Süddeutsche Zeitung

Traditionelle Wirtshäuser:Sehnsucht nach den goldenen Zeiten

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Das Forsthaus Wörnbrunn liegt idyllisch und doch verkehrsgünstig. In der Ära nach Richard Süßmeier sind dort trotzdem viele Wirte gescheitert. Jetzt versuchen es Florian Gürster und Yvonne Mehrfeld mit gehobener Küche - und leiden unter Corona

Von Claudia Wessel

Der Schokoladenkiesel. Wenn er servierfertig ist, sieht er aus wie ein grauer Stein vom Isarufer. Daneben liegt so etwas wie ein Häufchen Dreck. Und oben drauf etwas, das ein Zweig sein könnte. Das Dessert im neuen Forsthaus Wörnbrunn kostet 15 Euro. Zu teuer? Nicht, wenn man weiß, wie es entsteht, so Wirt Florian Gürster. Er ist selbst Koch, doch für die kulinarischen Kunstwerke zeichnet Küchenchef Christoph Mezger verantwortlich.

Mezger arbeitete vorher im vegetarischen Restaurant "Tian" am Münchner Viktualienmarkt und erkochte dort einen Stern. Was er an Speisen produziert, ist nichts Gewöhnliches, nichts Schlichtes. Für die Herstellung des Schokoladenkiesels etwa braucht es viele Arbeitsschritte und viel Zeit. Zuerst wird Schokomousse ausgestochen, dann tiefgefroren. So muss es schon mal 24 Stunden im Gefrierfach verbringen. Am nächsten Tag wird der Kiesel herausgeholt und gefroren in flüssige, graue Schokosoße getunkt. Dann wird Kirschsoße in die Mitte gespritzt, und es geht wieder über Nacht in die Kühltruhe. Kurz vor dem Servieren wird der "Dreck" gemacht: aus Brot- und Schokobröseln. Für den "Zweig" obendrauf wird Schokolade in Eiswasser gespritzt.

Seit November 2019 bietet das Forsthaus Wörnbrunn gehobene Küche. Das einstmals zünftige bayerische Wirtshaus hat sich mal wieder gewandelt, wie so oft in den vergangenen Jahren. Yvonne Mehrfeld und Florian Gürster, die es vor zehn Monaten übernommen haben, betreiben seit elf Jahren das Catering-Unternehmen "Flo & Co" in München und haben zahlreiche weitere Referenzen. Fünf Jahre "Lenbach Palais". Acht Jahre "Heart". Mitbegründung des "Hakkasan" in London. Nur ein Teil der Referenzen des Duos.

Eigentlich soll das Forsthaus auch vor allem als Eventlocation betrieben werden. "Die Bücher waren voll", sagt Gürster. Eines der Highlights wäre die Vorstellung des neuen Porsche Turbo im Mai gewesen. Alles war geplant. 80 Leute im Stadel in Wörnbrunn, 400 bei Porsche in München. Dann kam Corona. Jetzt muss es erst einmal vor allem mit dem Restaurant weitergehen. In den rundum erneuerten und gestylten Räumen, nicht mehr rustikal, sondern mit samtigen Sitzen, donnerstags und sonntags von 16 Uhr an mit DJ. Solange es draußen warm ist, läuft es gut, sagen die Wirte. Aber sobald es kühl wird, kommen nur wenige, da sie Angst haben vor den Aerosolen in Innenräumen. "Wir halten den Standard", sagen die Wirte. Die Küche bleibt gehoben, die Stammgäste aus München sind treu, und viele haben schon von einem Event in Wörnbrunn geträumt, mit Übernachtung in einem der Mottoräume, etwa im König-Ludwig-Zimmer.

Die Grünwalder haben schon viele Versuche erlebt, das Forsthaus Wörnbrunn neu zu erfinden. Erst Ende 2018 traten zwei junge Männer vom Oberhachinger Waitersclub an, die "der gastronomischen Institution des früheren Oktoberfestwirtes Richard Süßmeier wieder den verdienten Platz im Münchner Gastronomieuniversum zurückgeben" wollten, wie sie versprachen. Doch Tobias Kub und Korbinian Zitnik, die beiden Gründer eines Start-ups namens "Premium Event Service", die von "bayerischer Brasserie" und "Genussgarten" sprachen, verschwanden nach nur einem Vierteljahr wieder. Das Forsthaus stand wieder leer, wie es auch vorher schon der Fall gewesen war, nachdem es von 2015 bis 2017 die Gastronomin Tatjana Rehklau betrieben hatte. 2004 hatte Eva Bartenschlager das Anwesen von der Paulaner Brauerei gekauft. Mit ihrem Wirt Franz Schmid überwarf sie sich, es gab Zoff um Renovierungskosten, schließlich musste er gehen. Auch Bartenschlagers Plan, ein Grundstück neben dem Gasthaus dazuzukaufen und ein Gestüt und eine Wellness-Oase zu errichten, scheiterte. Denn die Gemeinde machte von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch. Zuvor hatten Grünwalder Bürger, die ihr Wörnbrunn so behalten wollten, wie es war, sogar dagegen demonstriert. 2013 renovierte Bartenschlager das Haus aufwendig und gestaltete die sehenswerten Motto-Hotelzimmer.

Doch ein Zurück in die goldenen Zeiten, als Richard Süßmeier hier das Sagen hatte, gab es nie mehr. Erst in der vergangenen Woche hatte der selbst ernannte Wirte-Napoleon seinen 90. Geburtstag gefeiert. Von 1975 bis 1995 besaß der populäre langjährige Sprecher der Wiesnwirte Wörnbrunn, zunächst führte Peter Pongratz das Haus, von 1983 an war er selbst dort Wirt. "Was war bei uns los", erinnerte sich Süßmeier bei einem Rundgang vor einigen Jahren. 30 Köche beschäftigte er, an Kirchweih wurden 600 Portionen Gänsebraten serviert, es gab Weinfeste und wilde Faschingsbälle, etwa den Schnallenball. Süßmeier verkaufte das Haus 1995 an die Paulaner Brauerei, wie er hatten auch die folgenden Wirte Hanns-Werner Glöckle und Franz Schmid große Probleme mit einem lärmempfindlichen Nachbarn, der ein nebenan liegendes Gebäude ersteigert hatte. 2001 gab es auch deshalb eine Demonstration, da der Nachbar einen frühen Schluss des Biergartens durchgesetzt hatte.

Es ist eine wunderschöne Location, fernab von Lärm und Verkehr, und doch sehr nah an Grünwald. Gleich gegenüber dem Gasthaus grasen Rehe in einem Gehege, man kann mit dem Rad kommen oder mit dem Auto, es gibt genügend Parkplätze. Für Hochzeiten und andere Anlässe zum Feiern ist ausreichend Platz, etwa auch im großen Stadel. Durchaus rätselhaft, warum es nicht schon lange gut läuft.

Yvonne Mehrfeld und Florian Gürster glauben an das Forsthaus. An das Flair, das jetzt durch das neue Konzept städtischer geworden ist, aber immer noch auf bayerischer Tradition fußt. "Ich bin sicher, dass langfristig alles gut wird", sagt Gürster. Denn dass es die Nachfrage nach einer so idealen Eventlocation gibt, haben die Monate vor Corona bewiesen. Und dass es sich lohnt, für gehobenes Essen nach Wörnbrunn zu fahren, bestätigten ihnen viele Gäste, auch Prominente. Jetzt müssen die Menschen nur wieder feiern können. "Gerne erst mal im kleineren Rahmen", sagt Mehrfeld.

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Quelle:
SZ vom 29.08.2020
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