Süddeutsche Zeitung

Kreativwirtschaft:Der Münchnerwertigkeitskomplex

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Die Stadt redet sich gerne selber klein - zumindest, was Kultur angeht

Von Franz Kotteder

Nein, sehr duldsam sind Münchens Künstler mit ihrer Stadt nun wahrlich nicht. Dauernd haben sie was an ihr auszusetzen und am liebsten wären sie sowieso in Berlin. Weil man da angeblich riesige Lofts für wenig Geld bekommt und das Leben einfach aufregender, härter, schmutziger ist als im beschaulichen, kleinen Weltstadtdorf.

Das ist eine alte Klage, und man kann tatsächlich von einer Art "Münchnerwertigkeitskomplex" sprechen, weil der Hiesige sich insgeheim minderwertig fühlt, im Vergleich zu Künstlern in wirklichen Metropolen. Bis zum Jahr 2012 musste man das glauben. Dann aber kam eine Grundlagenstudie heraus, in Auftrag gegeben von der Metropolregion München, einem Zusammenschluss von Stadt, Landkreisen und Städten von Augsburg bis Altötting, von Ingolstadt bis Garmisch und ihren Industrie- und Handels- sowie Handwerkskammern. Diese Studie befasst sich mit der Kultur- und Kreativwirtschaft, einem Segment, das elf verschiedene Branchen umfasst. Klassische Künstlerberufe wie Schauspieler, Musiker, Maler, Bildhauer, Fotograf, Schriftsteller - aber auch Werber, Verlage, Medien, Architekten bis hin zu Software- und Game-Entwickler.

Das Überraschende an der Studie war: Die Metropolregion München steht in Sachen Kreativwirtschaft landesweit an der Spitze und nimmt sogar in ganz Europa eine führende Stellung ein. Das hatte eigentlich niemand in der Stadt erwartet, und als positiven Effekt ergab sich, dass die Kommunalpolitik Kultur als Wachstumsmarkt entdeckte, plötzlich warm wurde mit der Idee eines Kreativquartiers und sogar ein eigenes "Kompetenzteam Kreativwirtschaft" einsetzte.

Die Fortschreibung der Studie, die in diesem Frühjahr erschien, bestätigte die Datenlage der ersten nur noch: München war weiter auf Wachstumskurs und lag nun sogar, was die Bruttowertschöpfung angeht, an der Spitze vor allen anderen europäischen Regionen. Selbst Mailand, das fast 30 000 mehr Erwerbstätige in der Kreativwirtschaft hat, kann da nicht mithalten. Erfreulich auch: Der Sektor der Kultur- und Kreativwirtschaft wächst seit 2009 im Vergleich zur Gesamtwirtschaft sogar überproportional.

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Quelle:
SZ vom 15.11.2016
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