Süddeutsche Zeitung

Mitten in Baierbrunn:Nur nicht wepsig werden

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Das Landratsamt München sucht Wespenberater und erwartet gutes Einfühlungsvermögen - für Mensch und Tier.

Kolumne von Iris Hilberth, Baierbrunn

Ausgerechnet im Januar von einer Wespe gestochen zu werden, ist eher unwahrscheinlich. Die Königinnen haben sich gut versteckt und überwintern in irgendwelchen Ritzen. In einigen Wochen aber werden die summenden Plagegeister wieder startklar sein und sich dann auch Neststandorte suchen, die viele Menschen als eher suboptimal bewerten: Dachböden, Geräteschuppen, Rollladenkästen. Daher legt das Landratsamt München jetzt schon mal ein gutes Wort für diese nützlichen Tiere ein, die einen wichtigen Platz im Naturhaushalt einnehmen, und sucht für die Konfliktlösung Wespenberater. In dieser Jobbeschreibung wird klar: Menschen und Wespen haben viel mehr Gemeinsamkeiten als die Vorliebe für Rollladenkästen.

Man weiß ja, dass Wespen sehr soziale Tiere sind. Wenn ein Viech einen gut gedeckten Tisch entdeckt, dann fliegt es los und gibt seinen Kumpels Bescheid. Konkurrenten um die Nahrungssuche, etwa Ameisen, tragen sie hingegen an einen anderen Ort. Erst kürzlich hat zudem ein europäisches Forscherteam um die Neurowissenschaftler Aurore Avargués-Weber und Daniele d'Amaro herausgefunden, dass im Gehirn der Honigbienen und Europäischen Wespen die gleichen Prozesse bei der Identifikation von Lebewesen ablaufen wie beim Menschen. Überhaupt gibt es unglaubliche wissenschaftliche Erkenntnisse auf dem Gebiet der Wespenforschung. So war man lange davon ausgegangen, dass nur weibliche Tiere stechen können. Vergangenen Dezember aber wurde die Agrarwissenschafterin Misaki Tsujii von der Universität Kobe bei Osaka gestochen, und zwar von vermeintlich harmlosen Wespen-Männchen. Schließlich fand sie heraus, dass die Männchen aufgerüstet haben: Ihr Penis hat seitliche Spitzen entwickelt, mit denen sie sich gegen Feinde wehren können.

An all diese beeindruckenden Fähigkeiten denkt natürlich keiner, der genervt ist von den Fluginsekten, die es auf den Kuchen abgesehen haben. Bäcker Schmid aus Baierbrunn, so wurde vergangenen Sommer berichtet, hat dagegen einen Vierstufenplan. Erstens: Licht ausmachen, zweitens: Apfelgebäck streichen, drittens: Glasur und Puderzucker weglassen. Stufe vier wäre dann der vollständige Verzicht auf Konditorware. Aber dazu ist es nicht gekommen. Helfen sollen dieses Jahr auch die dann ausgebildeten ehrenamtlichen Wespenberater. Die müssen laut Landratsamt besondere Fähigkeiten mitbringen, zum Beispiel "die Freude am Umgang mit Menschen und Wespen". Gutes Einfühlungsvermögen wird vorausgesetzt und die Fähigkeit, möglichen Konflikten konstruktiv zu begegnen. Wir freuen uns auf einen einfühlsamen Dialog mit der Königin vor dem Rollladenkasten.

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