Süddeutsche Zeitung

Wohnen in Haar:Bauträger bevorzugen Singles

Lesezeit: 3 min

Neubauwohnungen wie im Jugendstilpark in Haar sind für Familien kaum noch erschwinglich. Gebaut werden daher immer mehr Appartements. Die Gemeinde hat voreilig in Schulen und Kitas investiert.

Von Bernhard Lohr, Haar

Haar sieht sich als Familiengemeinde. Doch das Bild bekommt Kratzer. Denn viele Familien finden längst nicht mehr den Wohnraum, den sie zu erschwinglichen Preisen suchen. Und die Bauträger setzen in Haar auf ein anderes Klientel. Das hat sich am Dienstagabend wieder einmal gezeigt, als es zum Verdruss der Haarer Gemeinderäte im Rathaus um ein Bauprojekt ging, in dem Appartements vor allem für Singles entstehen. 105 Wohnungen werden in fünf Mehrfamilienhäusern im Jugendstilpark geschaffen. Davon sind 55 Ein-Zimmer- oder Zwei-Zimmer-Appartements, dazu kommen zwölf Zweieinhalb-Zimmer-Wohnungen. Für Familien mit Kind ist das alles eher nichts. Und gerade die brauchen doch Wohnraum.

Das Problem hat einerseits viel mit der Besonderheit des exklusiven Wohngebiets in Haar zu tun. In einem parkähnlichen früheren Areal des Isar-Amper-Klinikums entstehen zwischen historischen Klinikbauten im Pavillonstil, die aufwendig saniert und umgebaut werden, moderne Wohnblocks. Das Ganze soll gehobene Ansprüche erfüllen. Es ist nicht prädestiniert für günstigen Wohnraum für Familien. Dennoch rechneten die Haarer mit Zuzug auch vieler Kinder, investierten vorsorglich in neue Kitas und in den Ausbau ihrer Schulen.

Kritik im Gemeinderat

Man wollte etwas für Familien tun und ärgert sich jetzt über die Bauträger, die die falschen Wohnungen bauen. Eben erst hat das Institut für Immobilienforschung (IVD) in seinem Bericht angekreidet, dass "sowohl große familiengerechte Eigentumswohnungen als auch Einfamilienhäuser, Doppelhaushälften und Reihenmittelhäuser" in der Region besonders gefragt sind, aber fehlen.

Am Dienstag hob Peter Paul Gantzer (SPD) deshalb im Bauausschuss zur Kritik an, die er außer am Beispiel des Jugendstilparks gleich noch an einem anderen Projekt festmachte. Auch auf dem Gelände der früheren Gärtnerei Linner an der Vockestraße vermisse er Wohnungen für Familien, sagte er. "Die Tendenz ist, wegen der heutigen Kaufpreise möglichst viele Ein- und Zwei-Zimmer-Wohnungen zu bauen. Die verkaufen sich besser." Das dürfe man den Bauträgern nicht durchgehen lassen. Ändern können die Gemeinderäte im Fall Jugendstilpark allerdings nichts mehr. In dem in einem jahrelangen Diskussionsprozess ausgehandelten Bebauungsplan ist vieles vorgegeben worden. Zäune wurden verboten, Baumaterialien vorgeschrieben und vieles mehr. Zur Wohnungsgröße gibt es keine Vorschriften.

Doch Kenner der Immobilienbranche fragen sich, ob Familien überhaupt hochpreisige Wohnungen im Jugendstilpark suchen. Johann Gigl ist Leiter Baufinanzierung bei der VR-Bank München-Land und beobachtet den Markt seit vielen Jahren. Er erlebt, dass die Drei- oder Vier-Zimmer-Wohnung in Stadtnähe bei Familien mit Kindern nicht unbedingt angesagt ist. Damit spreche man, bestenfalls mit Dachterrasse, eher ein exklusives Klientel an.

Viele Familien verfolgten dagegen nach wie vor den Traum vom Leben im Reihenhaus oder Einfamilienhaus. Viele wünschten sich Schaukel und Rutsche für die Kinder im eigenen Garten, hätten eine Erbschaft gemacht und den Wunsch, das Geld gut anzulegen. Dafür gehen viele nach Gigls Erfahrung auch weiter raus aufs Land. Der Ausbau der Passauer Autobahn A 94 habe das befördert.

Viele Baugebiete seien dort entstanden, sagt Gigl. Ein interessantes Beispiel ist für ihn die Marktgemeinde Haag im Landkreis Mühldorf, die bereits vor 25 Jahren Wohngebiete im großen Stil geschaffen hat. Dazu sei gleich ein Pendlerbus direkt zum Ostbahnhof in München eingerichtet worden. Ein Erfolgsprojekt, das nach Gigls Einschätzung bis heute zeigt, was zählt. Dass Bauträger im nahen Umland von München vorwiegend auf kleine Appartements setzen, bestätigt er. Die seien "deutlich leichter und schneller zu verkaufen" als große Wohnungen. Für Kapitalanleger seien sie interessanter.

Stephan Kippes, Geschäftsführer des IVD-Instituts, erlebt das ähnlich. Er sagt, der Trend gehe im Raum München zu kleineren Wohnungen. Er beobachtet, dass sich im nahen Umland das vollzieht, was in München schon vor langem passiert ist. 54 Prozent der Haushalte in der Landeshauptstadt seien heute Ein-Personen-Haushalte, sagt er. Wie in einer Wellenbewegung würden Familien raus aus der Stadt, raus aus dem Umland und dann in die weitere Region verdrängt; immer getrieben von den höheren Preisen drinnen und gelockt von den niedrigeren Preisen draußen. Vom "Ripple-Effect" - also Wellen-Effekt - spricht man in der Immobilienbranche.

Prognose zu hoch gegriffen

Vor einem Jahr etwa dämmerte es manchem in Haar, dass im Jugendstilpark etwas anders läuft als gedacht. Die vom Institut für Sozialplanung (SAGS) aufgestellte Prognose, dass mit Hunderten zusätzlicher Kinder zu rechnen sei, erwies sich da schon als zu hoch gegriffen.

Eine Erklärung lieferte SAGS-Chef Christian Rindsfüßer, als er die schwer vorhersehbaren Planungen der Bauträger ansprach. Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU) sagte damals, viele junge Paare mit Kindern zögen von Haar weg, noch weiter raus aus dem Münchner Umland. Beides bestätigt sich. Die Prognose lautete im Jahr 2018, dass man 2022 in Haar 196 zusätzliche Kinder im Alter von null bis neun Jahren haben würde. 2030 sollten es 765 mehr sein, also in Summe 2666 bei knapp 30 000 Einwohnern. Das erwartet keiner mehr.

Der Bauantrag für die fünf Mehrfamilienhäuser wurde bei einer Gegenstimme angenommen. Die Gemeinderäte sahen keine Handhabe, mehr große Wohnungen durchzusetzen. Die CSU kündigte einen Antrag an, um sicherzustellen, dass im Bauamt in Zukunft bei Bebauungsplänen auf Wohnungsgrößen geachtet wird.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5352266
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.07.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.