Süddeutsche Zeitung

Künstlerhaus:Alles am Fluss

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Die Villa Concordia, idyllisch an der Regnitz in Bamberg gelegen, fördert seit 25 Jahren den internationalen Austausch von bildenden Künstlern, Schriftstellerinnen und Komponisten. Direktorin Nora Gomringer könnte sich auch noch einen etwas anderen Akzent vorstellen.

Von Antje Weber, Bamberg

"Mein Gott, ist das schön!", ruft Markus Blume aus. Es ist nur zu verständlich, schließlich steht der Kunstminister bei herrlicher Sonne auf der Gartenbühne der Künstlervilla Concordia, das prachtvolle Barock-Wasserschloss zur Linken, die gar nicht so träge fließende Regnitz vor sich. Und so lässt sich der Minister bei diesem Fest im Juni gar dazu hinreißen, um "ein kleines Zimmer" zu bitten, um sich in Bamberg bisweilen zurückzuziehen.

Dazu wird es nicht kommen, auch wenn er der oberste Dienstherr dieser kleinsten Dienststelle des Freistaats ist. "Ein schöner Scherz", sagt deren Direktorin Nora Gomringer, als sie sich Wochen später am Telefon daran erinnert. Selbst die derzeitigen Stipendiaten könne man ja nicht alle gleichzeitig beherbergen. Schließlich hat das Künstlerhaus - um kurz ein paar Zahlen aufzurufen - in drei Gebäuden nur zwölf Wohnungen und acht Ateliers zur Verfügung. Sechs französische und sieben deutsche Komponistinnen, Künstler, Autorinnen und Übersetzer werden bis Mitte nächsten Jahres erwartet, für fünf oder elf Monate; dazu kommen in diesem Jahr zwölf Sonderstipendien für ukrainische Künstler, die allerdings wohl nur vereinzelt und für wenige Tage anreisen können. Was schade ist, denn so werden sie nicht erleben, was Gomringer als wichtigstes Ziel anpeilt: "Wir wollen die Gäste Bayerns zu Freunden Frankens machen."

Wenn man als Basis ein solches Schloss zu bieten hat, Teil einer hinreißenden Weltkulturerbe-Kulisse, scheint das Ziel erreichbar zu sein. Seit 25 Jahren ist die einzige Künstlervilla des Freistaats hier beheimatet und der Idee eines insbesondere europäischen Austauschs verpflichtet, seit zwölf Jahren unter Leitung der Lyrikerin Nora Gomringer. "Verrückt, nee", sagt sie, "schon so lang." Ein guter Zeitpunkt, um mal wieder nachzufragen: Was treibt sie eigentlich genau, als Schlossherrin? Und was macht den Reiz, die Bedeutung dieser internationalen Künstlervilla aus?

Des Reizes war sich der Bamberger Oberbürgermeister Herbert Lauer sicher, als er die Immobilie in den Neunzigerjahren dem damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber anpries. Von einem nächtlichen Telefonat wird gemunkelt - danach war entschieden, dass die Künstler nicht an den Starnberger See, sondern nach Bamberg gehören. Dafür nahm man in der Stadt gern in Kauf, dass Stoiber die Gäste der Eröffnungsfeier "bei sengender Hitze" nach einer 50-Minuten-Rede "leicht narkotisiert" hinterließ, wie sich der heutige OB Andreas Starke in einer knapp pointierten Festrede erinnert.

