Süddeutsche Zeitung

Ortsgeschichte:Der schiefe Turm von Aschheim

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Weil er ihnen zu mickrig war, stockten die Gläubigen den damaligen Kirchturm von Sankt Peter und Paul Ende des 19. Jahrhunderts auf. Doch sie hatten nicht bedacht, dass das zusätzliche Gewicht das Fundament überlasten würde.

Von Anna-Maria Salmen, Aschheim

Millionen Besucher zieht es jährlich nach Pisa, um eines der bekanntesten Wahrzeichen Italiens mit eigenen Augen zu sehen: den schiefen Turm, der mit einer Neigung von rund vier Grad sämtlichen Gesetzen der Schwerkraft zu trotzen scheint. Zumindest eine Zeit lang hatte auch Aschheim einen schiefen Turm, wie Ortshistoriker Peter Stilling erzählt.

Im 19. Jahrhundert war der Turm der damaligen Kirche Sankt Peter und Paul relativ niedrig - zu bescheiden für die Aschheimer. "Der Kirchturm ist immer ein Spiegelbild der Gemeinde", sagt Stilling. Sie wollten daher höher hinaus und stockten den Turm im Jahr 1878 auf. Doch dabei hatten sie nicht bedacht, dass das zusätzliche Gewicht das Fundament überlasten würde. Der Turm senkte sich ähnlich wie das berühmte Äquivalent in Pisa auf einer Seite ab und musste mit Gerüsten gestützt werden, weil er sonst einsturzgefährdet gewesen wäre.

Wer weiß - hätten die Aschheimer ihren schiefen Turm besser vermarktet, scherzt Stilling, vielleicht würde er heute ebenfalls Besucher in die Gemeinde locken. Es bleiben jedoch nur Spekulationen: 1936 wurde der Turm samt dem größten Teil der Kirche abgerissen, um einen Neubau zu errichten.

Es ist nur eine Anekdote in der langen, bewegten Geschichte der Aschheimer Kirche, die Stilling in einem Film zusammengetragen hat. Schon seit circa 600 nach Christus stand an der heutigen Ismaninger Straße ein Gotteshaus, zunächst aus Holz. Immer wieder wurde es überbaut und vergrößert, die Reste der alten Mauern sieht man heute noch durch einen gläsernen Schacht im Boden. Die heutige Kirche Sankt Peter und Paul ist der siebte Bau.

Die Errichtung war eine Herausforderung für die Gemeinde, wie Stilling sagt. Schon 1916 beantragten die Aschheimer den Neubau. Die Argumentation damals: Die alte Kirche biete zu wenig Platz für die Jugend, sodass sie nicht so kirchlich erzogen werden könne, wie man es gerne hätte.

Es sollte jedoch noch rund 20 Jahre dauern, bis aus den Plänen Realität wurde. Die Finanzierung bereitete Schwierigkeiten: Die Kirche gehört laut Stilling nicht dem Ordinariat, sondern der Aschheimer Pfarrei. Diese war deshalb auf Zuschüsse der erzbischöflichen Finanzkammer und Spenden der Aschheimer angewiesen. Der damalige Pfarrer Jakob Fischer habe fast schon betteln gehen müssen, um das nötige Geld einzusammeln, sagt Stilling lachend. Dank des guten Kontakts zu Kardinal Michael Faulhaber konnte er schließlich doch die Unterstützung des Erzbistums gewinnen und so den knapp 126 000 Mark teuren Bau finanzieren. Die Inneneinrichtung wurde hingegen von Aschheimer Gläubigen gestiftet.

Der Pfarrer wurde denunziert, weil er die Nazis kritisiert hatte

Mit allzu großer Dankbarkeit wurde der Pfarrer allerdings nicht belohnt, wie Stilling erzählt. Wenige Jahre nach der Weihe der Kirche wurde Fischer von den Nationalsozialisten verhaftet. Denunzianten aus Aschheim hatten ihn verraten, als er prophezeite, das christliche Kreuz werde einmal wieder über das Hakenkreuz herrschen. "Er hatte wohl die meisten Bürger hinter sich", so Stilling. "Aber keiner hat sich getraut, etwas zu sagen."

Die Kirche blieb indes weitgehend unbeschadet von der Herrschaft der Nationalsozialisten. Im Krieg fiel zwar eine Brandbombe in den Innenraum, doch sie explodierte nicht. Später fand man sie im Dachstuhl. Die Glocken hingegen überstanden die Kämpfe nicht: Die Nazis ließen sie einschmelzen, um Waffen daraus herzustellen. Französische Kriegsgefangene im Ort nahmen das mit Schadenfreude zur Kenntnis, aber die Aschheimer waren findig. Ein örtlicher Schlosser entwickelte eine besondere Konstruktion: An einer leeren Sauerstoffflasche brachte er einen Hammer an. Die Apparatur wurde mit der Turmuhr verbunden, sodass es zumindest wieder einen stündlichen Klang zu hören gab.

Von außen ist die Kirche seit fast 90 Jahren unverändert. Lediglich die Inneneinrichtung wurde in den Siebzigerjahren ausgetauscht, was Stilling ein wenig bedauert, wie er sagt. Doch die Erinnerung an die alte Ausstattung mit verzierten Altären und Kanzel bewahrt er noch immer in seiner Fotosammlung.

Peter Stillings Film über die Aschheimer Kirchengeschichte ist am Sonntag, 14. April, um 18 Uhr im Festsaal des Kulturellen Gebäudes am Herdweg in Aschheim zu sehen. Der Eintritt ist frei, Spenden kommen den Ministranten aus Aschheim-Dornach und Feldkirchen für ihre diesjährige Wallfahrt nach Rom zugute.

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