Süddeutsche Zeitung

Zeitgeschichte:Ein Schatz in Schwarz-Weiß

Lesezeit: 3 min

Der Aschheimer Ortschronist Peter Stilling hat jahrelang Fotos, Zeitungsausschnitte und andere Dokumente aus vergangenen Jahrhunderten gesammelt. Aus seinen Recherchen ist ein Film entstanden, der viel in Vergessenheit Geratenes über das einstige Bauerndorf erzählt.

Von Anna-Maria Salmen, Aschheim

Scharen von Besuchern aus der ganzen Umgebung kommen im Januar 1910 nach Aschheim. Bei einem Pferdeschlittenrennen wollen die Bauern das Können ihrer Tiere unter Beweis stellen - ein Spektakel, das sich offenbar kaum jemand entgehen lassen will. "Prachtvoll war der Umzug durch die Ortschaft, an der Spitze der Rennmeister Herr Balthasar Wieser hoch zu Pferd", heißt es in einem Zeitungsbericht über das Ereignis. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs fand das Rennen jährlich statt und machte Aschheim weithin bekannt, weiß Ortschronist Peter Stilling. Es ging ums Prestige: Pferde waren teuer und damit gewissermaßen Statussymbole für die Bauern.

Dennoch ist das Rennen über die Zeit in Vergessenheit geraten, genauso wie vieles aus einer Zeit, in der Aschheim noch ganz anders aussah. Ein Bauernhof reihte sich an den anderen in der kleinen Ortschaft. Viele der historischen Gebäude säumen noch heute die Straßen. Ihre Geschichten hat Stilling nun in einem Film zusammengefasst.

Er habe festgestellt, dass in Aschheim kaum noch jemand von vergangenen Begebenheiten weiß, erzählt der 78-Jährige. Vor vielen Jahren sei er zu einer Treibjagd in einem kleinen Gehölz eingeladen gewesen, das ihm als Bauernschneider Dick bekannt ist. Der Name gehe zurück auf einen Abkömmling des Aschheimer Bauernschneiderhofs, dem das Waldstück gehörte und der angesichts der schweren Arbeit im Gehölz immer gesagt haben soll, wie satt er diese habe: "Des hob i vielleicht dick."

Als Stilling die Bezeichnung nach der Jagd gegenüber einigen jungen Jägern fallen ließ, stieß er nach eigenen Worten auf Verwunderung. Sie hatten noch nie davon gehört. Im weiteren Gespräch stellte sich heraus, dass sie auch die Namen der Höfe nicht kannten, die Aschheim teils noch immer prägen. "Das darf ja nicht sein", dachte sich der Aschheimer Heimathistoriker.

Von seinem Schwiegervater, dem langjährigen Aschheimer Bürgermeister Franz Ruthus, haben Stilling und seine Frau einen großen Eichenschrank geerbt, der bis oben hin voll mit alten Bildern und Schriften war. Wegwerfen kam nicht infrage, sagt Stilling. "Ich musste was draus machen." Er begann also, die Fotos zu sortieren, und recherchierte weiter. Drei Jahre lang ging er von Hof zu Hof und fragte, ob sich auf den Dachböden oder in den Kellern noch Schätze aus längst vergangenen Zeiten verbargen.

In der Tat kamen viele mit alten Zigarettenschachteln zu ihm, in denen sich Schwarz-weiß-Bilder und historische Zeitungsartikel befanden. Mittlerweile kann Stilling kaum noch auf eine Feier gehen, ohne dass ihm jemand ein Kuvert mit alten Fotos zusteckt, erzählt er lachend. "Man entwickelt eine Leidenschaft, ähnlich wie beim Briefmarkensammeln."

Vieles von dem, was der Ortschronist sorgsam aufbewahrt, wäre sonst wohl geschreddert worden. Oder es wäre irgendwann in Schachteln verblasst. Für Stilling unvorstellbar: "So etwas darf nicht in Vergessenheit geraten." Zumal die Vergangenheit Geschichten erzählt, die sich auch Drehbuchautoren nicht besser ausdenken könnten - mal dramatisch, mal traurig, mal amüsant. Stilling greift einige der interessantesten Anekdoten auch in seinem Film auf.

Zum Beispiel den Großbrand, zu dem es 1926 in der zwischen Aschheim und Ismaning gelegenen Hintermühle kam. Ein Mann mit einer geistigen Behinderung wollte sich dort im Stroh des Vorbaus ein Nachtlager richten und vor dem Schlafen noch eine Zigarette rauchen, das Zündholz warf er unbedarft weg. Es löste ein Feuer aus, das schnell auf Stall und Stadel überging. Zwei Knechte wurden im Schlaf in ihrer Kammer von den Flammen überrascht und mussten mit Brandwunden ins Krankenhaus.

Eine wahre Tragödie ereignete sich knapp 20 Jahre später in der heute noch existierenden Wendlmühle. Bei einem Überfall im Jahr 1945 wurde der Bauer erschossen, seine Frau und Tochter überlebten schwer verletzt. Bis heute weiß man nicht, wer der Täter war, sagt Stilling. Wahrscheinlich habe es sich um Plünderer gehandelt, die Beute in abgelegenen Höfen gewittert hätten und äußerst brutal vorgingen.

Amüsanter ist dagegen eine Geschichte, an die Stilling sich noch selbst erinnern kann: Mitten im Ort, im Stall des Wennhardthofs, wurde in den Fünfzigern ein Sportflugzeug gebaut und auf einem Anhänger nach Riem transportiert, wo es über 15 Jahre lang im Einsatz war. "Das war eine Sensation für die Aschheimer Kinder", erzählt Stilling.

Der Stall musste wenige Jahre später zwar moderneren Wohngebäuden weichen, doch ein Teil des Wennhardthofs steht noch heute an der Feldkirchner Straße, ganz so, wie er schon vor über hundert Jahren aussah - ähnlich wie viele andere Höfe, die sich über die Jahrzehnte kaum verändert haben. Die meisten Menschen gehen heute einfach daran vorbei. Doch Stilling kann sich gut vorstellen, dass die Aschheimer sie vielleicht mit anderen Augen sehen, wenn sie die Geschichten dahinter kennen.

Die Filmvorführung in Kooperation mit dem Aschheim-Museum beginnt am Montag, 18. Dezember, um 18.30 Uhr im Festsaal des Kulturellen Gebäudes, Münchner Straße 8, in Aschheim. Der Eintritt ist frei, um Spenden zugunsten der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen wird gebeten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.6320312
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.