Nach wechselnden Funktionen des 1716 erbauten Schlosses, das nacheinander privater Wohnsitz, Clubhaus, Kunstschule, Labor und Uni-Veranstaltungsort gewesen war, scheint es nun seine wahre Bestimmung gefunden zu haben. Obwohl im Detail vieles im Flusse ist. So legte das Haus in den ersten Jahren einen stärkeren Fokus auf die bildende Kunst: Unter dem damaligen Direktor Bernd Goldmann, der Großplastiken von Fernando Botero bis Igor Mitoraj aufstellen ließ, wurde sie in der ganzen Stadt sichtbar - und setzt als Skulpturen-Weg bis heute einen schönen Kontrapunkt im mittelalterlichen Stadtbild. Nora Gomringer hätte das gerne weitergeführt und "ein paar besondere Filetstücke gebracht", sagt sie, doch bei ihrem Amtsantritt sei "eine strenge Auflage" des Ministeriums gewesen, die Finger von der Kunst im öffentlichen Raum zu lassen. Darum kümmert sich jetzt die Stadt selbst, bis heute beraten vom nach wie vor umtriebigen Experten Goldmann.

In der Villa hat derweil die Lyrikerin Gomringer Schriftsteller aus Großbritannien, Spanien oder Finnland begrüßt. Sie hat sich in die zeitgenössische Musik eingearbeitet - "da bin ich wirklich klüger geworden". Die Kunst, die die Stipendiaten mitbringen, mache sie dagegen "manchmal ratlos", gesteht sie. Und staunt über Entwicklungen, die man in diesem Jahr auch bei der Documenta beobachtet: "Der Künstler ist der Aktivist, und der Aktivist ist der Künstler." Den Trend zum Aktivismus, auch zu Kollektivformen, sieht sie mit einiger Sorge, denn damit einher gehe "eine fast zu große Zurückhaltung, eine eigene Position zu benennen, zu entwickeln, dafür kritisiert zu werden und das auszuhalten".

Ob das einer der Gründe dafür ist, dass sie vor einiger Zeit gegenüber dem Ministerium die Frage "sanft anklingen" hat lassen, ob man das Haus nicht ganz den Übersetzern widmen könne? Die sind für sie "die größten Künstler" überhaupt. "Wenn man einen Autor zu Gast hat, bringt der seine Welt mit. Wenn man einen Übersetzer zu Gast hat, bringt der viele Welten mit", sagt Gomringer. Gerade angesichts der Lage Bambergs mitten in Europa fände sie diese Spezialisierung "sehr schön". Doch auch wenn das vom Ministerium beauftragte Kuratorium immer wieder Übersetzer als Stipendiaten auswählt, findet es doch auch die anderen Genres wichtig fürs Profil des Hauses. "Ja, stimmt", sagt Gomringer. "Trotzdem: Ich könnte mir das immer noch vorstellen."

Welche Akzente sie in der nächsten Zeit sonst setzen will? "Die Akzente sind auch stark davon beeinflusst, wie viel Haushaltsgeld ich habe", antwortet sie nüchtern. Die Höhe der Mittel schwankt und ist von den Kosten vieler bauerhaltender Maßnahmen abhängig. Das Programm für das bis Mitte 2023 dauernde Jubiläumsjahr entwickelt sich daher erst nach und nach. Im Moment ist Gomringer froh, den Garten wieder für Veranstaltungen öffnen zu können. Sie ist "happy" darüber, dass sie und ihr Team in den Pandemie-Jahren das Innenleben der Institution mit so verspielten wie informativen "Sendungen mit der Kunst" wenigstens digital widerspiegeln konnten. "Das war für uns eine schöne Aufgabe in der Zeit der Verzweiflung", sagt sie. Und die Filme führen beispielhaft vor, was Gomringer als ihre Aufgaben formuliert: "Eleganz und Relevanz". Und Witz, möchte man etwas unelegant ergänzen.

Nora Gomringer ist dankbar dafür, dass ihre Mitarbeiter bei solchen Aktionen mitmachen und ihre "komische Quirligkeit" ertragen. Und hat für das Jubiläum klare Entscheidungen getroffen: Nein, es wird keinen Katalog oder Ähnliches geben, dafür habe man "weder die Kapazitäten noch die Mittel". Statt dessen hat sie den Illustrator Philipp Seefeldt gebeten, die Geschichte des Hauses in einen dreiminütigen Trickfilm zu packen. Dieser feine, kleine Film wird ein Jahr lang aktuell sein; das ist zweifellos von einiger Nachhaltigkeit, die neben der Diversität derzeit stark vom Ministerium gewünscht wird. Vor allem hat Gomringer, so etwas ist ihr als ehemals Selbständige wichtig, damit wieder einen Künstler gefördert, eine neue Szene erschlossen - ja, eben, "eine ganze Welt".

