Süddeutsche Zeitung

"Sturm der Liebe":Die perfekte Rolle für den Unruhestand

Lesezeit: 4 min

Eigentlich wollte sie sich von Theater, Film und Fernsehen zurückziehen, doch seit 2005 spielt die Wahl-Grünwalderin Antje Hagen in der Telenovela "Sturm der Liebe" die Köchin Hildegard Sonnbichler. Ein Gespräch über das bewegte Leben der 85-Jährigen - und darüber, wie eine Terroristin ihr eher zufällig zum Durchbruch verhalf.

Von Lisa Marie Wimmer, Grünwald

Eine Probe, ein Durchlauf - und die Szene ist im Kasten. "Großartig", jubelt der Regisseur, Antje Hagen lächelt stolz. Die 85-Jährige ist Profi vor der Kamera. Täglich dreht sie für die Telenovela "Sturm der Liebe", dabei wollte sie schon vor 18 Jahren in Rente gehen. "Und dann kam es anders", sagt Hagen und nimmt damit geschickt Bezug auf ihr gleichnamiges Buch, das getreu dem Titel über die Höhen und Tiefen ihres Lebens berichtet.

Antje Hagen war gerade 68 Jahre alt und wollte sich eigentlich von Theater, Film und Fernsehen zurückziehen, sich zur Ruhe setzen und reisen, da rief ihr Agent an. Er fragte, ob sie in München eine Telenovela drehen wolle. Da soll sie nur erwidert haben: "Was ist das?" Für erst mal nur drei Monate willigte Hagen sodann ein, an der Seite von Serien-Ehemann Sepp Schauer, in der damals neu geschaffenen ARD-Serie "Sturm der Liebe" eine Köchin zu spielen. Aus den drei Monaten wurde schließlich ein neuer Lebensabschnitt.

Mit 73 Jahren zog Antje Hagen von Baden-Baden nach Bayern. Zuvor war die Schauspielerin an den Wochenenden hin und her gependelt. "Mit über 70 musste ich mir die Frage stellen: Mache ich es ganz oder lasse ich es?", erinnert sich die 85-Jährige. Ihr Sohn, der als Drehbuchautor in Hamburg lebt und arbeitet, half der Mutter beim Umzug nach Bayern. Drei Jahre lang lebte Hagen in Murnau und zog 2011 nach Grünwald ganz in die Nähe der Bavaria Filmstudios, in denen die Telenovela gedreht wird. "Da fühle ich mich sehr wohl", sagt sie: "Ich habe eine besonders hübsche Wohnung mit netten Nachbarn. Und ich liebe die Nähe zum Wald. Das alles hat etwas sehr Heimatliches."

Ihr Filmalter wird bei "Sturm der Liebe" nie angesprochen. "Außerdem schummeln wir noch mit Licht und Schminke", verrät Antje Hagen, die in der Serie die Rolle der unverwüstlichen Hildegard Sonnbichler spielt. Wann sie in den Ruhestand gehen möchte? "Wir wissen nicht, wie lange es die Serie noch gibt", sagt sie: "Und so lange machen Sepp und ich fröhlich weiter." Sie will es auf sich zukommen lassen, wie sie sagt, denn "erst wenn was feststeht, kann man es entscheiden". Schließlich hat Antje Hagen das Leben nicht nur einmal gelehrt, was es bedeutet, wenn die Pläne nicht so aufgehen wie gewünscht.

Ein goldener Armreif, den sie immer trägt und nicht einmal beim Dreh ablegt, erinnern sie jeden Tag an ihren wohl größten Verlust. Sie war gerade 30 Jahre jung, ihr gemeinsamer Sohn zwei Jahre alt, als ihr Mann 1969 an Leukämie stirbt. Kennengelernt hatten sich die beiden 1963. Ihr Mann, der Sportreporter Günter Jendrich, hatte für seine Sendung "Das Rasthaus" Antje Hagen als Moderatorin zu sich geholt. "Die Chemie zwischen uns stimmte auf Anhieb", sagt sie heute.

Drei Jahre später folge die Hochzeit. "Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so geborgen gefühlt. Mit ihm hatte ich das Gefühl, mir kann nichts passieren", erinnert sich die Schauspielerin an Jendrich. Drei Jahre nach der Hochzeit starb der Reporter. "Das war entsetzlich. Ich konnte mich drei Monate darauf vorbereiten. Aber einen Menschen so verfallen zu sehen, war einfach nur schlimm", sagt sie. "Ich bin in ein tiefes Loch gefallen und dachte, ich komme nicht mehr raus. Aber das stimmte so nicht." Nach dem Tod ihres Mannes zog ihre Mutter bei ihr ein, half ihr mit dem Sohn, sodass sie wieder arbeiten gehen konnte. Zwar habe sie noch "Lieben" gehabt, geheiratet hat die 85-Jährige trotzdem kein zweites Mal.

