Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl:Jeder Einzelne ist gefordert

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Der Kabarettist Christian Springer sinniert auf einer Grünen-Veranstaltung in Unterhaching über Bayern, Politik und das Wichtigste im Leben - Menschlichkeit

Von Iris Hilberth, Unterhaching

Die Stimmung bei den Grünen ist gut, die Laune ob der jüngsten Umfrageergebnisse für die bayerische Landtagswahl im Oktober bestens. Und glaubt man der Theorie des Kabarettisten Christian Springer, dann bereiten sie sich bereits aufs Regieren vor. "Dauert die Begrüßung aller Prominenten länger als drei Minuten, nähert man sich der Macht", scherzt er im Kubiz in Unterhaching. Meint es aber durchaus ernst: "Wir stehen vor der Wahl Bayern, und viele setzen ihre Hoffnungen auf die Grünen", so Springer.

Noch aber ist Wahlkampf und so haben die beiden Grünen-Kandidaten aus dem Landkreis München, Claudia Köhler und Markus Büchler, zum Gespräch eingeladen, um mit prominenter Hilfe den Zuhörern im gut besuchten großen Saal zu erklären: "So geht Bayern."

Natürlich kann einer, der so lange schon im Geschäft ist wie Springer, eine Art Gebrauchsanleitung für den Freistaat vorlegen, die viel damit zu tun, hat, dass die Zeiten vorbei sind, in denen die CSU behaupten konnte, die Berge aufgeschüttet zu haben und Fotos von Nackten in Schulbüchern verbot. Bayern funktioniert vor allem dadurch, dass man andere Meinungen duldet, dass man Gegensätze aushält. Dass Lebensqualität, Integration und soziale Gerechtigkeit kompatibel sind. Gerne erzählt der Münchner Kabarettist die Geschichte, als die bayerische Staatsregierung eine Million Euro für die Orienthilfe "vom linken Springer" locker gemacht hat, um eine Handwerkerschule im Libanon zu finanzieren. "Es ist etwas passiert, womit ich nicht gerechnet habe", sagt er. Er sei dann mit Innenminister Joachim Herrmann, "mit dem ich mich sonst immer gestritten habe", runtergeflogen, "und dort waren wir ein Herz und eine Seele - das ist Bayern".

Zu Bayern zählt aber auch die Geschichte, die er von Horst Seehofer berichtet. Den hatte er in ein Kloster eingeladen, in dem 100 Flüchtlinge eine Arbeit - "richtige Jobs!" - gefunden hatten. Seehofer kam. Sein Büro hatte allerdings vorab klargestellt: Die Flüchtlinge werde er nicht treffen. Die Begründung: Es ist Wahlkampf. Springer findet dazu klare Worte: "Das ist entsetzlich, eine Armseligkeit, mir fallen dazu bloß Schimpfwörter ein."

Der Kabarettist stellt fest, dass viele nichts mehr aushalten. So habe kürzlich sein Brandbrief an die Münchner Radlrambos viele Emotionen ausgelöst. Die Ansprüche seien heute hoch, vor allem an die Politik. Wenn jetzt viele Hoffnungen in die Grünen setzten, es Versprechen gebe, so warnt Springer: "Seien Sie nicht traurig, wenn das alles nicht so geht." Das Problem sei doch, dass man den Politikern nichts mehr glaube, "aber Politik ist ein Geschäft". Es sei "scheißschwer", weil jeder Forderungen habe. Um Glaubwürdigkeit geht es ihm aber, wenn ein Regierungsmitglied etwas mitzuverantworten hat und sich dann auf die Seite des Protests schlägt.

Springer findet: "Die Zukunft unseres Landes liegt nicht in der Politik, es geht um Humanität, und das hat eine Partei nicht zu entscheiden, das entscheiden wir." Das gehe in der Nachbarschaft los. Man brauche keine Forderungen zu stellen, wenn man allen im näheren Umkreis das Leben schwer mache. Mut müsse man haben, ermuntert er die Zuhörer, ihre Stimme zu erheben, "wir wissen, wo unsere Werte sind".

Der Ton in der Politik und auf der Straße sei rauer geworden, stellt auch Landtagskandidatin Claudia Köhler fest, "Probleme werden dadurch aber nicht gelöst". Wie Lösungen aussehen könnten, darüber diskutieren die Grünen mit dem Kabarettisten Springer nach dessen Vortrag gemeinsam mit Wirtschaftsvertretern, die durch die Vermittlung von Gemeinderätin Köhler Flüchtlinge angestellt haben. So berichtet Christoph Kugler, Leiter des Alten- und Pflegeheims St. Katharina Labouré aus Unterhaching, von einem jungen Mann aus Mali, der sein technischer Leiter geworden ist. Die Firma Diepold ist glücklich mit ihrem Mitarbeiter aus Pakistan, der seit zwei Jahren in ihrem Store, einem Tante-Emma-Laden auf dem Infineon-Gelände, angestellt ist. Beide aber berichten von den Schwierigkeiten mit der Bürokratie und der ständigen Angst, ob ihr wertvoller Mitarbeiter weiterhin bleiben darf. Kugler sagt: "Es kostet viel Energie, aber es lohnt sich, wenn sie richtig gute Leute bekommen."

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Quelle:
SZ vom 17.09.2018
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