschuldigen Augen heraus. "Wo wollen Sie hin?" fragt der Warnwestenmann streng. "Nach München" säuselt der SUV-Fahrer in überraschender Tonlage und es entwickelt sich einer der absurden Dialoge an diesem Tag an der eigentlich gesperrten B11 in Baierbrunn. "Haben Sie das Umleitungsschild nicht gesehen?" "War da eine Umleitung?" "Allerdings." "Ach ja, aber ich bin extra weitergefahren, um zu fragen, wieso." Auch wenn's dem SUV-Fahrer sichtlich schwer fällt, er muss umdrehen.

Wenige Minuten später das nächste Fahrzeug. Fenster runter, eine junge Frau mit braunen Rehaugen schaut betont unwissend und fiept: "Kann ich noch einmal durchfahren?" "Nein." "Und wie komme ich nach Pullach?" "Über die Umleitung durch Kloster Schäftlarn. Sie wohnen ja nicht in Baierbrunn." Zögern bei der Fahrerin. "Nein, ehm doch, irgendwie schon." Nicht überzeugend, auch sie muss umdrehen.

Nach ein paar weiteren Fahrzeugen gibt der Warnwestenmann auf. Wenn er jeden anhalten und ermahnen wollte, käme er nicht zu seiner eigentlichen Arbeit, der Baustellenvorbereitung. Schließlich geht er gemeinsam mit seinem Begleiter weiter an der Straße entlang, sie sprühen pink-farbene Punkte und Pfeile auf den Asphalt und schieben einen Rolltacho zur Vermessung der Straße an ihr entlang.

Auch ein kleiner Bagger ist am ersten Tag der Sperrung schon da, er hebt kleine Löcher am Straßenrand aus, nur ein Arbeiter ist damit befasst. Erst am nächsten Tag sollen die schweren Baufahrzeuge kommen, kein Wunder also, dass viele noch versuchen, die Sperrung zu ignorieren. Da für Anwohner immer eine Zufahrt möglich ist, außer an manchen Tagen, gibt es auch ein Durchkommen. Man sieht somit auch an diesem Tag Autonummern wie DEG, EU, eine polnische, eine undefinierbare, die mit AXP beginnt, TÖL, OF und viele weitere.

Thomas Franz vom Autosalon Isartal wünscht sich eine Ausweichroute für seine Kunden.

Dorfladenbesitzer Achmed Nesami bemerkt schon am ersten Tag den Kundenrückgang.

Roman Schmoll, Wirt des Gasthofs Zur Post, hier mit Sohn Raphael, ist's egal. Er hört sowieso bald auf.

Ob sich auch seine Kunden diese kleine Frechheit erlauben, bezweifelt Thomas Franz, Inhaber des Autosalons Isartal. 90 Prozent seiner Kunden kämen von weit weg, die Baierbrunner seien "zu 99 Prozent nicht unsere Kunden". Franz ärgert sich etwas darüber, dass man ihm von Seiten der Gemeinde und der Bauleitung keine Alternativroute für seine Kunden anbieten konnte. "Wir sind schließlich Gewerbesteuerzahler, wie zahlen Steuer in sechsstelliger Höhe. Da wünschen wir uns ein wenig Support."

Auch bezüglich der Baugeschwindigkeit hat Franz seine Zweifel, zumindest am ersten Tag. "Zwei Arbeiter Ü 60" hat er gesichtet. Mit diesen dauere das Ganze sicher länger als die geplanten sechs Wochen und sein Umsatz werde darunter leiden.

"Wurscht" ist die Straßensperrung dagegen Roman Schmoll, Wirt des Gasthauses Zur Post. "Wir hören sowieso auf", sagt er. "Die Post wird saniert, hier kommen Wohnungen hin." Er sucht jetzt eine neue Gaststätte irgendwo in Bayern. Vor der Post war er 20 Jahre lang in Wolfratshausen. In die Post habe er 70 000 Euro gesteckt und nun müsse er nach drei Jahren wieder raus, aber das war eben am Anfang nicht absehbar, sagt er. Bei der letzten Straßensperrung 2016 war er gerade in Baierbrunn angekommen. Unter Gästemangel litt er damals trotzdem nicht, da das Hotel noch voll belegt war. Inzwischen steht es bereits leer. Trotzdem kann man in der Post noch täglich speisen. Auf einem Schild draußen steht in Kreideschrift "Heit gibt's Schweinebraten, Böhmischen Sauerbraten, Fischfilet, Brotzeiten".

Dass die Zahl seiner Kunden schon abnimmt, hat der Inhaber des Dorfladens mit Postfiliale, Achmed Nesami, bereits am ersten Tag gemerkt. "Morgen wird es noch schlimmer werden", sagt er im Hinblick auf das Anrücken der Baumaschinen, an denen selbst freche Autofahrer nicht mehr vorbeikommen. Auf seiner Theke hat er unter der Plastikabdeckung das Schreiben des Bauunternehmens Kutter gut lesbar für seine Kunden hingelegt. Darin gibt es eine grobe Übersicht über die Arbeiten.

Rund 280 Mitarbeiter müssen täglich zur Firma Wort und Bild. "Wir gelten als Anlieger und dürfen durchfahren", sagt Pressesprecherin Katharina Neff-Neudert. An den wenigen Tagen, an denen wegen Teerarbeiten auch die Anlieger nicht durchkommen könnten, müssten die Mitarbeiter eben aufs Fahrrad oder die S-Bahn zurückgreifen.

Wer in Baierbrunn zu normalen Zeiten die Straße überqueren möchte, lebt gefährlich. Wegen des starken Verkehrs muss man dabei sehr auf der Hut sein. Das ist am ersten Tag der Sperrung nur wenig besser. Zu viele Verkehrssünder, die es einfach doch mal probieren. Umleitung? Ach ja!

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Quelle:
SZ vom 14.06.2019
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