Innerhalb eines festen Rahmens kann sie in dieser Institution ziemlich frei agieren, das hat Gomringer mit den Jahren gelernt. Aber auch: "Ich habe bestimmte Vorgaben zu erfüllen und Absprachen einzuhalten." In die Verwaltung hat sie sich mit mehr Freude eingearbeitet als erwartet. "Ich bin ganz beeindruckt, wie kreativ viele Lösungen sein müssen", sagt sie darüber. Gewiss, sie habe in ihrer Not schon mal ein Gedicht über das Haushaltsbuch geschrieben. Doch sie sieht die Fachsprache auch als Zugewinn: "Allein das Wort Wiedervorlage ist doch glitzernd!"

Dass sie selbst eine vielfach ausgezeichnete und vernetzte Schriftstellerin ist, drückt sie den Stipendiaten nicht auf; sie hält die Sphären trotz mancher Schnittstellen getrennt: "Es gibt Künstlerinnen und Künstler, die hier rausgehen und nicht wissen, dass ich selbst Künstler bin." Das hänge natürlich auch damit zusammen, dass manche Stipendiaten mehr auf sich konzentriert seien als auf die Gemeinschaft - jeder Jahrgang, jedes Herkunftsland sei eben unterschiedlich. Gomringer selbst hat sich über die Jahre etwas mehr zurückgezogen: "Ich war am Anfang zutraulicher." Inzwischen glaubt sie: "Man ist ein guter Gastgeber, wenn man die Gäste möglichst wenig mit der eigenen Persönlichkeit belästigt."

Eine gute Gastgeberin sein - das klingt immer wieder an im Gespräch, und es ist vielleicht wirklich der Schlüssel für den Erfolg eines solchen Künstlerhauses. Wenn man etwa die Namen aller derzeitigen Stipendiaten an den Stufen der Eingangstreppe liest, zeugt diese nette Geste auch von Respekt. Gomringer ist es auch wichtig, die mehr und minder berühmten Stipendiaten alle gleich zu behandeln - und das heißt für sie: "sehr individuell". Wenn sie Vergleiche zu anderen Künstlerhäusern wie Solitude in Stuttgart oder Bethanien in Berlin zieht, dann fällt ihr zu den anderen der Begriff "Politik" ein und zum eigenen Haus: "Zeit". Die tut ihre eigene Wirkung. "Die Leute zeigen erst nach einer Weile ihr Gesicht - und auch ihre schönen Seiten. Manche kommen furchtbar grob und arrogant herbei, bis sie merken: Sie müssen sich hier nicht fürchten."

In den "Sendungen mit der Kunst" spürte man die befreiende Wirkung der Ruhe. Die Komponistin Konstantia Gourzi schwärmte da von Stadt und Stipendium als "Geschenk". Die Schriftstellerin Antje Rávik Strubel freute sich in der turbulenten Zeit nach dem Buchpreis darüber, einfach nur vom Schreibtisch auf den Fluss zu gucken und den "Rückzugsmoment" zu genießen. Und wo Zeit ist, ist auch Raum für Spaß. So hängt am Eingang der Villa unter einer Plakette für einen Chemiker, der hier ein Uni-Institut gründete, seit neuestem ein zweites Schild: "Im Jahre 2021 wurde hier von Dieter Froelich und Heikki Marila der ,Secret-Cheese-Cake-Club' gegründet." Traditionen zu wahren und dabei nicht in Schönheit zu erstarren - auch das ist eben eine Kunst.

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