Süddeutsche Zeitung

Kunst:Rund um den Rahmen

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1883 widmete sich der böhmische Maler und Gelehrte Victor Barvitius der Einrichtung von Galerien. Sein Weg führte ihn auch nach München, dort beschrieb er die Alte und Neue Pinakothek

Von Jürgen Moises

Kulturtouristen, die durch sogenannte "Sensationsschauen" angelockt von Museum zu Museum durch die Lande ziehen, das ist ein heute sehr vertrautes Phänomen. Oder zumindest ist es das vor der Corona-Pandemie gewesen. Als Victor Barvitius im Jahr 1883 von Prag aus die Gemäldegalerien in Berlin und Dresden, die Königlichen Museen in Berlin, die Alte und die Neue Pinakothek sowie das Nationalmuseum in München besuchte, interessierte er sich ebenfalls für die dort hängenden Bilder. Darüber hinaus hat er sich aber auch die Rahmen, Profile, Täfelchen und die Befestigungsart der Bilder angesehen, die Einrichtung des Cabinets, das Licht, die Farbe der Wände und Tapeten, die Sockel, die Barrieren, Heizungen und die Ventilation, die Anlage und Einrichtung der Depots, die Möbel, Gerätschaften und Garderoben. Über die Sicherheitsvorkehrungen, das Personal, dessen Wohnungen und Gehälter hat sich Barvitius ebenfalls informiert.

Das heißt mindestens genauso wie der Kunst galt sein Interesse den ganz praktischen Seiten des Museumsalltags, der Verwaltung, dem Museumsmanagement. Wieso? Weil der böhmische Künstler und Gelehrte im Namen der Gesellschaft Patriotischer Kunstfreunde unterwegs war, die für 1885 die Errichtung einer Galerie im Prager Rudolfinum plante. Barvitius' zwischen dem 20. August und 21. September 1883 durchgeführte Reise sollte dabei neben der Besichtigung der Galerien dem fachlichen Austausch mit Experten dienen, bevorzugt mit Restauratoren, Konservatoren und "Regeneratoren". In der Hoffnung, dass sich einer davon zu einem Prag-Besuch überreden lässt. Über seine Reise verfasste Barvitius einen etwa 90-seitigen Bericht, welcher der Forschung seit längerem bekannt ist. Eine öffentliche deutsche Fassung gab es davon aber bisher nicht.

Unter dem Titel "Zur Einrichtung von Gemäldegalerien: Die Aufzeichnungen von Victor Barvitius aus Prag über seine Reise nach Dresden, Berlin und München 1883" liegt diese seit vergangenem November nun in Auszügen vor. Erschienen ist sie im Dresdner Sandstein Verlag und herausgegeben wurde sie, ergänzt durch kundige Sekundärtexte, von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Was die thematische Ausrichtung der Sekundärtexte betrifft, so merkt man diesen die regionale Perspektive durchaus an. Neben Barvitius' Studienaufenthalt in der Dresdner Gemäldegalerie und dem sogenannten "Dresdner Galerierahmen" nehmen sie aber auch "die Reisen des Victor Barvitius" allgemein mit in den Blick, genauso die Person Victor Barvitius als "Maler, Kurator und Kunsthistoriker" sowie etwa die Themen "Zugänglichkeit" und "Sicherheitsvorkehrungen" in Museen des 19. Jahrhunderts.

Und dann sind da ja noch die Aufzeichnungen selbst, die im Vergleich zu Dresden auch die jeweilige Situation in Berlin und München verhandeln. So erfährt man etwa von Barvitius, wie die Nummerntafeln der Gemälde 1883 in der Alten und Neuen Pinakothek aussahen, dass die Bilder in der Alten Pinakothek an Nägeln hingen und es in der Neuen horizontale Eisenstangen für deren Anbringung gab. Die Wände der Alten Pinakothek waren laut Barvitius "mit Leimfarben angestrichen", "einige Säle" hatten "ein gutes Roth, die anderen ein etwas zu stark gebrochenes Grün". Die Tapeten in der Neuen waren "alt" und "abgeschossen" und sahen teilweise "schlecht" und "fleckig" aus. In der Alten Pinakothek wurde einige Jahre eine Luftheizung eingesetzt, die aber den Bildern schadete. Deshalb dachte man über eine "Heißwasserheizung" nach, für die aber das Geld fehlte. In der Neuen war gar keine Heizanlage vorhanden.

Gut, das liest sich vielleicht nicht ganz so süffig wie eine mit Skandalen oder Seelenkämpfen aufwartende Künstlerbiografie. Wenn Barvitius aber den Terrazo-Fußboden beschreibt, der ob des zertretenen Staubs so aussah, als würde man in der Alten Pinakothek nie putzen; oder wie ein Galeriediener dort "auf dem für die Besucher bestimmten Canapé eine Stunde lang" saß und eine Stunde lang die Zeitung las, "ohne auch nur aufzusehen": Dann hat das durchaus seine unterhaltsamen rhetorischen Spitzen. Und mit seinen Notizen zu Personal, Eintritt oder Garderobenkosten ermöglicht er ebenfalls interessante Einblicke in den damaligen Museumsalltag.

Am ausführlichsten geht Barvitius auf die Arbeit der Restauratoren ein und damit zusammenhängend auf den Zustand der Gemälde. Da wird es dann auch kunsthistorisch interessant, wenn er etwa anhand von Bildern von Dürer oder Rogier van der Wayden die gute Arbeit von Anton Frey und Alois Hauser in München lobt. Ansonsten ist das allgemein Verblüffendste, wie nahe seine Fragestellungen denen der heutigen Ausstellungs- und Restaurierungstechnik sind. Und wie rege der internationale fachliche Austausch im Museumswesen schon im 19. Jahrhundert war. Insofern sind Barvitius' Aufzeichnungen durchaus eine wichtige Quelle, die in ihrer Gesamtheit demnächst auch als Open-Access-Digitalisat zur Verfügung gestellt werden soll. Damit der von Barvitius angestoßene Dialog auch im 21. Jahrhundert seine Fortsetzung findet.

Zur Einrichtung von Gemäldegalerien: Die Aufzeichnungen von Victor Barvitius aus Prag über seine Reise nach Dresden, Berlin und München 1883 , Sandstein 2020, 216 Seiten, 25 Euro

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SZ vom 18.01.2021
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