Süddeutsche Zeitung

Breitensport in der Pandemie:Es ist zum Davonlaufen

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Weil in fast allen Sportarten seit Monaten weder gespielt und noch richtig trainiert werden darf, kehren viele Mitglieder ihren Vereinen den Rücken. Das hat Auswirkungen auf die Finanzen der Klubs, zumal sich wegen der Pandemie auch Sponsoren zurückziehen.

Von Martin Mühlfenzl

Der Sport produziert in der Pandemie traurige Bilder: leere Stadien und Laufbahnen, abgesperrte Schwimmbäder, verwaiste Eislaufflächen mit ausgefransten Tornetzen. Der Stillstand ist ja ein wesentliches Merkmal der Corona-Bekämpfung und trifft mit aller Härte gerade den Bereich, der zuvorderst von der Bewegung lebt.

Brigitte Weinzierl hat sich in diesem Frühjahr zumindest schon zwei Mal bewegt. Auf dem Tennisplatz hat die Präsidentin des SV Lohhof den Schläger geschwungen, ehe vergangene Woche der Winter noch einmal ein kleines Comeback gefeiert hat. Der weiße Sport ist erlaubt, weil kontaktarm. "Dann ging ja nichts mehr, es war zu kalt", sagt Weinzierl, die wie alle Funktionäre, Trainer und Athleten dieser Tag vor allem an eines denkt: das Comeback des Sports im Landkreis.

Wann es so weit sein wird, ist dieser Tage noch nicht abzusehen. Wohl aber, dass die Pandemie bei den Sportvereinen im Landkreis gravierende und einschneidende Spuren hinterlassen wird. Rupert Feistbauer muss momentan viel telefonieren und Überzeugungsarbeit leisten. Beim Einziehen der Mitgliedsbeiträge der Fußballabteilung des TSV Sauerlach hat sich herausgestellt, dass etwa 40 der 300 Mitglieder ihre Mitgliedschaft gekündigt haben.

Der TSV-Vorsitzende will versuchen, einige von ihnen zur Rückkehr zu bewegen. "Die meisten Mitglieder halten uns schon die Treue, aber einige treten auch wegen Corona aus, weil weniger Geld da ist", sagt Feistbauer. Er könne verstehen, wenn eine Familie entscheidet, dem Verein den Rücken zu kehren, weil etwa der Vater in Kurzarbeit ist. Genau so müsse er auch nachvollziehen können, wenn ein Sponsor sein Engagement zurückzieht, weil es dem Betrieb derzeit nicht gut geht.

Die Perspektive fehlt

Kleine Vereine wie der TSV Sauerlach leben auch von der Bandenwerbung im Stadion. "Es gibt schon einige Sponsoren, die sagen: Wir setzen die Werbung jetzt mal für ein Jahr aus", sagt Feistbauer. "Aber noch halten wir das aus, wir sind ganz gut aufgestellt." Nur die fehlende Perspektive, der drohende Abbruch der gesamten Saison, schlägt allen aufs Gemüt: "Eigentlich wollen wir nur kicken."

Kicken, schlagen, werfen, Bahnen ziehen, baggern, springen - welchem Sportler fehlt das nicht? Mit Schrecken erinnert sich Gregor Christoforis, Abteilungsleiter der HT München, an die ersten Öffnungsversuche im vergangenen Frühjahr, als jeder Handballer nur mit seinem eigenen Ball trainieren und diesen nicht einmal zum Mitspieler passen durfte. "Das wollen wir nicht wieder haben", sagt Christoforis. Normalerweise hätten bei der HT - der Spielgemeinschaft des TSV Unterhaching mit dem SV-DJK Taufkirchen - längst die Planungen der Events im Sommer und Herbst begonnen: Beachhandball-Turnier, Sommercamps, die Organisation der regulären Spielzeiten, die viele Zuschauer anlocken - die Männer spielen schließlich in der Bayernliga. Auch der Fasching der Handballer ist erneut ausgefallen. "Wir sind wirtschaftlich gut gebettet", sagt der Abteilungsleiter. "Aber die Einnahmen fehlen natürlich."

