Süddeutsche Zeitung

Konzert:Vier gewinnt im Doppelpack

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Das Dover Quartet und das Pavel Haas Quartet begeistern in Grünwald mit einem Konzert, bei dem sie auch zusammen spielen

Von Udo Watter, Grünwald

Auch wenn man bedenkt, dass Beethovens 1802 entstandene "Kreutzersonate" aus der Feder eines berühmten Komponisten stammt, hat sie für ein Musikstück eine erstaunliche Karriere als Inspirationsphänomen gemacht. Lew Tolstoi hat Ende der 1880er-Jahre eine aufwühlende Ehedrama-Novelle geschrieben, die denselben Titel trägt, weil Beethovens Violinsonate darin eine wichtige Rolle spielt. Und Leoš Janáček, ein großer und panslawistisch inspirierter Verehrer Tolstois, hat im Herbst 1923 ein Werk komponiert, das ebenfalls den Titel "Kreutzersonate" trägt - auch wenn es keine Sonate, sondern ein Streichquartett ist.

An den klassischen formalen Grundlagen der Gattung orientiert sich der Tscheche (1854 bis 1928) dabei aber eher weniger. Es gibt zwar vier Sätze, aber im Grunde ist das Werk ein wilder, emotionaler Ritt durch Gefühlswelten der Eifersucht und Verzweiflung - eine Art Programm-Musik, in der Janáček im Gegensatz zu Tolstoi Partei für die scheinbare Ehebrecherin ergreift und nicht für den Mann, der am Ende zum Mörder seiner Gattin wird.

Das Stück live zu hören, ist ein besonders aufwühlendes Erlebns, gerade wenn es - wie jetzt in Grünwald - vom Pavel Haas Quartet vorgetragen wird. Das tschechische Ensemble, das von der renommierten britischen Klassik-Zeitschrift Gramophone schon mal als "aufregendstes Streichquartett der Welt" bezeichnet wurde, unterstreicht bei seinem Auftritt im August-Everding-Saal diesen Ruf. Janáčeks Musik, die zwar noch von tonaler Harmonik geprägt ist, aber schon Züge der Moderne trägt und immer wieder durch folkloristische Elemente geprägt ist, klingt hier unmittelbar packend: mit wohl dosierter Emphase, emotional, aber jedem zuckrigen Pathos abhold. Mitunter wirken die vier Virtuosen - Primaria Veronika Jarůškova und Marek Zwiebel (beide Violine), Luosha Fang, Viola, und Peter Jarůšek (Violoncello) - als stünden sie regelrecht unter Strom, so elektrisierend interpretieren sie Janáčeks Stück, das auch als musikalisch befeuerndes Plädoyer für die Sehnsucht der Frau nach Freiheit und gesellschaftlicher Selbstbestimmung gilt.

Zum Auftakt des Abends, der die erste Vorstellung in der Reihe "Grünwalder Konzerte" nach langer, coronabedingter Pause darstellte, erklang freilich erst mal ein klassisches Streichquartett, Mendelssohn-Bartholdys Nr. 1 in Es-Dur. Vorgetragen hat es das Dover-Quartett, und das unterstrich durchaus die Besonderheit dieses Konzertes. Das relativ junge Ensemble aus den USA - die Mitglieder lernten sich als Studenten 2008 am Curtis Institute of Music in Philadelphia kennen - genießt ebenfalls eine bemerkenswerte Reputation in der Klassikszene, und dass also gleich zwei solche namhaften Streicherformationen an einem Abend zu hören waren, hätte ein größerer Publikum verdient gehabt, als der August-Everding-Saal diesmal beherbergte. Das Quartett in der Besetzung Joel Link und Brian Lee (beide Violine) sowie Milena Pajaro-van de Stadt, Viola, und Cellist Camden Shaw lieferten denn auch einen bemerkenswert versierten Vortrag, der sich durch unaufdringliche Phrasierungsintelligenz und eine schlanke, feine Klangkultur auszeichnete. Das alles klang frisch und luftig, es wird virtuos und zart miteinander dialogisiert und mitunter schwebt ein Hauch von Traurigkeit mit: Der junge Mendelssohn soll zum Zeitpunkt des Komponierens in die Nachbarstochter Betty Pistor verliebt gewesen sein (das Quartett trägt die Widmung "Für B.P."). Das (musikalische) Werben blieb aber vergeblich, die Liebe unerwidert, was Mendelssohn eventuell bereits geahnt haben könnte.

Zusammengekommen sind hingegen die beiden Quartette nach der Pause. Zunächst auf dem Programm: das Oktett "Ascent/Descent" der 1975 geborenen slowakischen Komponistin Lubica Čekovská. Entstanden großteils während der Zeit der Corona-Pandemie spielt es auch mit den Themen Verlangsamung und Beschleunigung der Welt. "Wie jeder Künstler mit offener Sensibilität für verschiedene Lebenssituationen, ließ ich mich von dieser besonderen Zeit bewegen und es entstand eine zweiteilige Komposition, die jeweils nach vorne und zurück schaut", wird Čekovská im Programmheft zitiert. Die Streicher des Pavel Haas Quartetts, die das Werk in Auftrag gegeben hatten, dominierten bei der Aufführung des im wahrsten Sinne des Wortes zeitgenössischen Werks, das aber auch traditionelle Ohren keinesfalls überforderte. Es war eher durch eine interessante Mixtur aus vielfältiger Klangfarbigkeit, leise flirrenden Momenten und Innehalten und Steigern charakterisiert.

Zum Finale dann noch mal ein besonderer Höhepunkt: Mendelssohns wunderbares Streich-Oktett in Es-Dur. Auch hier spielte die beeindruckende Jarůšková die erste Geige, dynamisch, präzise, mitreißend und frei von jeder Vibrato-Süßlichkeit. Generell ist es ein Genuss, acht solch technisch versierten wie in musikalischer Zuneigung verbundenen Künstlern zuzuhören - manchmal schwillt das zu einem fast sinfonischem Sound an, manchmal zum virtuos funkelnden Feen- oder Hexenflug (eine Inspiration des Werks ist Goethes "Faust" respektive seine Walpurgisnacht-Szene). Schön, wie die Musiker miteinander dialogisieren, wie sie die mal luftigen, mal schärferen Klangfarben in den Saal zaubern. Erstaunlich wie präzise und fein artikuliert dieser Klangkörper mit acht Mitgliedern agiert. Der kräftige Applaus und die "Bravo"-Rufe, die schon im ersten Teil des Abends erklangen, waren auch am Ende gerechtfertigt.

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SZ vom 08.10.2021
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