Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:500 Euro für einen Tag in der Kita

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Der Freistaat übernimmt Kosten für coronabedingt ausgefallene Kinderbetreuung. Wer sein Kind aber nur ein Mal in die Notgruppe gebracht hat, muss für den ganzen Monat zahlen.

Von Daniela Bode, Neubiberg/Ottobrunn

"Für manche Eltern war es extrem schwer", sagt Mona Schweiger, Leiterin des evangelischen Hauses für Kinder in Ottobrunn, das Krippe, Kindergarten und Hort umfasst. Sie erzählt von einer alleinerziehenden Mutter, deren Kind die Krippe besucht. Die Frau ist in einem systemrelevanten Beruf beschäftigt, durfte ihr Kind daher auch während der coronabedingten Betretungsverbote in den Kitas in die Einrichtung geben. Doch dann fiel sie in Kurzarbeit, sie brachte das Kind seltener in die Notbetreuung. Und hätte trotzdem die Kitabeiträge für den gesamten Mai und Juni zahlen müssen. Weniger Einnahmen, aber voll zahlen: "Das konnte sie nicht, wir haben dann die Beiträge gestundet", sagt Schweiger.

Was sich hier auswirkt, ist eine Regelung des Freistaats Bayern, die Ministerpräsident Markus Söder (CSU) als "faires Signal" an die Eltern bezeichnet hatte. Die sich aber jetzt für manche als recht unfair entpuppt. Söder hatte im April bekannt gegeben, dass der Freistaat die Kitabeiträge für April, Mai und Juni ersetzt und zwar als Pauschalen an die Träger.

Für die Krippe beispielsweise gibt es 300 Euro pro Kind und Monat, für den Kindergarten 50 Euro. Die Pauschale wird allerdings schon dann nicht gezahlt, wenn Eltern für ein Kind auch nur einen Tag die Notbetreuung genutzt haben. Das heißt, die Eltern müssen die Kitagebühr für den ganzen Monat zahlen. "In der Krippe bei uns können das je nach Buchungszeit auch bis zu 500 Euro sein", sagt Kitaleiterin Schweiger. Aber nicht nur Eltern knabbern an der Regelung. Auch von Trägern und Kommunen im Landkreis München ist Kritik zu hören, unter anderem weil sie sich vom Staat enttäuscht fühlen und nun selbst einspringen müssen, wenn sie die Eltern nicht im Stich lassen wollen.

Das erzbischöfliche Ordinariat München äußerte in einem Brief an die Eltern der 440 pfarrlichen und diözesanen Kindertageseinrichtungen seinen Unmut. Darin beschrieben stellvertretender Finanzdirektor Martin Kellerer und Hauptabteilungsleiterin Silvia Rückert ihre Enttäuschung darüber, dass der Freistaat seiner Zusage, die Betreuungskosten für die Monate April bis Juni komplett kompensieren zu wollen, nicht nachgekommen sei. Sie baten in dem Schreiben um das Verständnis der Eltern, die Beiträge für April bis Mai doch erheben zu müssen, um die eigenen Einrichtungen weiterbetreiben zu können. "Die Pauschalen decken in unseren Kitas bei Weitem nicht alle Kosten", heißt es in dem Schreiben außerdem.

300 Euro? Das reicht im Raum München nicht für die Kitagebühr

Dieses Manko sieht auch Ruth Markwart-Kunas, SPD-Gemeinderätin in Ottobrunn und Vorsitzende des evangelischen Kindergartenvereins Neubiberg sowie des evangelisch-lutherischen Kindertagesstättenvereins in Ottobrunn, die in den beiden Gemeinden drei Kitas betreiben. "Im Raum München deckt die Pauschale von 300 Euro sicher nicht die Krippengebühr", sagt sie. Auch die Regelung, dass der Zuschuss schon bei einem Tag in der Notbetreuung entfällt, finde sie "nicht gut". Zumal das anfangs vom Freistaat nicht kommuniziert worden sei. Erst Anfang Juni wurde die Richtlinie veröffentlicht.

Kitaleiterin Schweiger hält die Regelung des Freistaats ebenfalls für ungerecht: Ihr missfällt, dass auch für die Kinder der ganze Monat zu zahlen ist, die die Notbetreuung zunächst nicht nutzen durften, im Lauf des Monats aber dann doch, wenn sich die Vorgaben des Sozialministeriums geändert hatten. Bei den Eltern in ihrer Einrichtung gab es offenbar dennoch keinen großen Aufschrei. Denn sie hatte die meisten, die die Notbetreuung nutzten, von Anfang an gebeten, die Beiträge zu zahlen, solange noch nicht feststand, wie eine eventuelle Erstattung geregelt werde.

Wann und wie die Eltern, die in den Monaten April, Mai oder Juni ihr Kind in die Notbetreuung gegeben haben, dafür die Beiträge nachzahlen müssen, handhaben die Träger unterschiedlich. Das erzbischöfliche Ordinariat wird das Geld in den Monaten Oktober, November und Dezember mit dem in diesen Monaten anfallenden Kitabeitrag einziehen, wie es in einer Anlage zu dem Brief heißt. Darin verweist das Ordinariat aber auch auf die Möglichkeit, Ratenzahlung zu vereinbaren oder in einem Notfall einen Antrag auf Erstattung beim Landratsamt zu stellen. Es verweist auch darauf, dass manche Kommunen einen Teil der Elternbeiträge übernehmen und die Berechnung der Elternbeiträge daher nicht einheitlich erfolgen wird. Das Kinderhaus in Ottobrunn hat laut Schweiger bereits mit dem Julibeitrag die Beiträge für die Monate April, Mai und Juni bei denen eingezogen, die noch nicht gezahlt hatten. Auch hier gab es in schwierigeren Fällen die Möglichkeit der Stundung.