Der Mitgliederschwund bei der HT halte sich derzeit noch in Grenzen, sagt der Internist Christoforis. Ballsportler seien treue Mitglieder. Was aber fehle, seien Neueintritte. Den Abteilungsleiter treibt die Sorge um, dass das Konstrukt HT langfristig Schaden nehmen könnte. "Wir haben bei Null angefangen und es hat eine Zeit gebraucht, die beiden Vereine zusammen zu führen, aber das ist uns gut gelungen", sagt er. Nun das Niveau aus der Zeit vor der Krise wieder zu erreichen, sei auf absehbare Zeit aber kaum zu verwirklichen. "Wir hatten alle Altersbereiche in der Jugend mit zwei Mannschaften besetzt. Das werden wir so schnell nicht wieder schaffen."

Möglich sei dies ohnehin nur, wenn auch alle ehrenamtlichen Trainer an Bord bleiben. "Wir tun viel dafür, sie bei der Stange zu halten", sagt Christoforis. "Aber es kann schon sein, dass ein Student, der jetzt ein Jahr lang nicht gejobbt hat, sagt, er muss jetzt erst mal seine Schulden abbezahlen, und hat keine Zeit mehr für die Kinder."

Beim größten Verein des Landkreises mit seinen 13 Abteilungen und noch immer weit mehr als 4000 Mitgliedern sind die Auswirkungen ebenfalls zu spüren. Etwa 340 Mitglieder habe der SV Lohhof im vergangenen Jahr verloren, sagt Präsidentin Brigitte Weinzierl. Darin enthalten sei aber auch die "normale Fluktuation" von etwa 15 Prozent, die auch der Bevölkerungsentwicklung der Stadt Unterschleißheim entspreche. Auch Weinzierl sagt, dem Klub fehlten vor allem die Neueintritte, insbesondere der Schwimmabteilung, die komplett auf dem Trockenen sitzt. "Die leiden besonders. Und es leiden auch die Kinder und damit die Schwimmfähigkeit", sagt die Präsidentin. "Jetzt um Ostern wären normalerweise um die 50 Kinder in den Schwimmkursen gewesen, die lernen jetzt nicht zu schwimmen."

Der Schwimmverein Ottobrunn verlor 200 Mitglieder

Auch andere Schwimmvereine sind hart von der Pandemie betroffen: Die Riemerlinger Haie haben in der Pandemie etwa 300 Mitglieder verloren und noch um die 1000 Aktive, die derzeit aber nicht aktiv sein dürfen. Der Schwimmverein Ottobrunn meldete unlängst, dass mehr als 200 Sportler ausgetreten sind.

Davon kann beim Eis- und Rollsportclub Ottobrunn (Ersco) nicht die Rede sein. "Mir ist von keinem Austritt wegen Corona bekannt", sagt Vorstandsmitglied Michael Guggenhuber. "Aber wir haben auch brutal viel gemacht mit Online-Training und Challenges. Momentan trainieren Kinder unter 14 Jahren am Wochenende immer wieder mal für eine Stunde auf dem Eis in Grafing", sagt er. "Die Leute halten uns auch deshalb die Stange." Auch die Trainer seien im Lockdown weiter bezahlt worden. "Das war uns ganz wichtig, um den Laden zusammen zu halten." Geholfen habe auch die Staatshilfe, die der Verein für die Monate November und Dezember beantragt hatte und die sofort geflossen seien. Denn auch dem Ersco fehlen Einnahmen aus dem Kioskbetrieb und dem Schlittschuhverleih.

Besonders fiebert beim SV Lohhof eine Gruppe Athleten dem Neustart entgegen. Dort haben Interessierte eine Cricket-Abteilung gegründet. "Die sind voll motiviert", sagt Klub-Chefin Weinzierl. Nur mit der Ausrüstung hapert es. Die muss noch bestellt werden - aus Übersee.

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Quelle:
SZ vom 10.04.2021
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