Süddeutsche Zeitung

Kreispolitik:Kohle fürs Klima

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Mit dem Verkauf von "Zukunftsaktien" an Privatleute, Unternehmen und Kommunen will der Landkreis die Energiewende voranbringen. Der Erlös soll in lokale und globale Projekte zur CO₂-Reduzierung fließen

Von Stefan Galler, Landkreis

Voriges Jahr war der heißeste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, es gibt immer heftigere Stürme und extreme Dürren, selbst im eigentlich klimatisch gemäßigten Landkreis München - der Klimawandel wird auch hierzulande immer spürbarer. Der Weltklimarat hat in seinem Sonderbericht im Herbst 2018 klargestellt, dass die kommenden Jahre "die vermutlich wichtigsten in der Menschheitsgeschichte" sein dürften, weil bei einer voranschreitenden Erderwärmung nicht nur grobe wirtschaftliche Folgen, sondern sogar der Verlust ganzer Ökosysteme drohe. Deshalb sieht sich der Landkreis nun in der Pflicht, schnell zu handeln: Im Umweltausschuss sollen die Kreisräte am Mittwoch die Einführung einer Zukunftsaktie beschließen, mit deren Erwerb Bürger, Unternehmen und die Rathausverwaltungen aller 29 Kreiskommunen dazu beitragen können, einen klimaneutralen Landkreis mitzugestalten.

2016 hatte der Landkreis die Klima- und Energieinitiative 29++ beschlossen, deren Ziel es ist, bis zum Jahr 2030 die jährlichen Pro-Kopf-Emissionen um 54 Prozent von 13 Tonnen Kohlendioxid (CO₂) auf sechs Tonnen zu reduzieren. Allerdings haben die Maßnahmen, die mit diesem Beschluss einhergehen, teilweise einen sehr langfristigen und schwer messbaren Effekt auf das Klima. Das gilt beispielsweise für die verstärkte Klimabildung von Kindern und Jugendlichen, die E-Mobilitätsoffensive oder die Förderung des Radverkehrs im Landkreis. Da auch der Ausbau des Anteils von Energie aus erneuerbaren Quellen nicht von heute auf morgen den gewünschten Effekt zeigt, will der Landkreis nun reagieren.

Durch den Kauf der Zukunftsaktie sollen Privatpersonen und Unternehmen, analog zu Aktien am Kapitalmarkt, "einen Anteil an der Gestaltung einer klimagerechten Zukunft erwerben" können, schreibt das Landratsamt in den Unterlagen für die Ausschusssitzung. Mit dem Erlös aus dem Verkauf der Aktien sollen lokale Projekte mit direkter Klimawirksamkeit ebenso initiiert oder unterstützt werden wie globale Projekte, die der CO₂-Einsparung dienen.

Die Maßnahmen im Landkreis München sind nicht nur auf die Reduktion von Emissionen ausgelegt, auch der Artenschutz steht im Mittelpunkt, etwa durch die Renaturierung von Mooren und den Humusaufbau. Was die Wirksamkeit globaler Projekte für den Landkreis München angeht, so stützt man sich auf das Prinzip des CO₂-Ausgleichs; dieses beruht auf dem Gedanken, dass es für das Klima nicht entscheidend sei, an welcher Stelle Treibhausgase ausgestoßen oder vermieden werden. Da in Entwicklungs- und Schwellenländern eine CO₂-Vermeidung kostengünstiger verwirklicht werden könne, ist es nach Ansicht des Landratsamts sinnvoll, dort direkt zu investieren, etwa in Wiederaufforstungsprojekte oder erneuerbare Energien. Voraussetzung ist, dass die Projekt ohne die Erlöse der Zukunftsaktien nicht realisierbar wären. Die Umsetzung soll unter strenger Aufsicht erfolgen und nach internationalen Standards zertifiziert werden.

Nach Vorstellungen aus dem Landratsamt könnte eine Aktie, die einer Tonne eingespartem CO₂ entspricht, 8,50 Euro kosten. Dieser Preis setzt sich zusammen aus zwei Euro für lokale Zukunftsprojekte im Landkreis, 3,50 Euro für den globalen CO₂-Ausgleich, 1,64 Euro Verwaltungskosten und 1,36 Euro Mehrwertsteuer. Als Finanzpartner schwebt den Initiatoren die Kreissparkasse München-Starnberg-Ebersberg vor; die Energieagentur Ebersberg-München wiederum soll beratend wirken und den Bürgern erklären, wie sie ihren CO₂-Fußabdruck reduzieren können.

Was den Zeitplan angeht, hat man im Landratsamt klare Vorstellungen: Noch in diesem Jahr soll der Ausgleich sämtlicher Emissionen im Einflussbereich des Landkreises durch die Zukunftsaktien erfolgen. Der zweite Schritt ist 2020 die Kompensation aller kommunaler Emissionen der Städte und Gemeinden des Landkreises. Würde dieses Vorhaben gelingen, könnte der Landkreis München eine Vorreiterrolle in Sachen Klimapolitik einnehmen.

Beide Posten umfassen jedoch nur 74 360 Tonnen Kohlendioxid und damit nur einen kleinen Teil des gesamten Ausstoßes: etwa zwei Prozent. Ein Ausgleich würde beim Aktienpreis von 8,50 Euro Kosten in Höhe von mehr als 630 000 Euro verursachen. Für den Landkreis ist das laut Kämmerer Markus Kasper darstellbar. Im Haushalt sind ohnehin Mittel für die Klima- und Energieinitiative 29++ eingestellt. Inwiefern der dritte Schritt, die Einbeziehung von Privathaushalten und Unternehmen, ebenfalls erfolgreich ist, wird von jedem Einzelnen abhängen. Und von der Bereitschaft privater Haushalte und Industrie, für Emissionen und den eigenen CO₂-Fußabdruck finanziell aufzukommen.

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Quelle:
SZ vom 04.06.2019
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