Die Eltern, bei denen die Gebühren für die Monate April bis Juni eine extreme finanzielle Belastung darstellen, werden allem Anschein nach nicht allein gelassen. Wenn nicht schon über den Träger eine machbare gefunden worden ist, helfen die Kommunen. Die Gemeinde Ottobrunn will laut Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) "kulant sein" bei Familien, die nicht von vornherein mit Notbetreuung geplant haben, sondern bei denen es sich um ein paar Tage handelt, wenn etwa ein Kind die letzen Tage im April in der Notbetreuung war. Er kann sich dafür einen Maximalbetrag von 30000 Euro vorstellen.

Bisher hat der Gemeinderat einen Beschluss gefasst, dass er die Träger von Krippe bis hin zu Hort entlastet, wenn die Pauschale vom Freistaat die tatsächlichen Kosten nicht abdeckt. Ottobrunn zahlt die Differenz und hat dafür einen Betrag von 295 000 Euro bereitgestellt. "Da würden wir noch mal zehn Prozent drauflegen", sagt Loderer, der die Angelegenheit bisher mit dem Hauptamtsleiter besprochen hat.

Der CSU-Politiker Loderer ist nach eigenen Angaben "empört" über das Vorgehen des Freistaats. Einerseits hieß es, man solle daheim bleiben. Nun treffe es genau die, die nur tageweise in die Kita kamen. Es sei auch nicht das erste Mal, dass der Freistaat so gehandelt habe: "Vorher eine große Klappe haben und sich im Vollzug ein Hintertürchen offen halten", sagt Loderer. Ähnlich sieht das SPD-Kreisvorsitzender Florian Schardt: "Der Freistaat verspricht etwas und die Eltern und Kommunen müssen die Kosten tragen - das geht nicht."

Auch die Neubiberger Eltern, die ihr Kind wenige Tage in die Notbetreuung gaben, werden von der Gemeinde entlastet. Ende Juni traf der Kulturausschuss eine "elternfreundliche Regelung", wie es Bürgermeister Thomas Pardeller (CSU) nennt. Für die Kinder, die die Notbetreuung besuchten, werden die Kosten in drei Stufen gestaffelt. Wer sie maximal zehn Tage im Monat besuchte, hat 50 Prozent der Gebühr zu zahlen, bei elf Tagen und mehr die volle Gebühr und wer nachweist, dass er coronabedingte Einnahmeausfälle hatte, kann bei der Gemeinde einen Antrag auf Erlass der Gebühren stellen. Außerdem sollten die Verpflegungskosten taggenau nach Nutzung abgerechnet werden.

Falls Einrichtungen das Geld doch fälschlicherweise voll eingezogen haben, versichert Rathauschef Pardeller, werde das im Nachgang korrigiert und den Eltern werde der zu viel gezahlte Betrag dann auch erstattet. Auch die Träger werden in Neubiberg entlastet. Denn sollten die erhobenen Kitagebühren in einer Einrichtung höher sein als die Pauschalen, übernimmt diesen Betrag die Gemeinde über die mit den Trägern abgeschlossenen Defizitübernahmeverträge.

Auch das Sozialministerium äußert sich

Anders als Loderer und Schardt findet Pardeller die Regelung des Freistaats für die Monate April bis Juni in Ordnung. Vom Grundsatz her stimme das "dass der, der die Notbetreuung gebucht hat, auch bezahlt, da er ja die Leistung in Anspruch genommen hat". Auch die Höhe der Pauschalen findet Pardeller angebracht, "der Freistaat zahlt ja den größten Teil".

Vom Sozialministerium heißt es zu dem Thema unter anderem: "Wenn die Notbetreuung in Anspruch genommen wurde, wurde die Leistung in der Regel auch erbracht. Die Auswirkungen eines nur zeitweisen Kita-Besuchs auf den Elternbeitrag sind im Verhältnis der Träger zu den Eltern zu klären." Die Richtlinie zu dem Beitragsersatz sei am 3. Juni veröffentlicht worden, die Träger seien noch im Mai gebeten worden, die Eltern zu informieren, dass der Träger keinen Beitragsersatz erhält, wenn ein Kind die Notbetreuung besucht. Wie viele Familien für die Monate April, Mai und Juni nun beim Jugendamt im Landratsamt einen Antrag auf Erstattung gestellt haben, kann nicht beziffert werden. Laut einer Sprecherin des Landratsamts würden diese Daten nicht gesondert erfasst.

Hätten die Eltern von Anfang an davon gewusst, bei nur einem Tag Notbetreuung voll zahlen zu müssen, hätten manche wie die alleinerziehende Mutter vermutlich ihr Kind immer irgendwie selbst betreut. Einige aber auch nicht. "Viele waren einfach froh, dass sie ihr Kind bringen und arbeiten konnten", sagt Schweiger.

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SZ vom 31.08.2020
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