Süddeutsche Zeitung

Haar:Beistand am Telefon

Lesezeit: 2 min

Die Berater von Donum Vitae unterstützen Frauen auch während der Pandemie - nicht nur bei Schwangerschaften

Von Bernhard Lohr, Haar

Es ist ihre erste Schwangerschaft. Die junge Frau aus dem Senegal spricht kein Deutsch und ist fremd. Und als sie vergangenes Jahr hochschwanger in einer Flüchtlingsunterkunft im Landkreis München immerhin ein Dach über dem Kopf hat, verhängt das Landratsamt wegen Corona-Infektionen die Quarantäne über das Haus. Zwei Mal wurde diese Anordnung verlängert. Sechs Wochen ist die Frau isoliert. Seelischen Beistand erfährt sich vor allem am Telefon. Andrea Seif, Sozialpädagogin und Traumafachberaterin, hält mit Hilfe einer Dolmetscherin Kontakt. Die Pandemie hat viele Frauen in Nöte gestürzt. Die Haarer Beratungsstelle von Donum Vitae versucht, einiges aufzufangen.

Das letzte Telefonat vor der Geburt führte Andrea Seif mit der Geflüchteten, da war diese im Krankenhaus. Es sei dann alles gut gelaufen, erzählt Seif in einer Online-Runde, bei der die Beratungsstelle in Schwangerschaftsfragen auf das schwierige Pandemiejahr 2020 zurückblickte. Die Beratungsstelle von Donum Vitae in Haar betreut gemeinsam mit der in Freising die Landkreise München, Ebersberg, Freising und Erding. Die Außenstelle im Poinger Bürgerhaus wurde coronabedingt im März 2020 geschlossen und nur vorübergehend im Herbst noch einmal geöffnet. Pläne für eine Außenstelle in Taufkirchen oder Unterhaching liegen auf Eis.

Gerade die Möglichkeit, über Videoschalten oder am Telefon Menschen zu erreichen, war in den vergangenen Monaten wichtig. Als Glücksfall erwies sich dabei, dass der Bundesverband Donum Vitae vor der Pandemie im Mai 2019 das Modellprojekt "Helfen, Beraten, Lotsen" (Helb) ins Leben gerufen und ein datensicheres, für vertrauliche Gespräche nutzbares Kommunikations-Tool angeschafft hatte, mit dem Ziel, niedrigschwellig an die Klientel heranzukommen. Mittlerweile laufen, wenn notwendig, auch Schwangerschafts-Konfliktberatungen online ab.

Trotzdem war für Andrea Seif, die das Helb-Projekt in Haar betreut, oft das Telefon das Mittel der Wahl. Denn gerade Geflüchtete etwa hätten oft nicht die für Video notwendigen Datenraten zur Verfügung. Bei 52 Videoberatungen im Helb-Programm kam Seif auf 72 Telefonberatungen, mit Gesprächen, die oft weit über eine Stunde dauerten. Insgesamt hatten die Mitarbeiter in Haar vergangenes Jahr - ohne Helb-Projekt - mit 780 Beratungsfällen zu tun, annähernd so viele wie im Vorjahr. 226 Mal lief Beratung per Telefon, Online oder E-Mail ab. 187 Mal war das 2019 vor der Pandemie der Fall.

Eine zentrale Aufgabe ist die vor einer Entscheidung über einen möglichen Schwangerschaftsabbruch verpflichtende Konfliktberatung, die 143 Mal von der Haarer Einrichtung geleistet wurde. Allerdings wächst, wie Beratungsstellenleiter Albert Fierlbeck erläuterte, das Aufgabenfeld laufend. Man hilft bei Kinderwunsch, Pränataldiagnostik und Paarkonflikten. Letzteres verstärkt wieder in der Pandemie. Viele Paare machen finanziell und belastet durch Homeschooling oder Home-Office tiefe Krisen mit. Fierlbeck berichtete, dass ein Paar wegen der hohen Mieten sogar zeitweise mit Kind im Auto lebte. Auch da helfe man. "Wir wollen verstärkt werben, dass wir dafür da sind."

Viele Paare und besonders Frauen waren in der Pandemie auf sich gestellt. Claudia Nasahl, unter anderem Systemische Paar- und Familientherapeutin, berichtet, dass Männer aus Gründen des Infektionsschutzes ihre Frauen oft nicht mehr bei der Geburt begleiten könnten. Arztbesuche und Geburtsvorbereitung fänden unter erschwerten Bedingungen statt. Auch Frauen, die eine Fehl- oder Totgeburt erlitten oder aus medizinischen Gründen einen Abbruch durchmachten, seien jetzt psychisch besonders belastet. 30 Paare mit Kinderwunsch hat Nasahl begleitet; auch da sei es wichtig, und wie in allen Fällen fordernd gewesen, aus der Distanz Beistand zu leisten.

Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist Fierlbeck zufolge deutschlandweit in den vergangenen zehn Jahren um zehn Prozent gesunken. Gerade bei den Jüngsten, 15- bis 17-Jährigen, sei das festzustellen. Über die Ursache kann Fierlbeck selbst nur mutmaßen. Sexualaufklärung, wie sie Donum Vitae in Haar anbietet, ist ein Baustein. Allerdings litt dieses Angebot 2020 besonders unter der Pandemie. Monika Geitner, die das Projekt verantwortet, berichtet von 227 Schülern in 14 Klasen, die man erreicht habe. Viele Termine wurden wegen des Lockdowns abgesagt. Und online lief da weniger. Geitner sagte für ihren Bereich speziell: "Live-Kontakt ist das allerwichtigste."

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Quelle:
SZ vom 04.05.2021
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