Süddeutsche Zeitung

Landgericht München:Wegen U-Haft Urlaub verpasst - Staat muss Stornogebühren zahlen

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Von Ekkehard Müller-Jentsch

Die messerscharfe Logik von Juristen löst immer wieder Erstaunen aus. Da sitzt ein junger Mann unschuldig, wie sich später herausstellt, in Untersuchungshaft. Weil er deswegen eine zuvor gebuchte Reise nicht antreten kann, storniert er diese. Das kostet erhebliche Rücktrittsgebühren. Als er für diese Unkosten später Schadensersatz verlangt, kann der Freistaat keinen "unmittelbaren kausalen Zusammenhang" zwischen U-Haft und diesen Gebühren erkennen: Denn diese seien doch nicht wegen der Haft entstanden, sondern weil er die Reise storniert habe. Diese Spitzfindigkeit hat die Amtshaftungskammer am Landgericht München I dem Generalstaatsanwalt in München allerdings nicht durchgehen lassen. Der Staat wurde nun verurteilt, die eingeklagten rund 2500 Euro Stornogebühren zu erstatten.

Die Strafermittler hatten den 23-Jährigen wegen eines Rauschgiftdelikts unter Verdacht. 170 Tage musste er in U-Haft ausharren, dann wurde er freigesprochen. Das Gericht verpflichtete daher die Staatskasse, den Mann für den Vollzug der U-Haft zu entschädigen. 4250 Euro ließ ihm der zuständige Generalstaatsanwalt anweisen. Allerdings lehnte er es ab, zugleich 2484 Euro zu erstatten. Dieser Betrag war dem Betroffenen entstanden, weil der Reiseveranstalter etwa 70 Prozent des Reisepreises als pauschale Storno-Kosten in Rechnung gestellt hatte. Zudem waren Flugtickets im Wert von 799 Euro verfallen.

Keine Annahme für "enttäuschtes Vertrauen"

Der Staat räumte zwar ein, dass die Aufwendungen durch die Anordnung der U-Haft nutzlos geworden seien. Ersatz dafür gebe es allerdings nur, wenn der junge Mann seine Reise im festen Vertrauen darauf gebucht hätte, dass der Staat "seine Freiheit nicht fehlerhaft einschränken werde". Für ein derartig "enttäuschtes Vertrauen" bestehe "keine allgemeine Annahme".

Die 15. Zivilkammer weist diese Betrachtungsweise zurück: "Die Stornierung erfolgte ausschließlich aufgrund der Untersuchungshaft." Natürlich sei sie dem Willen des damaligen Häftlings zuzurechnen - allerdings habe er diese Entscheidung nicht frei getroffen, sondern sie sei eben durch die U-Haft veranlasst worden. Die gekaufte und verfallene Reise sei nicht mit der fehlenden Nutzbarkeit eines Gegenstandes zu vergleichen, sagt das Gericht. Der Verlust der Möglichkeit, die erworbene Flugreise zu realisieren, habe einen konkreten Marktwert, "der in diesem Fall zu ersetzen ist".

Das Gericht strich aus der Klageforderung allerdings 45 Euro für die abgeschlossene Rücktrittsversicherung. Diese müsse zwar nicht wegen der Haft einspringen. Wäre der Häftling allerdings hinter Gittern erkrankt, hätte der Versicherungsschutz gegriffen. Insofern habe der 23-Jährige den gekauften Versicherungsschutz erhalten, aber nicht nutzen können. Das Urteil (Az.: 15 O 17769/14) ist noch nicht rechtskräftig.

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SZ vom 28.08.2015
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