Süddeutsche Zeitung

Garching:"Wir haben ein neues Level des autonomen Rennsports erreicht"

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Interview mit Phillip Karle, Teamleiter der Entwicklergruppe "Autonomous Motorsport" der TU München.

Von Irmengard Gnau, Garching

In ihrem Team "Autonomous Motorsport" arbeiten Doktoranden und Studierende der TU München an einer Software, die ein Rennauto ohne Fahrer bei Höchstgeschwindigkeit sicher über eine Strecke steuern kann. Anfang des Jahres ging das TU-Team damit in Las Vegas bei der "Autonomous Challenge", dem ersten solchen autonomen Autorennen, bei dem zwei Rennwägen gemeinsam auf der Strecke fuhren, an den Start und erreichte den zweiten Platz. Teamleiter Phillip Karle, Doktorand am Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik, über die Zukunft des Autofahrens durch künstliche Intelligenz und die Herausforderungen von Wüstensand.

SZ: Herr Karle, Glückwunsch zum guten Abschneiden Ihres Teams. Von den fünf universitären Mannschaften, die in Las Vegas angetreten sind, konnten sie sich bis ins Finale vorschieben.

Phillip Karle: Danke. Der Motor Speedway in Las Vegas war eine tolle Bühne und wir sind total zufrieden mit dem Ergebnis. Die Platzierung ist das Eine (beim Vorgängerrennen im Oktober 2021 in Indianapolis hatte die TU noch den Sieg davongetragen, Anm. d. Red.), aber wir konnten seit Indianapolis sehr große Fortschritte bei unserer Software machen.

Es war das erste Mal, dass allein von einer künstlichen Intelligenz gesteuerte Rennwägen im direkten Duell bei diesen hohen Geschwindigkeiten gegeneinander gefahren sind. Was ist daran so herausfordernd?

Die Herausforderung bei diesem Rennen lag vor allem in der kurzen Entwicklungszeit. Denken Sie an einen Fahranfänger - der Mensch braucht meist Jahre, um Erfahrung aufzubauen und ein guter Autofahrer zu werden. Wir hatten nur drei Wochen Zeit, um uns vor Ort mit dem Rennfahrzeug vorzubereiten. Bis dahin haben wir in Garching mit Simulationen gearbeitet. Aber die echten Bedingungen auf der Rennstrecke sind dann eben nochmal andere. Man hat zum Beispiel je nach Sonnenstand eine ungenaue Objektwahrnehmung - wie beim Menschen, wenn die Sonne blendet; der Seitenwind kommt in der Realität unvorbereitet. Einmal hatten wir auch Wüstensand auf der Strecke, der unsere Laser behindert hat.

Wie darf man sich die künstliche Intelligenz vorstellen, die das Auto steuert?

Jedes Team arbeitet mit demselben Rennauto-Typ, einem Dallara AV-21. Statt einem Fahrer sitzt sozusagen ein Computer im Cockpit. Jedes Team entwickelt eigene Algorithmen und spielt diese auf den Computer auf. Für die Umgebungswahrnehmung arbeiten wir mit Laser- und Radarsensoren und für die Eigenlokalisation verwenden wir GPS. Während des Rennens ist unser Wagen ganz allein gefahren, inklusive ständig aktualisiert vorauszusagen, wie sich ein anderes Objekt - in diesem Fall das Konkurrenzauto - verhält, und daraufhin die eigenen Aktionen abzustimmen. Bei Geschwindigkeiten von bis zu 270 Kilometern pro Stunde war es außerdem eine Herausforderung, das Auto stabil zu halten. Insgesamt kann man sagen, wir haben ein neues Level des autonomen Rennsports erreicht.

Wie lassen sich Ihre Ergebnisse von der Rennstrecke auf den Straßenverkehr übertragen?

Das ist die spannende Frage. Auf der Rennstrecke hatten wir eine sehr komprimierte, anspruchsvolle Fahrt zu meistern. Wir haben dafür eine sehr generalistische Software entwickelt, die auch für andere Strecken und Anwendungsfälle funktioniert. Einige Teammitglieder um meinen Vorgänger Alexander Wischnewski haben dazu gerade ein Start-up gegründet, eine Software-Firma namens Driveblocks, die auf den Logistiksektor abzielt. Die Aufgabe wird grundsätzlich sein, dass die Software, die ein Fahrzeug steuert, möglichst zuverlässige Vorhersagen macht und eine möglichst kurze Reaktionszeit hat. Das wollen wir an der TU in unserem neuen Projekt in einer Realsituation testen: Wir entwickeln einen autonom fahrenden People Mover, das "Wiesn-Shuttle", den wir während des Oktoberfests im Eingangsbereich am Bavariaring einsetzen wollen. Wenn der People Mover es schafft, sich da durch die teils unter Alkoholeinfluss stehende Menschenmenge zu manövrieren, kann er auch durch eine normale Fußgängerzone fahren.

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