Süddeutsche Zeitung

Kino:Ein Film, der einen Nerv trifft

Lesezeit: 3 Min.

Markus Goller stellt seine Alkoholiker-Tragikomödie "One for the Road" in der alten Heimat Unterschleißheim vor - und erfährt nach einer Vorführung im Capitol-Kino prompt Zuspruch von einem Besucher, der selbst einst ein Suchtproblem hatte.

Von Udo Watter, Unterschleißheim

Der ältere Herr mit der Cola-Flasche in der Hand verspürt das Bedürfnis zu reden. Auch er habe die verschiedenen Phasen des Trinkens durchgemacht, erzählt er Markus Goller: vom anfänglichen Genusstrinken bis hin zu Kontrollverlust und Schlimmerem. Der Regisseur, der hier im Unterschleißheimer Ortsteil Lohhof gerade seinen neuen Film "One for the Road" vorstellt, hört im kleinen Foyer des Capitol-Kinos aufmerksam zu, fragt leise nach - und darf sich letztlich darüber freuen, dass sein Werk gut ankommt, dass er einen Nerv getroffen hat mit dem Thema "Alkoholismus".

Und dass der Besucher, der gerade aus der Nachmittagsvorstellung kommt, die Handlung - in der Hauptdarsteller Frederick Lau sich immer tiefer in sein lange verdrängtes Alkoholproblem verstrickt - bis zum Ende verfolgen konnte. Nicht jedem der von ähnlichen Erfahrungen gestreiften Menschen gelinge das, wird Goller später erzählen, manche müssten aus dem Film raus.

Der ältere Mann, der ganz offensichtlich kein Alkoholproblem mehr hat, lobt den Film und freut sich über die menschelnde Komponente, die sich vor allem in der finalen Annäherung zwischen Lau alias Mark und der von Nora Tschirner gespielten, ebenfalls alkoholsüchtigen und depressiven Helena entfaltet.

Der Film ist vor wenigen Wochen in Deutschland angelaufen - "One for the Road" ist die englische Variante von "Wegbier" - und der 1969 in München geborene Goller stellte ihn nun in der alten Heimat vor. Das ist Unterschleißheim in engerem Sinne, denn hier ist er zur Schule gegangen, ans Carl-Orff-Gymnasium, und hier hat er beim SV Lohhof Volleyball gespielt. Deshalb trifft er an diesem Abend etliche Bekannte, seine Eltern, die im benachbarten Eching leben, sind auch gekommen.

Goller lebt inzwischen mit seiner Frau, der Regisseurin Katja von Garnier, und zwei Kindern in Berlin. Vor fast genau fünf Jahren war er schon einmal im Capitol, damals, um seinen Erfolgsfilm "25 km/h" mit Lars Eidinger und Bjarne Mädel zu präsentieren. Und er versprach wiederzukommen.

"Wir wollen ein kleines Licht auf dieses Tabuthema werfen und zur Kommunikation anregen"

Dass der auffallend zugängliche Regisseur dieses Versprechen zur Freude von Kinobetreiber Stefan Stefanov eingehalten hat, ist aber wohl nicht nur alter Verbundenheit geschuldet, sondern auch dem Willen, einen Film zu promoten, der besondere gesellschaftliche Relevanz birgt. "Wir wollen ein kleines Licht auf dieses Tabuthema werfen und zur Kommunikation anregen", sagt Goller. Die schauspielerisch starke wie packend inszenierte Tragikomödie erfährt tatsächlich auch bei Suchtberatern und Psychologen ein positives Echo und animiert regelmäßig betroffene Zuschauer, sich zu öffnen, wie Goller erzählt.

Die Idee zum Film geht auf den Drehbuchautor Oliver Ziegenbald zurück, mit dem Goller schon häufiger zusammengearbeitet hat und mit dem er auch Filme produziert. Es waren persönliche Erfahrungen Ziegenbalgs, das Bewusstwerden, wie selbstverständlich und nonchalant Alkohol im deutschen Gesellschaftsleben integriert ist, die ihn zu dem Drehbuch inspirierten. Gedreht wurde 2021 während der Pandemie, die das Trinkverhalten bei manchen ja noch intensiviert hat. "Der Pegel hat sich damals erhöht und ist seither so hoch geblieben", sagt Goller.

Er betont freilich, dass sein Film nicht mit erhobenem Zeigefinger daher komme oder "belehren" wolle. Das tut er auch nicht. Charakteristisch ist aber in der Tat eine Szene, in der selbst die Bekannten der schon früh ersichtlich absturzgefährdeten Hauptfigur in einem Alkoholiker-Selbsttest alle Fragen mit "Ja" beantworten, womit ihnen ebenfalls ein (freilich ignoriertes) Problem attestiert wird. "Es ist eine Betäubung", sagt Goller. Nicht nur am Vatertag feiere man "die Schönheit der Männlichkeit, indem man betrunken ist". Dass man in jugendlichen Milieus an Status gewinnt, wenn man "rotzdicht" sei, sei auch normal.

Für Goller, der nach eigener Aussage schon auch mal ein, zwei Gläser Wein trinkt, aber generell "nicht anfällig für Rausch" ist, war es künstlerisch wichtig, ein ernstes Thema nicht zu schwer zu gestalten und mit heiteren Facetten in eine unterhaltsam schwebende Balance zu bringen. "Uns ging es vor allem um Authentizität", erklärt Goller. Dafür braucht man natürlich Schauspieler und Schauspielerinnen, die das umsetzen, der großartige "Freddy" Lau ("selbst kein Kind von Traurigkeit") und Nora Tschirner, welcher der Aspekt mit der Depression wichtig war, aber auch Godehard Giese, der den Leiter der MPU-Vorbereitungsgruppe spielt, in die Mark (Lau) nach seinem Führerscheinverlust muss.

Die Figuren haben Tiefe und werden nie vorgeführt, auch wenn manche von ihnen mitunter sehr würdelose Momente erleben. Die Dialoge sind - bis auf wenige Schwächen - glaubwürdig und mitunter sehr witzig. "Es ist der Versuch, ein schweres Thema unterhaltsam umzusetzen", sagt Goller, eine Balance zwischen Arthouse und Mainstream zu finden.

Nicht zuletzt ist es auch eine Geschichte von Freundschaft, denn die Wette, während seines Dreimonatskurses zur MPU-Vorbereitung keinen Tropfen Alkohol mehr zu trinken, geht Mark (Lau) mit seinem besten Freund Nadim (Burak Yiğit) ein. Eigentlich verliert er sie - und gewinnt am Ende doch. Eine Cola auf die Freundschaft.

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