"Eine Begegnung, ein Anruf und das Leben nimmt einen anderen Verlauf", sagt Hagen rückblickend. Dank genau solcher kurzer Moment kam sie 1962 auch zum Fernsehen. Hagens großer Traum war es eigentlich, zum Theater zu gehen. Sie besuchte damals die staatliche Schauspielschule in Hamburg, da entdeckten eine Freundin und sie einen Aushang, mit dem nach einer Sprecherin gesucht wurde. Ein Versehen, wie sich später herausstellen sollte, da der Aushang eigentlich für die Rundfunkhäuser gedacht war. Die Freundinnen gingen damals trotzdem und mehr zur Gaudi zum Casting. Anfang der 60er-Jahre "gab es Fernsehen zwar schon, aber es hatte noch nicht den Stellenwert wie heute", erinnert sich die Schauspielerin. Bei dem Casting setzte sich Antje Hagen durch, kam so zum Südwestfunk Baden-Baden und schließlich zum Fernsehen, wo sie erste Rollen übernahm.

Dieter Wedel entdeckte die Schauspielerin schließlich 1970 - in einem Film von Ulrike Meinhof. Diese hatte das Drehbuch für das Fernsehspiel "Bambule" geschrieben, die gesuchte Terroristin war sie damals allerdings noch nicht. Antje Hagen spielte in dem Film eine Erzieherin in einem Mädchenheim und lernte Meinhof am Set kennen. "Wir haben Gespräche zwischen Frauen geführt, auch über unsere Kinder", erinnert sich die Schauspielerin. Meinhof soll sich dabei gern eine Zigarette gedreht haben. "Sie wirkte oft nervös", erinnert sich Hagen.

Zehn Tage vor der geplanten Ausstrahlung in der ARD beteiligte sich Ulrike Meinhof an der Befreiung Andreas Baaders - der Geburtsstunde der Terrororganisation RAF. Der Film wurde abgesetzt. Doch in den Chefetagen der Fernsehanstalten war man an dem Drehbuch interessiert und schaute sich den Film an. So auch Dieter Wedel. "Das war mein zweiter Durchbruch", sagt Hagen heute. Erst 25 Jahre später wurde "Bambule" auch im Fernsehen gezeigt.

Antje Hagens Karriere hatte bereits zuvor an Fahrt aufgenommen: Sie spielte Rollen in dem Zweiteiler "Deutschstunde" nach dem Roman von Siegfried Lenz, in dem Krimi "Die Schattengrenze" mit Günter Lamprecht sowie in der Krimiserie "Derrick". Den größten Fernseherfolg feierte sie mit Dieter Wedels Filmreihe über die "Familie Semmeling".

Mit 85 Jahren noch einen Vollzeitjob

Die Telenovela "Sturm der Liebe" wurde seit dem Start 2005 im Nachmittagsprogramm der ARD zu einer der erfolgreichsten Fernsehserien in Europa. Gedreht wird an fünf Tagen die Woche jeweils eine 50-minütige Folge. Der Zeitplan ist straff, für langes Textlernen bleibt da keine Zeit. "Es gibt Tage, die strengen an", sagt Hagen: "Und ich gebe zu - so langsam lassen die Kräfte nach." Doch an den Ruhestand denkt die Grünwalderin aktuell trotzdem nicht. "Klar habe ich mit 85 noch einen Vollzeitjob", sagt sie: "Aber der hält mich auch jung."

Jeden Tag geht Hagen eine Stunde spazieren und besucht dreimal in der Woche ein Fitnessstudio. "Dadurch bin ich durchtrainiert und fühle mich wohl in meinem Körper", sagt die 85-Jährige. Vor der Kamera ist sich Antje Hagen bis heute für keinen Schabernack zu schade. "Ich könnte auch auf einen Baum klettern, wenn es mir gesagt wird", scherzt sie. Im Sommer waren sie und der mehr als zehn Jahre jüngerer Sepp Schauer für Dreharbeiten mit einem E-Scooter durch die Bavaria Filmstadt gedüst. Lediglich auf turbulente "Fan-Tage" sowie Social Media verzichtet die Wahl-Grünwalderin: "Das machen die Jungen, das ist nicht mehr mein Ding." Ihre jüngeren Kollegen seien es auch, die sie so fit halten, sagt sie: "Ich profitiere ungemein von ihnen, weil ich durch sie den Anschluss an die Zeit nicht verliere."

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