Süddeutsche Zeitung

Baierbrunn:Allein im Rathaus

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Innerhalb kurzer Zeit verlässt die ganze Führungsriege der Gemeindeverwaltung Baierbrunn. Im Gemeinderat sind sich viele einig: Schuld daran ist die Bürgermeisterin.

Von Iris Hilberth, Baierbrunn

Der Kreis ist überschaubar. Mikrofone braucht man im Baierbrunner Rathaus nicht, um sich zu verständigen. Der "Michi", der "Hannes" und die "Christel" müssen nicht einmal die Stimme heben, um sich Gehör zu verschaffen. Laute Töne sind nicht notwendig. Die Stimmung ist freundlich, man könnte fast sagen freundschaftlich. Man duzt sich: Dreizehn Männer, eine Frau und die Bürgermeisterin kommen zusammen, wenn der Gemeinderat tagt. Man könnte meinen: Hier ist die Welt der Kommunalpolitik noch in Ordnung. Man lässt sich ausreden und Bürgermeisterin Barbara Angermaier gibt sich alle Mühe, Beschlüsse herbeizuführen, mit denen alle zufrieden sind.

Vielleicht ist der 53-jährigen gelernten Innenarchitektin eine gewisse Unsicherheit anzumerken, wenn sie mit einem verstohlenen Blick zur Seiten noch einmal die Bestätigung von Bauamtsleiter Richard Schmidt zum Sachverhalt erbittet. Geschuldet ist diese Geste womöglich der Befürchtung, es nicht allen recht machen zu können. Und wenn die Sitzung um ist, hat der Zuschauer den Eindruck: Es ist ihr ernst damit, alle ins Boot zu holen, wie sie stets betont.

Denn lieber stellt sie vor einer Abstimmung, wie diese Woche bei der Diskussion über die Fortschreibung des Regionalplans, noch einmal die Frage: "Könnt ihr mit dem Vorschlag mitgehen?" Es scheint im Baierbrunner Rathaus um Konsens zu gehen statt um Konfrontation. Das ist die eine Sicht der Dinge, die Wahrnehmung Außenstehender.

Die Rathauschefin, so der Vorwurf, habe einen herrischen Führungsstil und brülle herum

Nun aber ist mit einem Schlag die komplette Führungsmannschaft im Baierbrunner Rathaus von Bord gegangen. Geschäftsführer Markus Stark hat sich nach Otterfing versetzen lassen, Bauamtsleiter Schmidt wechselt nach Straßlach-Dingharting, wo auch die Kämmerin Diana Lischka anheuert, nachdem ihr befristeter Vertrag in Baierbrunn nicht verlängert wird.

Fragt man die parteilose Bürgermeisterin nach den Gründen für die Kündigungswelle, bezeichnet sie den Weggang ihrer ersten Garde zwar als "sehr schade", kann aber nicht wirklich etwas Bemerkenswertes oder Eigenartiges daran finden. Schließlich gebe es in anderen Gemeinden auch häufig Wechsel in der Verwaltung. Und wenn sich jemand wie Stark nach 23 Jahren verändern wolle, verstehe sie das.

Die CSU versteht das anscheinend auch allzu gut. Nur ganz anders. Sie gibt Angermaier in einem Schreiben an die Presse, das deren Vorsitzender Patrick Ott auch auf der Facebook-Seite des Ortsverbands Baierbrunn veröffentlicht hat, die Schuld an der Entwicklung und erhebt schwere Vorwürfe: "In nicht mal zwei Jahren Amtszeit hat die Bürgermeisterin von Baierbrunn den bisher effizienten und funktionsfähigen Geschäftsbetrieb der Gemeindeverwaltung praktisch zum Stillstand gebracht."

Ott findet es "gnadenlos geheuchelt" und "absurd", dass der in Baierbrunn lebende Stark bloß wegen der "Luftveränderung" in einer anderen Gemeinde eine identische Stelle annehme. Vielmehr habe Angermaier ihren Geschäftsleiter loswerden wollen. Aus dem Rathaus will der CSU-Chef erfahren haben, dass Angermaier ein "herrisches Auftreten" und einen "Drang zur Kontrolle über alles" habe, Mitarbeiter anbrülle und Gespräche mit Bauträgern oder anderen Antragstellern alleine führe. Sein Fazit: Angermaier ist mit dem Amt überfordert.

Die Bürgermeisterin reagiert sichtlich schockiert auf diese Anschuldigungen. "Das ist unverschämt", sagt sie. Zumal Ott noch nicht einmal in Baierbrunn wohne, sondern im Nachbarort Schäftlarn. Sie habe niemanden loswerden wollen. "Und ich schreie auch niemanden an", stellt sie klar. In ihrer Stimme schwingt gewisses Erstaunen mit, gepaart mit Entsetzen über solche Vorwürfe. "Das ist nicht mein Stil", sagt sie. Druck erzeuge schließlich Gegendruck, "und das will ich überhaupt nicht".

Barbara Angermaier will alle mit ins Boot holen. Aber manchmal geht es ihr einfach zu langsam

Die erste Führungsebene habe stets an ihrer Seite gearbeitet. Angermaier spricht von einem "vertrauensvollem Verhältnis", weil sie alle an einen Tisch geholt habe. "Ich finde es sehr traurig, wenn in der Kommunalpolitik schmutzige Wäsche gewaschen wird." Schließlich erfahre sie als Bürgermeisterin in der Gemeinde überall Wertschätzung. Dem CSU-Vorsitzenden wirft sie vor, jetzt bereits Wahlkampf zu machen, um sich rechtzeitig als ihr Herausforderer in Stellung zubringen.

