Süddeutsche Zeitung

Gefährdeter Lebensraum:Artenschutz verschlafen

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Die Sanierung des Gewerbeparks Höllriegelskreuth dürfte deutlich teurer werden, weil dort offenbar bedrohte Tierarten entdeckt wurden

Von Michael Morosow, Pullach

Die Pullacher Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund hält den Natur- und Artenschutz hoch, zumal als Grünen-Politikerin. Dass nun ausgerechnet bei einem Bauprojekt in ihrer Gemeinde versäumt wurde, artenschutzrechtliche Untersuchungen anzustellen, kann ihr nicht gefallen. Bei einem Ortstermin am Mittwoch auf dem Gelände des Gewerbeparks Höllriegelskreuth haben Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt München unter anderem Nester von Hausrotschwänzen, Hornissen und Wespen entdeckt.

Ob sich auch Siebenschläfer, Fledermäuse und Mauersegler in anderen teils maroden und zur Sanierung anstehenden Gebäuden im Gewerbepark niedergelassen haben, wie ein ehemaliger Mieter angezeigt hat, soll nun im Auftrag der Gemeinde ein externer Gutachter untersuchen. Währenddessen gehen die Arbeiten im Gewerbepark nur in Bereichen weiter, in denen keine artengeschützten Tiere vermutet werden.

Für die Gemeinde wird es wohl teuer

Für die Gemeinde werden die im Oktober begonnenen Umbau- und energetischen Sanierungsmaßnahmen im Gewerbepark Höllriegelskreuth nun mit großer Wahrscheinlichkeit teurer werden, denn zu den Gutachterkosten wird wohl auch noch die Schaffung von Ersatzquartieren für bedrohte Tierarten und einige Rückbaumaßnahmen ins Geld gehen. Und dass sich in den bis zu 70 Jahre alten Gebäuden artengeschützte Untermieter finden werden, davon geht man im Rathaus inzwischen aus.

Das 5,5 Hektar große Gelände des ehemaligen Eon-Bauhofs auf Baierbrunner Flur zwischen Isar und Isarkanal hat die Gemeinde Pullach 2011 zum Preis von 1,8 Millionen Euro erworben, um dort einen günstigen Standort für Handwerker und Kleinunternehmer zu sichern. Das Areal verpachtete sie an das Kommunalunternehmen Versorgungs-, Bau- und Servicegesellschaft (VBS), das den Gewerbepark wirtschaftlich betreiben soll. Die VBS hatte daher auch den Auftrag erhalten, die stark sanierungsbedürftigen Gebäude in Stand zu setzen. Bis Ende des Jahres 2019 sollten die Arbeiten beendet sein. Im Moment sei ein aktualisierter Zeitplan in Arbeit, sagte Tino Schiebe, Kaufmännischer Vorstand der VBS.

Zu den Betrieben, die sich im idyllisch zwischen Isar und Kanal gelegenen Gewerbepark niedergelassen haben, zählt neben mehreren Handwerksbetrieben auch die Windeck-Gröger Handels- und Verwaltungs GmbH, die hier ihre Lagerräume hatte. Zum 1. Oktober dieses Jahres war Inhaber Marcus Windeck gekündigt geworden, weil die VBS laut Tino Schiebe die Räumlichkeiten des Unternehmens als Kompensationsfläche benötigt.

Darin sollen Mieter eine vorübergehende Bleibe finden für die Zeit, da ihr Gebäude saniert wird. Windeck konnte sich gegen den Rausschmiss nicht zur Wehr setzen, weil er keinen schriftlichen Mietvertrag vorzeigen konnte, sondern sich auf eine mündliche Zusage verlassen hatte. "Daran fühlten wir uns nicht gebunden", erklärte der VBS-Vorstand.

Mehlschwalbennester wurden offenbar in der Brutzeit entfernt

Mit einer Reaktion auf seine Kündigung ließ der Unternehmer indes nicht lange warten. In Schreiben an Bernhard Rückerl, den Leiter der Abteilung Umwelt-, Natur- und Landschaftsschutz im Pullacher Rathaus, ließ er diesem zwischen den Zeilen wissen, dass auch das Rathaus ein wichtiges Schriftstück nicht vorzeigen könne, ein artenschutzrechtliches Gutachten nämlich.

Aber damit nicht genug, Windeck listete in dem Schreiben, dem er in seinem Lagerraum geschossene Fotos von Nestern beifügte, auch eine ganze Reihe von geschützten Tieren auf, die sich seines Wissens im Dachraum seines Lagerhauses niedergelassen haben. Er habe betroffen feststellen müssen, dass bereits diverse Nester der Hausrotschwänze und Mauersegler nicht nur im Außenbereich sondern auch im Innenbereich im Rahmen der Sanierung entfernt worden seien.

Außerdem sei ihm aufgefallen, dass in der Brutzeit Mehlschwalbennester unter den Dachrinnen beseitigt worden seien. Und über die Jahre habe er im Dachgeschoss zahlreiche Fledermäuse und unzählige Hornissen- und Wespennester beobachten können. Der Zugang zu den Räumlichkeiten sei den Tieren über die offenen Lamellenfenster und das undichte Dach sehr einfach möglich gewesen. Jetzt aber sei der Lebensraum für die geschützten Arten hermetisch abgeriegelt worden und somit eine Rückkehr der Vögel in ihr Sommerquartier ausgeschlossen, weil die Holzlamellenfenster verschlossen und der Zugang über das undichte Dach durch die Versiegelung der Zwischendecke versperrt sei.

Eine akute Störung der Tiere liege zwar nicht vor, weil die erst im Frühjahr wieder zu ihren Plätzen zurückkehrten, sagte Bernhard Rückerl, aber bis dahin werde die Gemeinde die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um dem Artenschutz Rechnung zu tragen. Das weitere Vorgehen werde mit der Unteren Naturschutzbehörde abgestimmt. Das gesamt Gebäude-Ensemble werde nun genau unter die Lupe genommen, insbesondere die Speicherräume. Eine Öffnung der Holzlamellenfenster und die Entsiegelung der Zwischendecke ist nach Darstellung einer Rathaussprecherin dagegen nicht vorgesehen.

Einen Baustopp hat die Untere Naturschutzbehörde nicht verhängt - mangels gesicherter Erkenntnis über artenschutzrechtliche Verstöße, wie die Behörde auf SZ-Anfrage mitteilte. Aber auch, weil die Gemeinde selbst angekündigt habe, die Arbeiten bis zur Klärung durch einen Sachverständigen einzustellen. Für Anfang kommenden Jahres sei aber ein weiterer Ortstermin geplant.

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Quelle:
SZ vom 22.12.2018
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