Süddeutsche Zeitung

Kirchheim:Mahnung gegen Rechts

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Das Gymnasium Kirchheim erinnert mit einer Aktion an die Juden-Pogrome vor 80 Jahren

Von Christina Hertel, Kirchheim

"Wir dachten erst, die Lampen sind kaputt gegangen", sagt Emilia. "Oder dass eingebrochen wurde", meint Hannah. "Oder dass es ein Abistreich ist", merkt Daniel an. Die drei besuchen eine siebte Klasse des Kirchheimer Gymnasiums, und als sie diesen Freitagmorgen ihre Aula betraten, bot sich ihnen ein ungewöhnliches Bild: Der Boden lag voller Glasscherben, drumherum klebte schwarz-gelbes Absperrband, und auf einer Leinwand waren Bilder von zerschmissenen Schaufenstern zu sehen. Ziemlich schnell, habe sie von den Älteren gehört, dass das Ganze "irgendwas mit Hitler zu tun hat", erzählt Hannah. Aber was? Lange Gesichter. Ob sie wissen, welcher Tag heute ist? "Ja klar, der 9. November", sagt Emilia und überlegt kurz. "Ach jetzt weiß ich es: Sind da nicht die Flugzeuge in die Türme in Amerika geflogen?"

Nicht ganz, das passierte am 11. September 2001. Aber 9/11, wie die Amerikaner zum 11. September sagen, kann man schon mal mit dem 9.11. verwechseln - dem Tag, an dem vor 80 Jahren Nazis in ganz Deutschland jüdische Geschäfte, Wohnhäuser und Synagogen zerstörten und der den Beginn der gezielten Verfolgung von Juden markiert. Die Kirchheimer Geschichtslehrerin Irmela Wedler wollte am Freitag mit einer besonderen Aktion an die Pogrome der "Reichskristallnacht" erinnern.

Mit vier Kollegen organisierte sie zwei Kisten voller altem Glas, gemeinsam zertrümmerten es die Lehrer in der Nacht zuvor in der Aula. Außerdem bereiteten sie Unterrichtsmaterial für die gesamte Schule vor. Denn eigentlich steht die Zeit des Nationalsozialismus in der Unterstufe noch nicht auf dem Lehrplan. Doch auch Siebtklässler wie Emilia, Hannah und Daniel sollten nach dem Willen der Lehrer von diesem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte erfahren. Nach der Pause ging es deshalb für sie nicht mit Latein weiter, sondern mit Geschichtsunterricht.

Wichtig sei ihr gewesen, hervorzuheben, wie aktuell das Thema gerade ist, sagt Wedler, die die Fachschaft Geschichte am Gymnasium in Kirchheim leitet. Deshalb zeigte sie auf der Leinwand in der Eingangshalle nicht nur Schwarz-Weiß-Fotos von zerstörten Schaufenstern aus dem Jahr 1938, sondern auch Bilder von Hakenkreuzen auf Hauswänden, die 2018 aufgenommen wurden. "Der Antisemitismus war ja nie wirklich weg", sagt später ein Elftklässler in Wedlers Geschichtsunterricht. "Aber jetzt tritt er plötzlich wieder aus allen möglichen Ecken zum Vorschein."

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Quelle:
SZ vom 10.11.2018
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