Da sich die drei ehemaligen Amtsleiter zu ihrem Weggang selbst nicht öffentlich äußern, muss man sich in der Verwaltung und bei einzelnen Gemeinderäten umhören. Und danach stellt sich die Sache doch etwas anders dar. Die CSU jedenfalls steht mit ihrer Einschätzung nicht so alleine da, wie Angermaier behauptet. Da fügt sich das Bild einer Bürgermeisterin zusammen, die nach 22 Jahren zu Hause bei Kindern und Haushalt plötzlich als Chefin des Rathauses auf eine Verwaltung trifft, die nicht bereit ist, von jetzt auf gleich ihre Arbeitsweise zu ändern. Die Folge ist eine "große Verunsicherung", wie einer sagt.

Und Mitarbeiter, die sich gegängelt, bevormundet und vor den Kopf gestoßen fühlen, weil die Bürgermeisterin die übliche Gangart und das von Verordnungen beeinträchtigte gemächliche Tempo einer Behörde nicht hinnehmen will. Die Transparenz predigt und in ihrem Rathaus der offenen Türen aber auch leicht den Eindruck erweckt, alle kontrollieren zu wollen. "Manchmal geht es mir zu langsam", hatte Angermaier nach einem Jahr im Amt eingeräumt. Es fehle die Wertschätzung heißt es aus dem Rathaus. Man vermisst den richtigen Umgang. "Übermotiviert" nennt das ÜWG-Gemeinderat Hans Ruppenstein. In der Verwaltung spricht man von einem "Kommunikationsproblem".

Man kann Angermaier nicht vorwerfen, nicht mit den Leuten zu reden. Eigentlich ist eher das Gegenteil der Fall. Diese Politik des Alle-ins-Boot-Holens führt offenbar vielmehr dazu, dass geradezu ausufernd mit allen und jedem über die Themen gesprochen wird, die ersehnten Entscheidungen sich jedoch hinziehen. Ob das nun gut oder schlecht für die Gemeinde ist, da gehen die Meinungen weit auseinander.

Während Angermaier selbst dies als ihre Stärke sieht und den Jour fixe im Rathaus genauso wie die Arbeitskreise, die Anliegerversammlungen und Machbarkeitsstudien als große Verdienste aufzählt, finden andere: Es geht nichts voran. Alles wird verwässert. "Es werden keine Entscheidungen getroffen, stattdessen wird viel Geld für Gutachten ausgegeben", kritisiert die SPD-Ortsvereinsvorsitzende Manuela Look. Sie sagt: "Ich muss mich den Aussagen der CSU leider anschließen." Auch SPD-Gemeinderat Toni Lay bestätigt: "Es geht in diese Richtung. Der Führungsstil ist durchaus autoritär."

"Die Bürgermeisterin hat dieses Karussell in Gang gesetzt."

Nun kann es vorkommen, dass man einfach nicht miteinander klarkommt. Verwaltungen haben sich im Wahlturnus mitunter alle sechs Jahre auf einen neuen Chef einzustellen. Doch solche üblichen Reibungsverluste, eine gewisse Unzufriedenheit mit der Neuen an der Spitze kann es nicht alleine sein, wenn gleich drei Führungsleute kündigen. "Die Bürgermeisterin hat zweifellos dieses Karussell in Gang gesetzt", sagt ÜWG-Mann Ruppenstein. Angermaier sei mit der Arbeit von Stark nicht zufrieden gewesen, habe sich auch darüber beklagt. Ein Mediation habe sie abgelehnt.

Seiner Ansicht nach ist Angermaier mit "unrealistischen Vorstellungen" und etwas "blauäugig" in das Amt gegangen. Sicher sei ein Personalwechsel auch etwas Normales, "doch in dieser Lage ist der Umfang ungewöhnlich und hat uns alles überrascht". Zweifelsohne sei die Bürgermeisterin sehr engagiert, daher bestehe sicher auch ein Missverhältnis zwischen Aufwand und Besoldung. In Baierbrunn ist der Bürgermeisterposten noch immer ein Ehrenamt, wie in anderen Gemeinden hat sich aber auch die Arbeit zu einen Vollzeitjob ausgewachsen. "Ich habe einen zu hohen Anspruch", sagt sie selbst.

Wenn Ruppenstein der CSU in der Sache auch Recht gibt, so kritisiert er doch deren "scharfen Ton". Er verstehe das nicht, "das dient nur zur Profilierung". Offensichtlich meine die Partei, es müsse sich etwas rühren. Der Bürgermeisterin zugute hält Ruppenstein aber die Kollegialität im Gemeinderat, die sei noch nie so groß gewesen wie jetzt. Es habe in den zwei Jahren keine großen Konflikte gegeben, was in Baierbrunn in der Vergangenheit nicht immer der Fall gewesen sei. Aber auch er stellt fest, dass Angermaier es im Gemeinderat und in der Bürgerschaft offenbar allen recht machen möchte und so in bester Absicht unglücklich agiere.

Als Beispiel nennt er die geplante Mittagsbetreuung und die Erweiterung der Grundschule, die noch immer auf sich warten lassen. "Da sind alle ein bisschen sauer", formuliert er vorsichtig. Angermaier, die bei der Wahl vor zwei Jahren einzige Kandidatin war, sei mit einem relativ großen Vertrauensvorsprung gestartet, sagt Ruppenstein. "Noch ist er nicht ganz aufgebraucht."

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SZ vom 30.07.2016
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