Süddeutsche Zeitung

Leben ohne Oktoberfest:Sehnsucht nach der Augustiner Südwand

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Natürlich freut man sich beim Trachtenverein "D' Isartaler" auf die Wirtshauswiesn. Und auch DJ Woiferl ist für die kleinen Volksfeste fern der Bavaria gut gebucht. Aber reicht das als Oktoberfest-Ersatz?

Von Claudia Wessel, Grünwald/Unterschleißheim/Straßlach

"Vermissen ist gar kein Ausdruck!", sagt Christoph Sappel, Schriftführer des Grünwalder Trachtenvereins "D'Isartaler" beim Probesitzen im Alten Wirt für die dortige Wirtshauswiesn an diesem Samstag, wo die Deininger Blaskapelle spielen wird. "Da fehlt was!", bekennt er, "und das gleich zwei Wiesn hintereinander." Die Wirtshauswiesn, fügt er hinzu, "kann das nur bedingt ersetzen."

Denn wie kann man ein ganz normales Wirtshaus schon vergleichen mit der "Augustiner Südwand", wo sich Sappel und seine Spezln normalerweise immer treffen. Dort kennen sie die Bedienung und das hat klare Vorteile. Sappel vermisst diese Zusammenkünfte mit Leuten, die er sonst das ganze Jahr über nicht sieht. Und auch mit neuen Bekanntschaften, die nicht selten sehr spannend sind. So zum Beispiel lernte er einmal einen BND-Mitarbeiter kennen.

Hans Häusler, seit 42 Jahren Vorsitzender der Isartaler, dagegen sagt: "Hackerzelt, immer Hackerzelt." Das liege zum einen daran, dass er mit Toni Roiderer in die Schule ging, zum anderen daran, dass schon sein Vater einst in der heutigen Roiderer-Metzgerei in Straßlach gearbeitet habe. Außer dem Hackerzelt haben die beiden aber natürlich noch eine Vorliebe: das Traditionszelt auf der Oiden Wiesn, in dem sie auch schon öfter mit Schuhplattler und Volkstänzen aufgetreten sind. Man hört die beiden regelrecht seufzen beim Gedanken daran.

Keine echte Wiesn - DJ Woiferl und seine Frau Gisela können darüber nicht klagen. Sie haben während der beiden Wiesn-Wochen so viele kleine Oktoberfeste zu feiern, dass es ihnen an Gelegenheiten zum Ausführen ihrer Trachten-Outfits nicht fehlt.

Zum einen haben sie die "Valentinspark Wiesn" in Unterschleißheim mitorganisiert, auf der sie jeden Sonntagabend ganz privat zu finden sind, zum anderen sind sie bei zahlreichen Gelegenheiten als Unterhalter tätig. So etwa gab es für sie am vergangenen, quasi dem ersten Wiesn-Wochenende, an einem einzigen Tag gleich vier Oktoberfeste: zwei in Firmen für deren Mitarbeiter, einen 50. Geburtstag mit Ozapfn und eine Feier im Olympiastadion im 11. Stock des "Weitblick". Am Freitag waren sie in der Waldwirtschaft in Pullach, am kommenden Wochenende geht es unter anderem ins Gasthaus neben dem Taufkirchner Rathaus. Natürlich alles corona-konform, wie sie betonen.

Trotzdem, ja, auch sie vermissen die Wiesn. "Wir waren da zu Hause", sagt Woiferl Kraus, den aber jeder nur unter seinem Künstlernamen kennt, der übrigens auch in seinem Pass steht, wofür der Unterschleißheimer Bürgermeister Christoph Böck gesorgt habe, so Woiferl. Elf Jahre lang lebte das Künstlerpaar dort, inzwischen ist es nach Neufahrn gezogen. Auf der Wiesn, der richtigen, "gibt es fast niemanden, den wir nicht kennen", sagt Woiferl. Sozusagen eine große Familie. In Bodos Backzelt hat DJ Woiferl 2016 den Titel "Erster Wiesn DJ" erlangt - er hat am Sonntagnachmittag in dem Zelt aufgelegt, obwohl für die Wiesn bis dahin nur Live-Bands in Frage kamen. Vor allem auf der Oiden Wiesn fühlten er und seine Frau sich zu Hause. "Die geht jedem ab", ist er sicher. Auch weil dort das "Faschingsfest" noch nicht so durchgedrungen ist.

Auch Horst Röhrig liebt die Oide Wiesn, zu der er besonders gerne geht. Am Samstagvormittag vor einer Woche, normalerweise der erste Wiesntag, sitzt der aus Hessen Angereiste im Gasthaus zum Wildpark in Straßlach-Dingharting und lässt sich die Weißwurst schmecken, während direkt neben ihm ozapft wird. Auch für ihn nur ein Ersatz. Seit gut 20 Jahren kommt er zur Wiesn. Bis 2019 war er 24 Jahre lang Bürgermeister der hessischen Gemeinde Lang Göns. Als solcher reiste er alljährlich zum Mittelhessenstand auf der Expo Real, die normalerweise zeitgleich mit dem letzten Wiesn-Wochenende stattfand. "Wirtschaftsförderung ist Chefsache", hatte er beschlossen. Vor zwei Jahren endete mit Röhrigs Ruhestand diese schöne Routine, doch er wollte sie nicht aufgeben. Und weil auch er schon immer Stammgast des Hackerzeltes war, landete er natürlich bei der Wirtshauswiesn der Roiderers.

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SZ vom 25.09.2021
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